Gandar nahm bei einem edelfreien Gutsherrn, den er von früheren Besuchen her kannte, Quartier. Der Mann war ein treuer Parteigänger der Staufer und behandelte Ahmad mit der gleichen Höflichkeit, die er Gandar entgegenbrachte. Er nahm die Männer in sein Haus auf, ohne lästige Fragen zu stellen, obwohl Gandar ihm die Verwunderung über dieses Ansinnen deutlich ansah. Gandar verspürte jedoch nicht den geringsten Wunsch, sich mit Richards kleinlichem Argwohn herumschlagen zu müssen. Zudem schien es ihm ratsam, sich nicht auf der Glouburg blicken zu lassen, solange sein Bart nicht nachgewachsen war. Seine Tarnung würde vermutlich auch bartlos einem nicht allzu kritischen Blick standhalten, aber man wusste ja nie.
Nachdem Gandar sich ein grobes Bild der Lage verschafft hatte, ging er mit der ihm eigenen Gründlichkeit daran, Pläne zu schmieden. Er schrieb einen ausführlichen Bericht an Konrad, in dem er seinen Verdacht Gwenfrewi von Brenneberg betreffend darlegte. Mochte der junge Staufer sich doch mit den Konsequenzen seiner Brautwahl auseinandersetzen. Er siegelte den Brief, ließ sich ein Pferd satteln und machte sich auf den Weg ins nahe gelegene Kloster Konradsdorf, um dem Propst einen Besuch abzustatten. Vor den Augen der Welt folgte Bruder Konrad streng der stauferfeindlichen Linie des Papstes. Doch im Geheimen sammelte er Informationen für den König oder kümmerte sich um den Transport wichtiger Nachrichten.
Darum empfing er den Herrn von Rodéna, der in seiner üblichen, ein wenig nachlässigen Montur vor ihm erschien, mit tadelndem Kopfschütteln, während es um seine Mundwinkel jedoch verräterisch zuckte. »Wahrlich, mein Sohn, Ihr seid ein Brandstifter, wie er im Buche steht«, bemerkte Bruder Konrad streng. »Welcher Teufel hat Euch geritten, einen Streit mit einem Verwandten des Herzogs von Burgund anzufangen?«
»Wieso seid Ihr so sicher, dass ich der Urheber bin?«, erkundigte sich Gandar interessiert.
Der Propst hob die Schultern. »Weil Ihr es noch nie lassen konntet, für die Schwachen und Wehrlosen in die Bresche zu springen.«
»Oh.« Gandar bemühte sich um ein angemessen zerknirschtes Gesicht, was ihm jedoch nicht so recht gelingen wollte. »Ich hatte darauf gehofft, dieses unmögliche Lied wäre Euch noch nicht zu Ohren gekommen.«
»Wo denkt Ihr hin! Jedermann hier im Umkreis kennt es.« Begeistert drosch Bruder Konrad ihm auf die Schulter, während sich sein verschmitztes Lächeln nun endgültig Bahn brach. »Schön, Euch gesund und munter zu sehen, mein Sohn. Was führt Euch zu mir?«
»Das Bedürfnis, mit einem Menschen zu sprechen, bei dem ich nicht gezwungen bin jedes Wort auf die Goldwaage zu legen«, gab Gandar zurück.
»Dann seid Ihr hier richtig.«
»Obendrein habe ich einen Bericht für den König, der umgehend zugestellt werden muss.«
»Das wird schwierig.«
»Weshalb?«
Bruder Konrad seufzte. »Hier braut sich etwas zusammen. Kommt mit hinein, dann berichte ich Euch, was ich weiß.«
Gandar übergab sein Pferd einem herbeieilenden Diener und folgte dem Propst zu dem steinernen Haus außerhalb der Klausur, die den Ordensschwestern vorbehalten war. Konrad führte seinen Gast in sein Arbeitszimmer und schickte nach Wein. »Wann habt Ihr den König zum letzten Mal gesehen?«, fragte er.
»Vor einem Monat, schätze ich.«
»Habt Ihr zuverlässige Kunde, wo er sich im Augenblick aufhält?«
»Nein. Ich hatte darauf gehofft, Ihr wüsstet es.«
»Tja, seht Ihr, die Sache ist nicht so einfach«, bekannte Konrad. »Vermutlich befindet sich der König noch im Süden. Vielleicht aber auch nicht. Die Ratten kriechen allenthalben aus ihren Löchern und zwingen Konrad, ununterbrochen in Bewegung zu bleiben. Höchst lästig, das Ganze.«
»Denkt Ihr, Ihr könntet so langsam mit Eurer schlechten Nachricht herausrücken, Bruder Konrad?«
Propst Konrad setzte sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch und lud Gandar mit einer Geste ein, ebenfalls Platz zu nehmen. Er lächelte anerkennend. »Euch kann ich einfach nichts vormachen, hm?«
»Schwerlich.«
»Also schön. Heinrich Raspe zieht unter der schützenden Hand des Erzbischofs von Mainz, seine Truppen im Gebiet zwischen Rhein und Main zusammen. Früher, und vor allem zahlreicher als vorauszusehen war. Zur gleichen Zeit tauchen in allen wichtigen Städten wortgewaltige Mönche auf und beginnen, das Kreuz zu predigen.«
»Das war zu erwarten«, warf Gandar ein. »König Ludwig ist fest entschlossen, ins Heilige Land zu ziehen.«
Propst Konrad schnaubte angewidert. »Tja, wenn die Predigten denn tatsächlich für die Befreiung der heiligen Stätten werben würden. Aber das tun sie nicht. Die Mönche rufen zum Kreuzzug gegen Kaiser Friedrich und König Konrad auf.«
Gandar pfiff vor sich hin. Er wusste zwar, wie verbissen der Machtkampf zwischen Kaiser und Papst geführt wurde, doch durch diesen Schachzug des Papstes bekam der Streit eine ganz neue Qualität. Für Konrad wurde die Lage langsam todernst.
