„Nein!“, murmelte ich. Das war meine Schuld. Nur wegen mir war Dad nun verletzt.
Da sah ich, wie ein Elf Falk hereintrug. Überall sah man Blut. Ich wollte zu ihm gehen, aber die Elfen ließen mich nicht durch. Es sammelten sich wieder neue Tränen in meinen Augen. Das hatte ich nie bezwecken wollen! Natürlich war ich sehr sauer auf Falk gewesen. Aber er hatte sich für mich in Gefahr begeben! Wir hatten uns beieinander entschuldigt. Warum musste dieser Abend so ausgehen? Ich spürte, wie mir heiße Tränen die Wange hinunter liefen. Jemand kam zu mir und legte seinen Arm um mich. Ich drehte mich um und sah Elio. Ich ließ mich von ihm in eine Umarmung ziehen.
„Hey. Lass den Kopf nicht hängen! Althea bekommt das wieder hin! Du willst gar nicht wissen, wie oft sie mich schon zusammen geflickt hat. Natürlich musste ich dazu unendlich viele grässliche Elixiere trinken, aber schlussendlich hat sie mich immer wieder hinbekommen. Oft ist nicht einmal eine Narbe zurückgeblieben", versuchte Elio mich aufzumuntern. Ich schenkte ihm ein schwaches Grinsen.
„Wir können Falk später vielleicht besuchen gehen. Ich halte die Ohren offen, ob ich mitbekomme, wann man zu ihm darf", meinte Elio.
„Aber ich denke, du verträgst nach dieser Aufregung etwas zu essen“, murmelte er dann. Ich löste mich aus der Umarmung. Eigentlich hatte ich nicht das Verlangen, etwas zu essen, aber Elio zuliebe nickte ich.
„Na dann, auf geht`s“, meinte er nur und lief los. Und wie immer trottete ich hinter ihm her. Aber heute beschwerte ich mich nicht darüber. Ich war einfach froh, wieder hier zu sein. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich das einmal sagen würde. Elio brachte mich in den Speisesaal und ich bekam nochmals dasselbe wie heute Mittag. Plötzlich öffnete sich die Türe des Speisesaals.
„Falk ist wohl auf. Wenn es gewünscht ist, darf man ihn besuchen gehen", sagte ein Elf, den ich nicht kannte. Ich stand so schnell auf, dass mein Stuhl zurückkippte. Elio hatte ihn aber gleich wieder aufgestellt. Dann machten wir uns auf den Weg zu Falks Zimmer. Meine Hand zitterte ein wenig, als ich nach der Türklinke griff. Vorsichtig öffnete ich die Türe und linste in den spärlich eingerichteten Raum.
„Saskia, schön, dass du gekommen bist“, sagte Falk. Er hatte noch immer ein paar Blutspuren im Gesicht. Außerdem war sein rechter Arm dick verbunden worden und auch an seiner linken Schulter hatte er einen Verband. Ich ging zu ihm hinüber und Umarmte ihn. Ich spürte, dass Falk damit komplett überfordert war.
„Es tut mir leid!“, murmelte ich.
„Mir auch, Saskia!“, erwiderte er nur. Dann löste ich mich wieder aus der Umarmung. Ich sah ein verräterisches Glitzern in Falks Augen.
„Weißt du, Saskia, ich war komplett überfordert damit, dass ich plötzlich eine Tochter habe. Außerdem war ich auch irgendwie sauer auf deine Mutter, dass sie dich sechzehn Jahre vor mir verheimlicht hat. Aber deine Mutter trägt keine Schuld. Sie hat alles richtig gemacht. Sie hat gesehen, dass du damals keine Elfenmerkmale hattest und hat dich dann in ihrer Welt aufgezogen. Sie hat dir ein wunderschönes Leben geschenkt. Und nun haben sich deine Elfenmerkmale gezeigt. Deine Mutter musste dich hierher bringen. Aber ich wollte sie dir nicht wegnehmen, weil ich nur an mich gedacht habe. Ich habe nicht daran gedacht, dass ich einem jungen Mädchen das Leben zerstöre. Und an was ich auch nicht gedacht habe, ist, dass ich dir deine Mutter weggenommen habe. Also, wenn du möchtest, kann ich dir deine Elfenmerkmale wegnehmen und dich zurück zu deiner Mutter bringen", sagte er.
