Wir rannten durch das Schloss. Treppen rauf und wieder runter. Durch Hallen und Gänge. Ich hatte komplett die Orientierung verloren. Plötzlich standen wir in einem Gang, der nicht annähernd so aussah wie die anderen.
„Wo sind wir hier?“, wollte ich wissen.
„Das ist der Bereich von Falk. Also komm, gehen wir weiter", meinte Elio und drehte sich um. Aber ich blieb. Ich wollte nun endlich etwas über Falk herausfinden. Und wo würde ich mehr Infos zu ihm bekommen, wie in seinem Zimmer? Vielleicht würde ich auch etwas über Mom entdecken. Leise schlich ich auf die Türe zu.
„Prinzessin, was machst du denn da?“, fragte Elio unsicher.
„Ich möchte endlich mehr über Falk erfahren“, sagte ich und öffnete vorsichtig die Tür zu seinem Gemach.
„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Und wenn sogar ich das sage, solltest du es definitiv sein lassen!", versuchte Elio mich von meinem Vorhaben abzuhalten. Aber ich machte weiter. Vorsichtig linste ich in das Zimmer hinein. Zu meiner Überraschung war es nur sehr spärlich eingerichtet. Ein großes Bett, eine Kommode und ein Schreibtisch. Ach, und ein Sofa. Aber das war`s. Natürlich sah der Raum trotzdem irgendwie besonders aus. Es sah nämlich so aus, als wäre man im Inneren eines Baumstammes. Aber Falk hatte nichts Persönliches in seinem Zimmer. Ich machte einen Schritt hinein.
„Saskia, ich denke, du solltest das wirklich sein lassen“, meinte Elio unsicher. Aber ich hörte nicht auf ihn. Nun war ich hier. Vielleicht würde ich diesen Teil des Schlosses nie wieder finden. Und Elio würde mich definitiv nicht mehr hier hin führen. Da war ich mir sicher. Ich ging zum Schreibtisch hinüber und öffnete die Schubladen. Aber da war nur Pergament drinnen. Nichts, was interessant gewesen wäre. So ein Mist! Wo könnte er denn noch persönliche Dinge aufbewahren? Vielleicht in der Kommode. Ich lief zu der hübschen dunklen Kommode hin und öffnete sie. Aber auch hier fand ich nichts.
„Saskia, das ist wirklich keine gute Idee. Komm, gehen wir wieder", sagte Elio unruhig.
„Das ist meine Sache. Du musst ja nicht mithelfen. Aber mir bietet sich nun endlich die Chance, etwas über Falk herauszufinden. Diese Chance lasse ich mir definitiv nicht entgehen", giftete ich ihn an. Ich sah mir nochmal den Raum an. Vielleicht hatte er ja etwas unter seinem Bett versteckt. Ich ging hinüber und linste unter das Bett. Ha! Volltreffer! Ich hatte etwas gefunden. Ich griff unter das Bett und zog eine alte Holzkiste hervor.
„Saskia, bitte! Das sind Falks Sachen. Lass uns einfach wieder gehen!", meinte Elio unruhig. Ich ignorierte ihn aber. Ich stand so kurz davor, endlich Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Vorsichtig öffnete ich die Kiste. In der Kiste lag ein ledergebundenes Buch und ein Gemälde einer jungen Frau. Ich nahm dieses Gemälde heraus und betrachtete es. Ach du Schreck! Das war meine Mum. Aber jünger! Vermutlich war sie hier Anfang zwanzig. Falk hatte das die ganze Zeit über aufbewahrt. Vorsichtig legte ich das Bild weg und widmete mich dem Buch. Als ich mir den Einband genauer ansah, entdeckte ich in goldener Schrift den Schriftzug „Tagebuch“.
„Saskia,...“, hörte ich wieder Elio murmeln.
Doch ich Ignorierte ihn und schlug das Buch auf. Falk hatte mich von meiner Mum getrennt. Da geschah es ihm gerade recht, dass ich in seinen Sachen herum schnüffelte. Aber so ganz wohl fühlte ich mich dabei nicht. Trotzdem! Ich blätterte auf die erste Seite. Die Seiten waren sehr abgegriffen und vergilbt. Aber man konnte trotzdem noch alles lesen. Ich begann zu lesen.
Heute war ich mit ein paar Freunden im Wald unterwegs. Wir sind bis zur magischen Lichtung geritten. Die anderen sind dann weiter, aber ich wollte unbedingt noch ein paar der leckeren Beeren sammeln. Als ich auf die Lichtung kam, sah ich ein wunderschönes Mädchen! Sie sag. Ich habe noch nie eine so wunderschöne Stimme gehört. Ich habe sie lange beobachtet, aber nach ein paar Stunden ging sie dann fort. Ich werde morgen aber auf jeden Fall wieder hin gehen. Hoffentlich werde ich sie wieder treffen!
Ich hätte nicht gedacht, dass sich Falk und Mom so das erste Mal getroffen hatten. Ich vermutete, dass die magische Lichtung, von der Falk sprach, die Lichtung war, wo Mom und ich vorbeigekommen waren. Ich blätterte auf die nächste Seite.
Ich habe sie wieder gesehen! Und sie hat wieder gesungen. Sie ist so wunderschön! Und ihre Stimme! Wenn sie singt, klingt es, als würde eine Göttin singen! Sie hat nebenbei Blumen gepflückt. Aber nur rosafarbene. Vielleicht ist das ja ihre Lieblingsfarbe. Oder es ist ihre Lieblingsblume. Ich wünschte, ich könnte sie ansprechen. Aber sie ist ein Mensch. Wenn ich über die Lichtung gehe, würde sie mich wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen. Ich muss mir überlegen, wie ich sie durch den Elfenschrein locken kann, damit sie schrumpft. Dann könnte ich mit ihr sprechen. Ich hoffe, dass sie morgen wieder auf der Lichtung ist!