»Um auf Eure Botschaft zurückzukommen«, fuhr Konrad fort. »Ein Bote benötigt im besten Fall fünf Tage, um Hallis zu erreichen. Sollte der König bis dahin den Rückweg angetreten haben, wäre es durchaus möglich, einander zu passieren, ohne dass die eine Partei von der anderen etwas bemerkt. Die Gegend ist waldreich und unwegsam.«
»Meine Botschaft ist dringlich. Ich habe einen Spion entlarvt, der vermutlich in Diensten des Erzbischofs von Mainz steht.«
»Bravo. Wer ist der Mann?«
»Kein Mann. Eine Frau. Die von Konrad höchstselbst ausgewählte Braut meines Bruders.«
»Donnerwetter.«
»Das könnt Ihr laut sagen.« Gandar unterbrach sich, weil der Diener mit dem Wein erschien. Nachdem er den Raum wieder verlassen hatte, fuhr er fort: »Der König hat unwissentlich eine Situation geschaffen, wie sie vertrackter nicht sein könnte. Die Hochzeit muss abgesagt werden.«
Aber der Propst schüttelte versonnen den Kopf. »Wir sollten nichts überstürzen, mein Sohn. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn es uns nicht gelänge, aus dieser Heirat Kapital zu schlagen.«
»Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte«, bekannte Gandar.
»Tja, lasst mich nachdenken ... Mit ein wenig Geschick ließe sich gewiss steuern, welche Informationen die Dame dem Erzbischof zukommen lässt ... sollten wir uns nicht vertagen und Euren Bruder zu diesem Gespräch hinzubitten? Schließlich hätte er die Hauptlast des Planes zu tragen.«
Gandar schnitt eine kleine Grimasse. »Daraus wird nichts, fürchte ich. Ganz gleich, welche Argumente ich für Euer Vorhaben ins Feld führen könnte, Richard würde ihnen kein Gehör schenken. Schon aus Prinzip. Ihm missfällt der Gedanke, eine Frau heiraten zu müssen, die er noch nie gesehen hat.«
Propst Konrad trank bedächtig von seinem Wein und faltete dann die Hände auf der Tischplatte. »Wer ist sie?«
»Das weiß er nicht.«
»Kommt schon, Gandar, danach habe ich nicht gefragt. Ich verwette mein letztes Fass dieses ausgezeichneten Burgunders darauf, dass sie jung und hübsch ist.«
»Ihr habt vermögend vergessen.«
»Donnerwetter! Das auch noch? Dann begreife ich nicht, warum Euer Herr Bruder sich bockig stellt.«
»Ich fürchte, ich habe versäumt, zu erwähnen, dass ich seine Braut kenne«, erwiderte Gandar flapsig.
»Ihr habt was?«, fragte Konrad verwirrt. »Aber warum?«
»Es hätte nichts geändert«, stellte Gandar fest. »Außerdem hat Richard es verdient, ein wenig zu leiden.«
»Das kann doch nicht Euer Ernst sein, Mann«, sagte Konrad. Es klang fast beschwörend. »Es wäre eine offene Provokation sich dem Willen des Königs zu widersetzen.«
»Ich weiß.«
»Ihr seid wirklich ein Brandstifter.«
Mit einem bitteren kleinen Lächeln sah Gandar Konrad an. »Ich habs begriffen.«
»Ich vertraue auf Euer Urteil, Gandar«, sagte der Propst. »Auch wenn es mir diesmal recht schwerfällt. Da ist etwas an Euch, auf das ich nicht den Finger legen kann, eine Art Finsternis, die Euch umgibt ...«
Gandar hob die Schultern. »Das täuscht.«
»Wenn es etwas gibt, worüber Ihr nicht offen sprechen wollt, kann ich Euch gerne die Beichte abnehmen.«
»Danke, aber nein danke. Sorgt nur dafür, dass meine Botschaft den König erreicht.«
»Verstehe«, erwiderte Konrad knapp. »Nun, ich tue, was ich kann.«
Gandar leerte seinen Becher und stellte ihn auf den Tisch. Er hatte genug gehört. Er kam nicht umhin sich zu fragen, ob er nicht zu viel auf einen Wurf gesetzt hatte. Aber wie auch immer die Sache ausging - ein Zurück gab es jetzt nicht mehr.