„Aber du müsstest noch meine Genesung abwarten, da ich im Moment nicht die Kraft dazu habe", fügte er hinzu. Ich hätte definitiv nicht erwartet, dass er das sagen würde. Ich überlegte kurz, aber ich hatte etwas erkannt. Ich wollte nicht mehr zurück in die Menschenwelt. Das Einzige, was ich vermisste, war meine Mom und meine Freundinnen. Ansonsten vermisste ich gar nichts. Außerdem hatte ich hier so viele liebe Elfen kennengelernt, die ich alle vermissen würde und ich hatte endlich meinen Dad gefunden!
„Nein!“, sagte ich fest. Dad sah mich verwundert an.
„Was meinst du mit nein?“, wollte er wissen.
„Ich möchte meine Elfenmerkmale behalten. Mir gefällt es hier und dieses Schloss hat sich in nur einem Tag in mein Zuhause verwandelt. Außerdem habe ich sehr viele neue Freunde gefunden. Und ich habe endlich meinen Dad gefunden. Das möchte ich nicht alles wieder verlieren!", antwortete ich ihm. Da kullerte Falk eine Träne über die Wange.
„Und ich habe endlich meine Tochter gefunden. Du weißt gar nicht, wie schwer es mir gefallen wäre, dich gehen zu lassen", murmelte er lächelnd und weinend. Da umarmte ich ihn nochmals. Ja, ich hatte endlich meinen Dad gefunden! Ich hatte ein Zuhause und viele neue Freunde. Nun war mir endlich bewusst geworden, dass ich das nicht alles wieder aufgeben wollte! Aber trotz alle dem tauchte meine Mom wieder vor meinem inneren Auge auf. Das verpasste mir einen Stich ins Herz. Es war nicht fair, dass ich eine neue Familie gefunden hatte, während Mom nun ganz alleine war.
„Aber könnte Mom nicht auch hier wohnen?“, musste ich nun einfach fragen.
„Weißt du, Saskia, ich habe Angst. Ich habe Angst davor, dass die Elfenwelt deine Mutter nicht aufnimmt oder sie gar verstößt. Oder dass sie dich verstoßen, wenn sie erfahren, dass du auch menschliches Blut in dir hast", sagte Dad.
„Aber alle hier aus dem Schloss wissen von Mom und trotzdem haben sie mich alle mit offenen Armen in Empfang genommen“, antwortete ich. Dad starrte vor sich hin.
„Außerdem vermisse ich sie sehr. Und du doch auch", sagte ich mit etwas Nachdruck.
„Sie würde deinen Genesungsprozess sicher auch beschleunigen“, hörte ich plötzlich Althea von der Tür her sagen.
„Außerdem ist es auch für Saskia wichtig, eine Mutter zu haben", erklärte sie weiter. Das schien den letzten Zweifel in Falk zu vertreiben.
„Na gut. Wir werden May zu uns holen. Aber das würde ich gerne machen", sagte er und lächelte versonnen. Ich musste grinsen. Dad war wirklich kopfüber in Mom verliebt.
„Könnte ich da nicht auch mitkommen?“, fragte ich vorsichtig.
„Aber nur unter meiner Aufsicht!", sagte Elio und trat hinter Althea hervor.
„Na gut", sagte Falk lächelnd.
„Aber wie kommen wir überhaupt zu Mom? Wir haben weit weg von hier gewohnt", fragte ich dann.
„Wir werden May auf der magischen Lichtung treffen", sagte Falk geheimnisvoll. Ich zog verwirrt eine Augenbraue hoch.
„Wir hatten ein Zeichen füreinander, wenn wir uns auf der magischen Lichtung treffen wollten", sagte Dad nur. Ich grinste. Dann machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Ich war glücklich! Heute waren einige Missverständnisse entstanden, aber wir hatten alles gelöst! Ich war endlich zu Hause und hatte meinen Dad gefunden. Außerdem hatte ich den besten Leibwächter überhaupt und die tollsten Lehrer, die beste Schneiderin und eine umwerfende Ärztin, die meinen Vater gerettet hatte und dank der ich morgen meine Mom wieder sehen würde! Endlich fühlte ich mich wohl in meiner neuen Heimat. Und endlich hatte ich meine neue Bestimmung als die Prinzessin dieses Waldes wirklich akzeptiert!