„Danke“, sagte ich zu Elio. Nachdem wir wieder im Schloss angekommen waren, wollten Mom und Dad noch ein paar Dinge gemeinsam besprechen und deshalb waren Elio und ich in den Hofgarten gegangen.
„Wofür?“, wollte er verwirrt wissen.
„Dafür, dass du mich gestern gerettet hast. Denn wenn du gestern nicht gewesen wärst, würde ich nun nicht mit meiner Mom und meinem Dad hier sein", sagte ich und umarmte ihn zu Dank überschwänglich. Erst stand Elio ganz steif da, doch nach kurzer Zeit entspannte er sich und Umarmte mich auch.
„Das ist doch selbstverständlich", murmelte er. Ich rückte ein Stück von ihm ab und sah ihn kopfschüttelnd an.
„Nein, ist es nicht! Ich bin weggerannt und trotzdem hast du mir kurze Zeit später das Leben gerettet. Du hättest genau so gut sagen können, dass ich das, was ich mir eingebrockt habe auch ausbaden könnte", sagte ich mit Nachdruck.
„Du hast sie doch nicht alle! Wir sind Freunde, Saskia. Und auch wenn du etwas Dummes oder Verrücktes machen würdest, würde ich dich immer beschützen", sagte er. Ich lächelte ihn an. Ich hatte in so kurzer Zeit einen so guten Freund gefunden. Auch das war nicht selbstverständlich! Ich würde definitiv nicht mehr versuchen, abzuhauen. Plötzlich hörte ich ein Räuspern. Ich drehte mich um und sah Mom im Türrahmen stehen. Da fiel mir erst auf, dass Elio und ich uns noch immer hielten. Mir stieg die Röte ins Gesicht. Aber Mom grinste nur.
„Ich denke, ich lasse dich und deine Mom nun ein bisschen in Ruhe. Ich vermute, ihr habt auch einiges zu besprechen", sagte Elio.
Ich werde aber nicht all zu weit weg sein", fügte er dann hinzu und entfernte sich von mir. Kam es mir nur so vor, oder hatten Elios Wangen ebenfalls eine leichte Röte angenommen? Mom kam zu mir herüber.
„Also, was genau läuft da zwischen dir und diesem Elfen?“, wollte sie grinsend wissen.
„Da ist gar nichts. Wir sind nur Freunde. Außerdem ist Elio mein Beschützer", erklärte ich ihr.
„Aha", sagte sie, schien mir das mit den Freunden aber offensichtlich nicht abzukaufen.
„Was haben du und Dad eigentlich noch besprochen?", wollte ich nun wissen.
„Wir haben viel über die letzten sechzehn Jahre gesprochen und wie es nun weitergeht. Ich werde auf alle Fälle hier bleiben und alles weitere werden wir sehen", meinte Mom nur.
„Sollen wir noch ein bisschen durch den Hofgarten spazieren? Ich würde nur zu gerne hören, was du die letzten Tage alles getrieben hast. Ach ja, warum ist Falk eigentlich verletzt?", fragte sie. Ich starrte auf meine Füße.
„Das ist eine lange Geschichte", murmelte ich.
„Na dann komm. Gehen wir ein Stückchen und du erzählst mir jetzt alles." Ich nickte. Und so spazierten wir gemeinsam durch den riesigen Garten, während ich Mom alles von dem Zeitpunkt unserer Trennung bis heute erzählte. Mom hörte mir gespannt zu. Hin und wieder stellte sie Fragen. Als ich zu der Stelle kam, wo ich abgehauen war, musterte sie mich besorgt. Aber als sie hörte, dass Elio mich gerettet hatte, fing sie an zu grinsen.
„Also irgendwas ist da schon zwischen dir und Elio, habe ich recht?“, fragte sie frech.
„Mom, wir sind wirklich nur Freunde", versuchte ich ihr klar zu machen.
„Ja ja, das sagen sie alle", erwiderte Mom. Ich warf ihr einen bösen Blick zu, doch davon begann sie nur zu lachen und nahm mich dann in den Arm. Dann liefen wir weiter.
„Wie ist es eigentlich für dich nach so vielen Jahren wieder mit Dad zusammen zu sein?“, fragte ich sie.
„Es ist anders wie damals, aber es ist trotzdem wunderschön!“, murmelte sie nur verträumt.
