Das Unwetter saß wie eine riesige Spinne über der Stadt. Menschen liefen mit hochgeschlagenen Kragen und grimmigen Gesichtern an mir vorbei, ankämpfend gegen den Wind und das herabstürzende Nass. Zielstrebig eilten sie an Orte, die hoffentlich trockener und wärmer waren, als diese Straßenecke. An den Rändern ihrer Regenschirme verbanden sich die dichten Tropfen zu flüssigen Girlanden, die mich an altmodische Perlenvorhänge erinnerten.
Der Abend brach langsam an und die Ampeln und Verkehrszeichen spiegelten sich in den dunklen Pfützen auf dem Asphalt.
Mit der Kälte, die langsam in meine Knochen fuhr, sank auch mein Selbstvertrauen. Ich merkte, dass ich mich recht elend fühlte, und ich wusste, es war der Alkohol. Die paar Schluck Rum am Tag zuvor hatten mich eine Weile bei der Stange gehalten, die abenteuerlichen Begebenheiten taten den Rest. Doch jetzt wollte der Körper sein Soll.
Sargon hatte mich am Straßenrand abgesetzt und gemeint, ich würde nur drei Minuten warten müssen. Dann fuhr der Lastwagen mit der Aufschrift „CAMODI - Carlos Mobiles Discofieber“ davon.
In Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht die lange, schwarze Limousine, die am Bordstein angehalten hatte.
Die Beifahrertür und die hintere Passagiertür öffneten sich und zwei Kerle in schwarzen Regenmänteln stiegen kurz aus. Sie blickten zu mir hinüber und ich verstand.
Der Regen rann mir über das Gesicht, durchweichte meine Kleidung, inmitten einer monochromen, tristen Welt, die durch die feuchten, grellen Farben der Autoscheinwerfer und reißerische Neonreklamen beleuchtet wurde. Ich sah mich noch einmal um, und dann verschwand der alte Penner in Caritaskleidern in einer Limousine mit verdunkelten Fenstern.
Ein ungewöhnliches, nicht alltägliches Bild.
Doch geht man achtsam durch die Straßen dieser Welt, anstelle über Probleme brütend auf die eigenen Schuhe zu starren, stellt man fest, dass solche seltsamen Dinge unentwegt passieren.
Im Auto saß ich schweigend dem unbekannten Mann gegenüber. Der Fahrer und der Beifahrer waren von uns durch eine Glaswand getrennt. Das Regenwasser tropfte noch aus meinen Haaren über mein Gesicht und ich versuchte es mit dem nassen Ärmel meines Mantels abzuwischen. Draußen fiel weiter Wasser vom Himmel. An einer Kreuzung starrte ich durch das nasse Fenster einen Bettler an, der umgeben von Werbetafeln von e-on und Prada einen leeren Plastikbecher den vorbeieilenden Menschen entgegenstreckte. Ich blickte fassungslos, doch auch fasziniert, auf seine dunkle, unscharfe Gestalt, die wie eine Erscheinung inmitten der Sintflut kniete. Während der Wagen weiterfuhr, versuchte ich mit dem Zipfel meines eigenen Landstreichermantels die feuchten Flecken auf den kostbaren Ledersitzen der Limousine wegzuwischen. Schuldbewusst sah ich den Mann im dunklen Mantel an.
„Ich heiße Jan-Marek“, sagte ich, um die Stille zu brechen.
Es vergingen einige Sekunden, bis er antwortete. Offensichtlich überlegte er, ob ich würdig genug war, dass man mit mir kommunizierte.
„Ich bin Dante“, sagte er schließlich. Er trug einen kleinen Bart um die Lippen, hatte jedoch seine Wangen penibel rasiert. Auch seinen Kopf bedeckte nicht das geringste Härchen. Seine Hände steckten in schwarzen Lederhandschuhen, und um seinen Hals schimmerte unter dem breiten Kragen aus Leder eine goldene Kette hervor.
Ich dachte daran, dass die Kollaboration mit Luzifer - was immer das in der Praxis bedeutete - auf jeden Fall zu einer Verstärkung des persönlichen Geschmacks beitrug. Offensichtlich ergänzt durch die Tatsache, dass für diese Leute Geld kein Thema war, das ihnen Kopfzerbrechen machte.
