Am nächsten Tag gab es eine Nachbesprechung, des ersten Experimentes, mit der ganzen Gruppe. Dort schilderte der Professor jedem die einzelnen Ergebnisse der Probanden. Als die drei Jungs erfuhren, dass Anna die einzige war, die mit dem Dämon kommuniziert hatte, sahen sie sie misstrauisch an. Anna war eher geschockt, dass sie die einzige war. Als Eisenhardt dies bemerkte, wechselte er das Thema.
„Ab heute werde ich eure Zellentüren nicht mehr verschließen. Ihr dürft euch frei in dem offenen Bereich bewegen. Es gibt wie ich glaube schon erwähnt hatte eine Kantine, sowie Duschen jeweils für Männer und Frauen. Zudem gibt es auch einen Freizeitraum, wo man sich in der Gruppe zusammensetzte und sich die Zeit vertreiben kann. Dort gibt es einen Tischkicker und einen Billardtisch. Wenn man sich fit halten möchte, kann man in den Fitnessbereich gehen. Dort gibt es eine kleine Auswahl an Fitnessgeräten. Wenn gerade keine Experimente anstehen, könnt ihr tun und lassen was ihr wollt. Lernt euch doch besser kennen oder erkundet den offenen Bereich. Es ist natürlich nicht alles offen. Die Türen, die verschlossen sind, bleiben fürs erste auch verschlossen. Die Bereiche der anderen Professoren und Probanden dürft ihr auch nicht betreten. Jeder von uns Forschern will bei seinen Forschungen ungestört bleiben. Ich möchte nicht, dass ihr die anderen Probanden belästigt oder mit ihnen streit anfangt. Ihr könnt euch gerne mit ihnen unterhalten oder euch mit ihnen anfreunden. Aber seit damit gefasst, dass es sein kann, dass sie eines Tages nicht mehr da sein werden. Ich bin mir nicht sicher wie es mit den anderen Dämonen ist. Unserer war ja sehr angriffslustig und dass kann bei den anderen auch der Fall sein. Es kann jetzt schon passiert sein, dass ein paar Probanden gestorben sind.“ Der Professor sah nun sehr besorgt aus. Er überlegte, ob er alles Wichtige den vier Testpersonen erzählt hatte oder, ob er etwas vergessen hatte. Dann sah er die vier an. Sie sahen nicht sehr begeistert aus. Er musste sie mit seiner Aussage erschreckt haben. Eisenhardt begann aufmunternd zu lächeln. „Am besten, ihr erkundet fürs erste einmal den offenen Bereich und schaut euch um. Ich glaube in einer halben Stunden gibt es bereits Mittagessen in der Kantine. Dort gibt es ein Buffet, da könnt ihr euch so viel zu essen nehmen wie ihr wollt. Also haut rein und schlagt euch den Bauch voll. Für heute stehen keine Experimente mehr an. Wir machen morgen früh damit weiter.
Ruht euch heute aus und genießt den Tag.“ Mit dem Satz beendete der Professor die kleine Besprechung. Die vier Probanden nickten und verließen das Büro.
***
Anna saß nun wieder in ihrer Zelle. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ziellos in dem unterirdischen Gebäude herumirren wollte sie auf jeden Fall nicht. Also blieb sie fürs erste einfach auf ihrem Bett sitzen. Hunger hatte sie auch noch keinen. Als sie noch in Freiheit war, hatte sie meistens nur abends was gegessen. Anna dachte nach. Sie fand es komisch. Zuerst waren sie Gefangene, die in ihren Zellen eingesperrt waren und nun durften sie in einem bestimmten Bereich sich bewegen. Sie hatten sogar einen Freizeitbereich und einen Fitnessraum. Anna verstand nun gar nichts mehr. Warum gab es sowas in der Organisation? Sie fand keine Lösung.