„Vor allem haben wir dich jetzt auch noch. Wir haben gemeinsam eine kleine Familie gegründet, was einfach wundervoll ist. Ich habe damals schon davon geträumt und es mir in den schönsten Farben ausgemalt, aber das hier", sie machte eine Geste, die alles zusammen zu fassen schien.
„Das ist einfach so viel schöner, wie ich es mir damals immer vorgestellt habe!“ Mom war so glücklich. Ich war so froh, dass ich sie wieder bei mir hatte. Plötzlich fiel mir etwas ein.
„Mom, was ist eigentlich meine genaue Geburtszeit?“, fragte ich sie aufgeregt.
„Warum möchtest du das denn jetzt wissen, Schatz?“
„Es ist sehr wichtig! Bitte sag es mir." Ich verknotete meine Finger ineinander, während Mom nachdachte.
„Es müsste sechs Uhr sieben am Morgen gewesen sein. Ja, das war es", sagte sie. Ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Danke, Mom", flüsterte ich.
„Aber verrätst du mir jetzt, für was du diese Information unbedingt benötigst?“, fragte Mom noch immer verwirrt.
„Mit meiner genauen Geburtszeit kann Althea mir vielleicht sagen, welche Magie ich einmal bekommen werde, wenn mein Geweih ausgewachsen ist", erklärte ich und griff stolz an die zwei hölzernen Stümmel auf meinem Kopf. Mom musterte mich lächelnd.
„Vor zwei Tagen hättest du alles dafür gegeben, um deinen Geweihansatz wieder loszuwerden und heute bist du stolz darauf“, murmelte sie. Ich grinste. Ja, ich war stolz darauf, die Prinzessin dieses Waldes zu sein und ich war stolz darauf, ein Geweih zu besitzen.
„Kommst du mit zu Althea?", fragte ich nun. Mom nickte und wir machten uns auf den Weg zu unserer Heilerin. Elio gesellte sich auf halbem Weg dazu. Ich stellte sie einander vor. Auf dem Weg zu Althea unterhielten wir uns über alles mögliche. Von Feiertagen der Elfen bis hin zu der Frage, warum so viele Elfen barfuß herum liefen, war alles dabei. Dann erreichten wir das Zimmer unserer Heilerin. Ich klopfte an und Althea bat uns kurz darauf herein.
„Oh, Hallo May! Schön dich zu sehen. Es tut mir leid, dass der Trank, den ich damals für euch gemacht habe, nicht die erwünschte Wirkung erzielt hat, aber ich glaube, wir sind alle sehr froh, dass er nicht gewirkt hat", sagte Althea mit einem Zwinkern.
„Ja, ich bin sehr froh, dass der Trank nicht gewirkt hat“, murmelte Mom und legte mir ihre Hand auf meine Schulter.
„Also, weswegen seid ihr hier?“, fragte sie dann.
„Wir wissen nun meine genaue Geburtszeit,“ sagte ich aufgeregt und verknotete meine Finger ineinander.
„Na dann rück mal raus mit der Sprache“, sagte Althea und man merkte ihr an, dass auch sie neugierig war.
„Ich wurde um sechs Uhr sieben geboren“, verkündete ich hibbelig.
„Interessant“, murmelte die Heilerin.
„Wartet bitte kurz hier", wies sie uns an und verschwand in einem anderen Teil des Zimmers. Immer wieder hörte man etwas Rascheln und Klimpern.
„Was macht sie denn?“, fragte Elio. Ich zuckte mit den Schultern. Da kam Althea auch schon wieder zurück. Sie blätterte in einem dicken Wälzer. Dann kritzelte sie etwas auf ein Blatt Papier und blätterte wieder auf eine andere Seite. Sie sah sehr verwirrt aus. Mom, Elio und ich verfolgten gespannt jede ihrer Bewegungen. Dann klappte die Heilerin das Buch zu.
„Nichts. Ich habe nichts zu der Fähigkeit von Saskia herausfinden können. Zu dieser Zeit standen die Sterne in einem sehr ungewöhnlichen Muster. Ich werde mich aber auf alle Fälle daran machen, herauszufinden, was Saskia für Fähigkeiten besitzt." Ich nickte dankend und hoffte, dass man mir meine Enttäuschung nicht anmerkte. Althea konnte nichts dafür, dass sie nicht herausgefunden hatte, was meine Magie war.