Wow. Er war wirklich kopfüber in Mom verliebt. Ich blätterte ein paar Seiten weiter.
Heute habe ich es endlich geschafft! Sie ist über die Lichtung zum Elfen Schrein gekommen und geschrumpft. Sie war sehr überrascht, aber ich spreche hier nicht von Angst. Ich bin zu ihr hin. Sie hat mich ziemlich komisch angesehen. Aber ich glaube, das lag nur an meinem Geweih. Ich kann es ihr nicht verübeln. Sie ist schließlich ein Mensch. Aber ich habe sie angesprochen! Ich habe mich getraut! Ich hätte nie geahnt, dass mir das einmal so schwer fallen würde. Und das Schönste daran: Sie hat geantwortet! Wir haben uns unterhalten. Sie hat mir sogar ihren Namen verraten! Sie heißt May! Wunderschön! Wir haben ausgemacht, dass wir uns morgen wieder treffen! Ich kann es kaum erwarten!
„Saskia, können wir bitte endlich gehen?“, hörte ich Elio sagen. Aber ich wollte noch weiter lesen. Ich blätterte wieder ein paar Seiten weiter.
Heute habe ich May auf einen Ritt durch den Wald eingeladen. Sie war begeistert! Ich habe ihr alle schönen Orte in diesem Wald gezeigt. Am besten hat ihr aber die Lichtung am Bach gefallen. Wir haben uns gemeinsam ans Ufer gesetzt. Wir haben über alles mögliche gesprochen. Irgendwann hat sie sich dann näher zu mir gesetzt. Ich hatte das Gefühl, dass ein Feuerwerk in mir explodiert war! Und dann hat sie sich sogar an mich gelehnt! Das war wundervoll! Leider musste ich sie dann wieder zurück zur magischen Lichtung bringen. Als wir zurück geritten sind, hat sie sich ganz nah zu mir gesetzt. Mein Herz hat verrückt gespielt! Es war so schön!
Wow! Das klang wie aus einem Liebesfilm! Die zwei waren wirklich komplett ineinander verliebt gewesen! Ich blätterte weiter.
Heute haben May und ich uns bei Sonnenuntergang getroffen. Wir sind wieder zu der Lichtung mit dem Bach geritten. Es war Vollmond und die Lichtung war in einen silbernen Glanz getaucht. Außerdem flogen überall Glühwürmchen herum. Das hat May sehr gut gefallen! Wir haben uns gemeinsam ins Gras gelegt. Sie hat immer wieder Bilder und Formen in den Sternen erkannt. Dann habe ich etwas zu essen ausgepackt. Sie war von unserem Essen begeistert! Nach dem Essen haben wir dann gemeinsam getanzt! Sie tanzt um Welten besser als ich! Und plötzlich war da dieser Moment! Sie hat mir direkt in die Augen gesehen. Und dann habe ich sie geküsst! Es war wunderschön!
Das war wunderschön! Ich verstand nicht, warum Falk Mum nicht wieder hier haben wollte. Ich blätterte nach ganz hinten. Auf die letzten beschriebenen Seiten hat Falk ein Datum draufgeschrieben. Was? Das war das Datum von meinem Geburtstag. Das hatte er also gestern aufgeschrieben.
„Bist du jetzt endlich fertig?“, nörgelte Elio im Hintergrund, aber ich ignorierte ihn weiter. Ich musste wissen, was Falk geschrieben hat.
Ich fasse es nicht! Heute ist May zurück gekehrt! Und sie hat ein Mädchen mitgebracht, Saskia. Sie ist unsere Tochter! Ich hätte nicht gedacht, dass sie so etwas von mir verheimlicht hat. Saskia habe ich hier behalten, da sie die Thronerbin ist. May musste ich wegschicken. Es hat mir das Herz gebrochen! Ich habe sechzehn Jahre lang versucht sie zu vergessen. Und nun steht sie wieder hier. Und ich habe gespürt, dass ich sie noch immer liebe. Ich liebe sie so sehr wie an dem Tag, als ich sie das erste Mal sah.
„Saskia!“ Ach du schreckt. Das war nicht Elio gewesen. Langsam drehte ich mich um und sah Falk in der Tür stehen.
„Was machst du da?“, fragte er mit donnernder Stimme. Dann viel sein Blick auf das Buch in meinen Händen.
„Leg das sofort zurück!“, giftete er mich an. Kleinlaut legte ich das Tagebuch zurück in die hölzerne Kiste. Das Gemälde von Mom legte ich auch zurück.
„Du liebst sie noch, habe ich recht?“, fragte ich Falk.
„Das geht dich gar nichts an!“, sagte er mit dunkler Stimme.
„Aber warum hast du Mom dann weggeschickt?“, bohrte ich weiter nach.
„Ich sagte, das geht dich gar nichts an!“
„Natürlich geht mich das etwas an! Sie ist schließlich meine Mom!", giftete ich zurück.
„Warum kann sie nicht auch hier wohnen? Du vermisst sie! Ich vermisse sie! Was spricht also dagegen?"
„Es geht nicht!“, donnerte Falk.
„Warum?“ schrie ich.
„Das geht dich nichts an!", donnerte Falk mit lauter Stimme.
„Du bist ein Mistkerl!“, schrie ich den Tränen nahe.
„Wehe dir, du beleidigst mich nochmals! Und wehe, du sprichst nochmal von deiner Mutter!", brüllte Falk.
Nun rannen mir heiße Tränen die Wangen runter. Ich drängte mich an ihm vorbei und rannte weg. Elio folgte mir und brachte mich auf mein Zimmer, wo ich für den Rest des Tages blieb.