Nach ein paar Minuten klopfte es leise und zaghaft an Annas Zellentür. Durch das Klopfen wurde Anna aus ihren Gedanken gerissen. Wer das wohl sein mag? „Ja, herein“, sagte sie dann. Ganz langsam und vorsichtig wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Tom streckte seinen Kopf in die Zelle. Er sah verängstigt aus und zitterte leicht. „M… möchtest du mit mir was essen gehen? Ich habe Angst alleine zu gehen und mich dann zu verlaufen.“, sagte er zu Anna. Es schien, als hätte Tom vor allem und jedem Angst. Er musste wohl seinen ganzen Mut zusammen genommen haben, um Anna zu fragen, ob sie ihn begleitet. Es schien so, als hätte er auch etwas Angst vor Anna. Anna lächelte ihn freundlich an. „Ja, gerne. Danke, dass du an mich gedacht hast“, sagte sie zu ihm. Tom lächelte erleichtert und entspannte sich etwas. Er atmete erleichtert aus. Anna stand von ihrem Feldbett auf und ging zu Tom. Beide traten aus dem Raum. Als sie gerade in Richtung der Kantine laufen wollten, hörten sie hinter sich eine Stimme sagen: „Na sie einer an, die „Dämonenflüsterin“ und der „Angsthase“ gehen in Richtung des offenen Bereichs.“ Anna kannte die Stimme zu gut. Sie drehte sich um und erblickte Eduard, der nun vor ihr Stand. Er sah wie immer die beiden von oben herab an. „Was willst du Eduard?“, fragte Anna genervt. „Ich habe Hunger und gehe deshalb jetzt was esse. Ihr seid also mir nur zufällig über den Weg gelaufen,“ erwiderte dieser grinsend. „Und warum nennst du uns nicht bei unseren richtigen Namen?“
„Oh, bist du jetzt beleidig? Das tut mir aber NICHT leid. Ich habe euch so genannt, weil ich euch so nennen wollte! Und da ihr nichts daran ändern könnt, müsst ihr, dass akzeptieren!“, sagte Eduard nun lachend. „Unterlasse, dass beim nächsten Mal!“, sagte Anna nun wütend. Eduard sah sie gefühllos an. „Hab dich doch nicht so. Dass sind doch tolle Spitznamen für euch!“, sagte er nun grinsend. „Ach so, du möchtest also auch einen Spitznamen von uns haben. Sag, dass doch gleich! Tom und ich können uns einen schönen für dich ausdenken. Du musst nur einen Moment warten.“ Nun sah auch Eduard leicht wütend Anna an. Er hob die Hände in die Luft und gab sich geschlagen. „Okay, okay ich lass, dass beim nächsten Mal. Sonst fährst du ja noch deine Krallen aus.“ Anna fand den Kommentar zum Schluss zwar nicht witzig, aber sie hatte ihr Ziel erreicht.
„W.…willst du mit uns was essen gehen?“, fragte Tom nun sehr zurückhaltend. Anna drehte sich leicht erschrocken zu ihm um. Sie hatte ihn in ihrem Wortgefecht mit Eduard total vergessen. Tom stand leicht hinter ihr, als wollte er Anna als Schutzschild verwenden. Eduard sah Tom verwirrt an. Vermutlich hatte er ihn auch vergessen. Dann antwortete er: „Ja, von mir aus! Wollen wir den Holzklotz auch fragen, ob er mitkommen will?“ Eduard deutete nach hinten zu den Zellentüren. Anna und Tom nickten ihm zustimmend zu. Eduard drehte sich daraufhin um und ging zu einer der Zellentüren. Er klopfte laut an die Tür. Mark machte nach ein paar verstrichenen Sekunden genervt die Tür auf. „WAS?“, schnauzte er Eduard an. Dieser sah ihn nun wütend an. „WIR wollten DICH Holzkopf fragen, ob DU mitkommen willst was essen!“ Als Eduard das Wort „Essen“ aussprach konnte man lautstark Marks Magen knurren hören. Dieser schaute dann ziemlich verlegen zu Boden. „Ach so, ich komme gerne mit!“, antwortete Mark während er leicht rot wurde. Die Beiden gingen zu Tom und Anna und dann ging die kleine Gruppe in Richtung der Kantine.
Als sie die Kantine erreichten, musste Anna staunen. Der Speisesaal war im Vergleich zu den Räumen in denen sie bis jetzt war echt riesig. Es gab ein großes langes Buffet, hinter dem mehrere Menschen arbeiteten. Eine sehr lange Schlange hatte sich dort schon mit anderen Testpersonen und Wissenschaftlern gebildet. Anscheinend war das eine Kantine für alle. In dem restlichen Raum standen Tische an denen maximal sechs Leute Platz nehmen konnten. Viele der Tische waren bereits mit Leuten besetzt. Es waren viel mehr Probanden als Wissenschaftler.
Aber es war hoffnungslos einen Aufstand jetzt anzuzetteln, denn an den Wänden standen wieder die Wachen mit ihren bedrohlichen Gesichtern und passten auf. Gemeinsam stellten sich die vier in die Schlange für das Essen. Die Auswahl war gigantisch.
