So saß ich nun allein vor meiner Cola, die zur Hälfte bereits leer getrunken war. Gunnars Glas war immer noch voll, aber die Eiswürfel hielten das Getränk kalt.
Seufzend probierte ich es noch einmal bei Annika, als ihre Mailbox ansprang. So zermürbend dieser Gedanken auch war, ich wusste, es ging ihr gut. Nur wusste ich nicht, wieso es ihr gut ging.
Hintergeht sie mich?
Ich schüttelte den Kopf, griff nach dem Alkohol und kippte fast den gesamten Inhalt hinunter. Der Geschmack aus Minze und Limette mitsamt Rum und Süßem verband sich zu einer explosiven Mischung in meinem Magen, der sich abrupt hob.
„Ich hätte was essen sollen“, murrte ich und sah mich um. Rambo saß an einem kleinen Tisch mit dem Mann. Hinter ihm hatten sich weiter entfernt einige Männer postiert. Die beiden Romantiker blickten verliebt in die Augen, redeten und lachten.
Mit Annika hätte ich auch meinen Spaß. Ich schmunzelte und musste lachen, als ich an Unanständiges dachte.
„Wichtiger Mann, nicht wahr?“, ich erkannte den Englischsprechenden Barkeeper, der sich zu mir gesellte. Er legte die Maske ab, sodass sein Vollbart zum Vorschein kam. Die braunen kurzen Haare lichtete sich leicht, sodass ich ihn aufgrund der Lachfalten an den braunen Rehaugen um die dreißig schätzte. Er hatte eine agile Figur, sodass das Hemd, das halboffen seine beharrte Brust offenbarte, locker von den Schultern hing. Mit quietschenden Handbewegungen polierte er ein Glas. Ein Blick genügte und ich erkannte, dass er entweder nach Gesellschaft suchte oder mich über Rambo ausfragen wollte. Mit Informationen solcher Art ließe sich viel Geld machen. Paparazzi waren überall.
„Ich kenne ihn nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß, während der Barkeeper ein Teller voller Fritten hinstellte. „Geht aufs Haus.“ Ich runzelte die Stirn und nahm mir welche.
„Ja, das ist ein hohes Tier im Innenministerium. Deshalb kennt ihn jeder hier.“ Konzentriert hauchte er einige Stellen an und schruppte auf dem Glass herum, das für mich schon sauber genug aussah. „Er müsste mal Personenschützer gewesen sein, und hat sich dann der Politik verschrieben.“ Deshalb also der trainierte Körper. Kein Wunder, dass Rambo sich zu ihm hingezogen fühlte. Die beiden teilten eine Leidenschaft.
Mich blendete das bunte Licht, dass aufgrund der späten Abendstunde von den Decken reflektiert wurde. Musik mit Beat und Bass wurde gespielt, aber das Volumen war noch angenehm genug für einer Unterhaltung.
„Ich bin Chrissie“, machte ich mich bekannt, während der Barkeeper aufschaute. Er lächelte: „Sure. I´m Jamy.“ Wir schüttelten uns die Hände und begannen ein Gespräch.
Ich erfuhr, dass er seit neustem hier arbeitete und ihm Rambo bereits aufgefallen war. Aus dem Nähkästchen plauderte er etwas über seine Geschwister und Eltern in England, sein Interesse an Deutschland und dessen Sprache sowie seiner Liebe zum Mixen. Während Jamy sprach, erfüllten mich seine Worte mit einer Zufriedenheit, die ich nicht verstand. Lächelnd nickte ich hin und wieder, lachte oder gab ihm Recht. Grundsätzlich verspürte ich eine Verbundenheit zu ihm, die nichts mit Romantik zu tun hatte. Wie ein guter Freund, den man nach Jahren wiedersah.
„Ich studiere“, antwortete ich ihm auf seine Frage, während ich von meinem Leben ein wenig erzählte. Ein Gast winkte ihn ein paar Meter weiter an und er entschuldigte sich. Während der Schweigeminuten füllte ich meinen Durst auf, drehte das Getränk im Glas, während mein Handy surrte. Grinsend sah ich drauf, erkannte, dass jemand geschrieben hatte und steckte das Handy wieder weg. Ich war gerade in einem super Gespräch, da wollte ich nicht gestört werden.
Jamy kam zurück, nickte mir kurz zu und holte etwas aus dem Schrank. Während seine Arme nach oben griffen, erkannte ich einen dunklen Stein an seinem Hals, der Nagelgroß zwischen den Schlüsselbeinen lag. Aufgrund meines Alkoholpegels könnte ich mir es auch nur einbilden, aber durchzogen von hellen und dunkeln Brauntönen erinnerte er mich an einen billigen Stein des Esoterikramschladens. Grinsend wollte ich äußern, dass ich auch so einen besaß, dieser aber in meiner Küche lag, als ein weiterer Gast bedient werden wollte.
Erneut brummte mein Handy.
Diesmal tippte ich die Nachricht an, erkannte den Absender nicht, aber die Zeilen selbst. Ich runzelte die Stirn. Kopfschüttelnd steckte ich das Handy weg und suchte in Google nach dem Wort Bernstein.
Der Suchmaschine zur Folge war dies ein Heil- und Schutzstein, welcher in den früheren Jahrhunderten zur Stärkung des Immunsystem und aufgrund seien heilenden Wirkung als Allerheilmittel verwendet wurde. Schmunzelnd betrachtete ich den Stein auf dem Bild, der dem an Jamys Hals ziemlich ähnlichsah.
Wieso ich das Folgende googelte, war mir nicht bewusst, aber als ich die Zeilen las, spannten sich meine Muskeln an. Der Rausch war wie weggeblasen, während ich klar und deutlich die Worte immer und immer wieder las:
Seine Wirkung erzeugt der Bernstein im Solarplexusbereich. Wer unter Stress leidet, aber auch zur Förderung der Lebensfreude, trägt diesen Stein immer bei sich. Der Bernstein kann sogar Ängste verhindern. Vertrauen und Freude wird gestärkt, je länger man ihn trägt.
Er gibt einige und viele Edelsteinvölker. Ich entstammte dem Bernsteinvolk. Alle haben irgendeine bestimmte Fähigkeit. Die Onyx und Obsidian können andere mit Hilfe ihrer Steine orten. Deshalb sind sie die Wächter geworden zur Einhaltung der Regeln. Wie die Polizei.
Das hatte Vaya betont. Ich schaute nach Farben von Bernstein.
Gelb, Braun, Blau, fast Schwarz. Auch Gold.
Scheiße. Meine Gedanken rasten, mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich drehte mich weg, las die Nachrichten von der unterdrückten Nummer erneut.
Sei auf der Hut!
Sie werden kommen und dich finden!
Wenn ich dich nicht zuerst finde!
Ich schaute auf. Jamy stand vor mir, die Hände an den Seiten und lächelte mich freundlich an.
„Kann ich dich kurz sprechen, Chrissie?“