Mein Gedankengang wurde jäh unterbrochen. Die lange Limousine änderte plötzlich den Kurs und begann sich mit quietschenden Reifen zu drehen. Ich spürte, dass wir etwas umgerissen hatten. Es mochte eine Mülltonne sein, eine Telefonzelle oder eines diese kleinen Stadtautos, die ich nun überall sah. Mein Gesicht wurde kurz gegen die Glasscheibe geschlagen.
Als mir dämmerte, dass wir stehengeblieben waren, packte mich Dante an der Schulter.
„Auf den Boden legen“, befahl er. „Sofort!“
Er griff nach der Rückenlehne, an der ich zuvor gesessen hatte und kippte sie um. Ein Sturmgewehr mit einem zusätzlichen Granatwerferlauf kam zum Vorschein. Bevor ich mich umsah, trat Dante die Tür auf und rutschte elastisch hinaus in den Regen. Eine lärmende Mischung aus Gewehr- und Pistolenschüssen drang zu mir und vermengte sich mit dem panischen Kreischen von Menschen.
Was für ein Aufwand, um einen Landstreicher dingfest zu machen, schoss es mir durch den Kopf. Ich sah durch die Trennwand nach vorne, in die Fahrerkabine. Beide Männer waren bereits draußen und suchten genauso wie Dante Deckung hinter der offenen Tür. Sie schossen wie wahnsinnig um sich. Ich selbst hatte Schwierigkeiten, in dieser Mischung aus Nacht und Regen irgendwas auszumachen. Erst nach einigen Sekunden nahm ich den ersten Gegner wahr. Ein Gewehrlauf, postiert an einem Fenster an der Straße. Von da an sah ich sie überall. Sie hatten einen Wagen quergestellt, um die Limousine aufzuhalten. Im nächsten Augenblick hörte ich das dumpf ploppende Geräusch des Raketenwerfers zu meiner Rechten und sah die Blockade in einer Welle aus Blechteilen und lodernden Gummifetzen explodieren. Die Luft war inzwischen erfüllt mit dem Geruch von Schießpulver und brennendem Benzin. Ich hörte das verdampfende Regenwasser zischen.
„...erbitten sofortige Verstärkung!“ hörte ich Dantes Stimme inmitten des Kugelhagels.
Der Beifahrer robbte in der Hocke nach hinten, bis er sich direkt neben Dante duckte. Er hielt in jeder Hand eine Pistole und blickte grimmig in meine Richtung.
„OKO“, meinte er angewidert.
„Dann wollen sie ihn lebend“, erwiderte Dante. Er hielt seine Armbanduhr oder was es auch immer war, unter sein Kinn und brüllte nur ein kurzes: „E.T.A.?“ hinein.
Die Antwort schien sofort zu kommen, denn er wandte sich an seinen Mitstreiter.
„1 Minute 40 Sekunden. Ich werde Sargon ein Jahr lang einen ausgeben für die Idee mit der Bereitschaft.“
„Wenig Munition!“ hörte ich den Fahrer schreien.
Dante griff unter seinen Mantel und zog zwei Clips hervor. Er warf sie mir zu. Inzwischen hatte der Fahrer einen Schalter betätigt. Das Trennglas fuhr gemütlich herunter. Ich reichte ihm die Magazine.
Im nächsten Augenblick hörte ich den Beifahrer kurz hecheln und dann wie einen Stein umfallen.
Dante warf sich zu mir in das Innere des Wagens und feuerte mit seinem Gewehr heraus. Als sein Magazin leer war, ließ er es fallen. Dann griff er wieder hinter die Ledersitze und kam mit drei Behältern hervor, die wie große Spraydosen aussahen. Er entsicherte sie nacheinander und schleuderte sie in verschiedene Richtungen hinaus.
„Tür auf!“ rief er mir zu. Ich tat wie geheißen, und die letzte Dose flog an meiner Nase vorbei. Dante griff nun unter seinen Mantel und zückte eine Pistole. Die geworfenen Dosen stellten sich als Nebelgranaten heraus. Bald schon war unser Auto in eine dichte gelbe Wolke gehüllt.