Es gab allerlei Fleischsorten und Beilagen. Die Hungrigen konnten sich sogar mehrere Arten von Gemüse und Desserts aussuchen. Anna erschien das ganze hier nicht so richtig wie eine Gefangenschaft. Alle konnten sich frei bewegen und es gab reichlich Essen. Gäbe es da nicht die Wachen und die ganzen Experimente, wäre es wie bei einer Klassenfahrt gewesen. Als die vier sich ihr Essen geholt hatten setzten sie sich an einen der wenigen freien Tische. Anna sah sich kurz um. Die meisten Probanden saßen wie sie in kleinen Grüppchen zusammen. Sie sahen nicht sehr gut aus. Einige hatten blaue Flecken im Gesicht oder waren an sichtbaren Körperteilen mit Verbänden verarztet. Andere waren leichenblass und sahen verängstig zu Boden. Trotz der vollen Kantine war der Lautstärkepegel nicht sehr hoch. Die Meisten schwiegen beim Essen. Nur die Wissenschaftler schienen sich begeistert über Experimente zu unterhalten. Anna konnte sie hin und wieder sehr laut lachen hören. Einige der Professoren schienen sich auch über den ein oder anderen Probanden lustig zu machen. Anna schaute suchend durch die einzelnen Reihen der Wissenschaftler, konnte aber Eisenhart nirgends sehen. Anscheinend hatte er keinen Hunger. Nun begann auch Anna zu essen. Die drei Jungs waren schon fast fertig. Am Anfang schwiegen sie, genauso wie viele der anderen Testpersonen. Sie waren alle viel zu vertieft in ihr Essen. Nach einiger Zeit brach jedoch Eduard die Stille. „Anna, warum hat der Dämon nur mit dir geredet?“, fragte er, dabei sah er sie interessiert an. Sie sah ihn blinzelnd mit vollem Mund an. Dann schluckte sie einen großen Teil des Essens herunter und verschluckte sich daran. Hustend saß sie nun da und versuchte ganz normal zu atmen. Nach kurzer Zeit ging es dann wieder und sie konnte ihm antworten. „Das weiß ich auch nicht so genau. Am Anfang hat er mich ja auch angegriffen.“, sagte Anna etwas verwirrt. „D…du hast aber nicht die Lampe genommen und bist weggerannt!“ sagte darauf Tom leise. Anna sah ihn nachdenklich an. „Ja, das stimmt. Ich dachte mir, dass es seine Lampe sein musste und habe mich entschuldigt. Ich wollte sie ihm ja nicht klauen.“ „Das ist es“, sagte Eduard nun begeistert, „du hast die Lampe nicht genommen und wir schon. Wir haben ihm sein Eigentum geklaut. Kein Wunder, dass er wütend war.“ Mark sah ihn verständnislos an. „Und was ist, wenn er sie nicht jagen wollte. Was ist, wenn er nur einen Jungen als Wirt möchte und diesen durch die Jagd testet.“, sagte er zu Eduard gewandt.
„Das glaube ich nicht, denn sonst hätte er sich mit Anna nicht so lange unterhalten.“, erwiderte Eduard. Anna dachte nach. Was konnten die Jungs tun, um den Dämon zu besänftigen? Dann fiel es ihr ein. „Wie wäre es, wenn ihr euch einfach bei dem Dämon entschuldigt. Dann seht ihr, ob die Theorie von Mark oder die von Eduard stimmt. Wenn er eure Entschuldigung annimmt, dann wird er euch nicht mehr jagen und wenn nicht solltet ihr sehr schnell laufen.“, sagte Anna zu den drei gewandt. „Ja, da könntest du Recht haben“, sagte Eduard nachdenklich. „I…ich werde es versuchen!“, sagte Tom leise. Mark und Eduard nickten und stimmten Annas Vorschlag auch zu. Nach dem Thema redete die Gruppe noch eine Weile über andere Themen. Dann machten sie sich auf den Weg zurück zu ihren Zellen.
***
Anna war langweilig. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Den Block, der auf ihrem Tisch lag, hatte sie schon mit vielen Zeichnungen vollgekritzelt. Es gab nicht eine leere Seite oder Stelle mehr. Was sollte sie nur den restlichen Tag machen? Alleine wollte sie auch nicht in den Aufenthaltsraum gehen. Sollte sie einen der Jungs fragen, ob er mitkommen wollte? Nein! Sie wollte alleine sein. Was würde sie nur für ein Buch geben. Ein schönes dickes Buch. Anna seufzte. Ein Buch dachte sie, dass wäre jetzt eine willkommene Abwechslung. Sie überlegte. Der Professor hatte doch sehr viele Bücher. Vielleicht würde er ihr eins ausleihen, wenn sie ganz lieb fragte. Anna stand von ihrem Feldbett auf und ging zum Büro des Professors.