„Wir müssen von dem Wagen weg, Lance“, rief er nach vorne. Er rutschte geschmeidig an mir vorbei und sprang hinaus.
„Raus“, raunte Dante. Ich kletterte ihm hinterher.
In geringer Ferne hörte ich die Sirenen eines Polizeiautos. Lance, der Fahrer gesellte sich zu uns und in gebückter Haltung schlichen wir uns an den parkenden Autos vorbei. Die beiden Guerilleros blieben einige Male stehen und feuerten durch den Nebel.
Während ich an einem BMW vorbeikroch, blickte ich plötzlich in die bebrillten Augen des Eigentümers. Er sah wie ein Beamter aus oder einer dieser Finanzjongleure, die ihr Vermögen mit Dingen gemacht haben, die man nicht anfassen kann. Sein Gesicht war kreideweiß und seine Augen starrten mich durch die nasse Fensterscheibe an, als wäre ich ein Geist. Unweit von uns zerschlug eine Kugel ein großes Schaufenster und ließ über uns Tausende winzige Scherben herab rieseln.
Plötzlich hörte ich ein mehrfach verstärktes Geräusch von Motoren hinter mir. Sechs Enduros tauchten aus dem vernebelten Nichts auf und bremsten vor uns ab. Die dunklen Gestalten sprangen von den Maschinen und griffen nach den Gewehren auf ihrem Rücken.
„Porthos!“, rief Dante.
„Bring ihn raus!“ schrie der Anführer der Neuankömmlinge ihm zu.
Dante zerrte mich weiter am Ellbogen, bis wir uns in einer kleinen Seitenstraße befanden.
„Wir müssen hier entlang, um an der Polizei vorbeizukommen“, erklärte mir Dante und schubste mich weiter. Nach einer Weile kamen wir an einer größeren Straße heraus. Dante hatte inzwischen seine Pistole verstaut und winkte ein Taxi herbei.
„Was ist da hinten los?“ fragte der Taxifahrer besorgt.
„Irgendein Unfall“, erklärte Dante mit einer Stimme, deren Ruhe mir Angst einflößte. Ich hatte den Eindruck, dass sein Puls die ganze Zeit kaum über 100 gegangen war.
„Taunustor“, fügte er knapp hinzu, kramte in der Innentasche seines schweren Mantels und zog schließlich eine Sonnenbrille heraus. Er setzte sie auf und lehnte sich nach hinten. Es war offensichtlich, dass Dante nicht zu jenen gehörte, die gerne mit Taxifahrern plauderten.
Der Regen hatte aufgehört und die Leuchtreklamen strahlten aus den Pfützen zwischen den Füßen der Passanten. In der Ferne heulten Polizeisirenen auf.
Ich lehnte mich ebenfalls zurück und erst nach einer Weile merkte ich, dass während der gesamten Fahrt Dantes Hand unter dem Mantel am Griff der Waffe ruhte.
„Was ist OKO?“
„Die Söldner des Kerygma“, erklärte Dante mit gedämpfter Stimme.
„Wie konnten die so schnell davon wissen?“ flüsterte ich besorgt.
Dante fischte sein winziges Handy aus seiner Jackentasche und drückte einen einzigen Knopf.
„Lockdown. Fahrt alle Systeme runter“, sagte er nur und legte wieder auf. Dann blickte er mit einem verärgerten Blick aus dem Fenster und schüttelte fast unsichtbar den Kopf.
Wir fuhren nur wenige Minuten durch die Stadt. Dante wies den Taxifahrer schließlich an, seinen Wagen in eine Tiefgarage zu lenken.
Dort half er mir heraus und führte mich zu einer Lifttür. Als ich einstieg, begleitete er mich kurz in die Kabine des Aufzugs, drückte die Taste 23 und stieg wieder aus. Er hatte kein Wort mehr zu mir gesagt. Die Metalltür schloss sich, und die Tiefgarage verschwand. Der Lift war schnell und leise. Ich hatte Mikrowellen erlebt, die lauter waren.