Als Anna vor der Bürotür stand zögerte sie kurz. Hoffentlich war er da. Anna klopfte sachte an die Tür. Es dauerte einen Moment, bis ihr eine müde Stimme auf ihr Klopfen antwortete: „Ja, bitte.“ Oje, hatte sie ihn etwa geweckt. Langsam drückte Anna die Türklinke herunter, öffnete die Tür und trat in den Raum. Eisenhart sah total zerzaust aus. Er saß auf seinem provisorischen Feldbett und sah Anna verschlafen an. „Entschuldigen Sie Professor“, begann Anna zu sprechen, „habe ich sie geweckt?“ „Nein, nein. Ich habe nicht geschlafen. Ich habe auf meinem Bett ein Protokoll durchgelesen und da müssen mir die Augen zugefallen sein!“, meinte der Professor. Er sah auf sein Bett und kratzte sich am Hinterkopf.
Anna musste schmunzeln. „Also haben Sie doch geschlafen.“ „Wenn, dann aber nur fünf Minuten“, sagte der Professor grinsend. „Was wolltest du von mir Anna?“ Eisenhart sah sie nun neugierig an. Anna sah derweil verlegen zu Boden. „Könnten Sie mir vielleicht eines ihrer Bücher ausleihen?“ Der Professor sah sie nun noch neugieriger an. „Na klar, gerne doch. Liest du gerne Bücher?“, antwortete er ihr. Anna nickte lächelnd. „Ich habe nicht sehr viele normale Bücher musst du wissen. Fast all meine Bücher sind wissenschaftsbezogen. Aber ich habe ein Regal mit geographischen und geschichtlichen Büchern dort drüben stehen.“ Eisenhart zeigte auf ein Regal auf der rechten Seite seines Büros. Es war das einzige Regal, welches in dem chaotischen Raum vollständig eingeräumt war. „Wenn du dich damit zufriedengeben kannst, dann kannst du dich gerne bedienen.“ Anna lächelte. „Ja, vielen Dank, Professor. Das reicht mir voll und ganz.“ Sie ging zu dem Regal und schaute sich die einzelnen Buchtitel etwas näher an. Dann wurde ihr Augenmerk auf eine Reihe von Büchern gelenkt. Alle handelten von Japan. Annas Gesicht begann zu strahlen. „Professor, wieso haben sie so viele Bücher über Japan?“, fragte Anna. Dieser sah sie nun ganz genau an und sagte dann: „Ich hatte euch wohl noch nicht erwähnt, dass wir die dreizehn Dämonenfragmente in Japan gefunden haben.“ Anna war geschockt. Sie sah den Professor nun mit großen Augen an. „Nein, das haben sie noch nie erwähnt!“ „Oh, das tut mir leid. Aber um auf deine Frage zurück zu kommen. Ich habe so viele Bücher aus Japan, weil ich es war, der die Fragmente in Japan geborgen hat.“ Annas Mund stand nun offen. Sie sah den Professor mit einer Mischung aus Erstaunen und Interesse an. „Wie sind Sie darauf gekommen, dass die Fragmente in Japan sind?“, fragte Anna nachdem sie sich wieder gefasst hatte. Der Professor sah auf einmal sehr traurig aus. „Naja, ich hatte die Idee nicht. Es war eine sehr gute Kollegin von mir. Aber bevor sie mit ihren Nachforschungen beginnen konnte, starb sich.“ „Oh, dass tut mir leid“, sagte Anna voller Mitleid. „Ist schon okay. Ich habe nach ihrem Tod beschlossen, ihrer Idee zu folgen. Und wie es sich herausstellte, hatte sie den richtigen Riecher.“ Eisenhart sah Anna sehr müde und traurig an. „Aber lassen wir die Verstorbenen ruhen! Wolltest du dir nicht ein Buch aussuchen?“ Anna nickte und drehte sich wieder in Richtung des Regals. Sie nahm sich ein Buch über die Geschichte der Samurai, bedankte sich bei Eisenhart und verabschiedete sich. Dann ging sie langsam und nachdenklich zurück zu ihrer Zelle.