Es waren nun zwei Wochen seit Marks Tod vergangen. Dem Professor blieb nicht mehr viel Zeit! Der Vorstand hatte für die erste Phase des Projektes nur zwei Monate angesetzt. Von diesen zwei Monaten war nur noch eine Woche übrig. Vielleicht bekam Eisenhart etwas mehr Zeit. Wenn er den Vorstand nur um eine Woche bat könnte er bestimmt nicht nein sagen! Einer der Probanden könnten es bestimmt schaffen den Dämon in dieser Zeit in sich aufzunehmen!
Eisenhart wusste nicht warum, aber zurzeit machten sie keine Fortschritte! Der Dämon machte keine Anzeichen, dass er einen von den drei verbleibenden Testpersonen favorisierte.
Was war nur das Ziel des Dämons?
Der Professor hatte den Dämonen komplett falsch eingeschätzt. Das gleiche galt auch für seine Testpersonen! Diese Erkenntnis hatte er bitter zu spüren bekommen. Wo der Dämon die Psyche der Probanden sofort analysiert und verstanden hatte, hatte Eisenhart aufgrund der äußeren Erscheinung der Vier seine Einschätzung viel zu oberflächlich gefällt.
Er hatte nicht bemerkt, dass es Mark psychisch nicht gut ging. Wegen seiner schlechten Wahrnehmung war Mark nun tot. Eisenhart konnte der Nummer drei kein Leben mehr einhauchen. Der junge Mann hatte keine zweite Chance bekommen. Als Tom zu ihm kam, hätte er sofort handeln müssen! Die Schuldgefühle plagten ihn. Seit zwei Wochen hatte der Professor nicht mehr richtig geschlafen.
Nun lag er auch dieses Mal wieder auf seinem Feldbett. Mit beiden Armen über seinem Gesicht. Alpträume plagten ihn die ganze Nacht. In einem Moment träumte er von Mark, der sich die Pulsadern mit einer Rasierklinge aufritzte und im anderen Moment wurden die anderen drei Probanden von dem Dämonen auf grausamste Weise umgebracht. Neben den schreien konnte der Professor immer wieder hören wie die Vier sagten, das er an dem Tod von ihnen schuld sei. Der Dämon war eine Mischform aus all den vier Gestalten, die die Testpersonen im ausführlich nach den Experimenten geschildert hatten. Der Professor schrak immer an derselben Stelle, schweißgebadet, aus dem Alptraum auf. Anna wurde von dem Dämonen am Hals gepackt und hochgehoben. Ihre Schreie stockten. Das Monster würgte sie, bis sie sich nicht mehr rührte. Dann schmiss er den leblosen Körper mit voller Wucht auf den Boden. Das Knacken der berstenden Knochen hörte sich jedes Mal an, als wären sie echt. Bei diesem grausamen Geräusch wachte er jedes Mal auf und war froh, dass es nur ein Traum und nicht die Wirklichkeit war.
Eisenhart seufzte. Wie sollte er es nur schaffen den Vorstand zu überreden mehr Zeit zu bekommen? Er drehte sich auf die Seite. Nun sah er in Richtung seines Schreibtisches. Sollte er vielleicht den Dämon bitten sich endlich für einen der drei verbleibenden Probanden zu entscheiden? Nein! Der Dämon würde ihn für seine Frage bestimmt auslachen. Dies würde auf jeden Fall nicht weiterhelfen. Aber wenn jetzt nichts passierte, was die Lage änderte, könnten die Experimente noch Jahre andauern. Dafür hatten sie leider keine Zeit!
Komplett in Gedanken versunken merkte der Professor nicht, dass jemand an seine Tür klopfte. Erst als das Klopfen lauter und ungeduldiger wurde schreckte Eisenhart aus seinen Gedanken auf. Er setzte sich von seinem Feldbett auf und rief: „Ähm… herein.“ Die Tür wurde geöffnet und ein Mann trat in den Raum. Er war mittleren Alters und hatte einen schwarzen Anzug an. Seine braunen kurzen Haar waren zu einem Seitenscheitel nach links fein säuberlich gekämmt worden. Bei dem Mann handelte es sich um Henderson, die rechte Hand des Vorstandsvorsitzenden. Niemand in der Organisation kannte seinen Vornamen. Der Nachname war hingegen wohl bekannt. Henderson war sein Sekretär, Berater, Laufbursche und Spion. Er war das Mädchen für alles. Der Vorsitzende vertraute ihm blind. Sobald sein Herr nach ihm pfiff kam er wie ein braver Schoßhund angelaufen.
Eisenhart mochte ihn nicht. Er wartete auf den Tag an dem Henderson auf seiner Schleimspur ausrutschte. Solche Leute konnte er noch nie leiden!
Aber was wollte er von Eisenhart? Normalerweise sah man ihn nur um den Vorstandsvorsitzenden herum schleichen. Der Sekretär wurde eigentlich nur los gesandt, wenn er etwas eiliges erledigen sollte. Und nun stand er vor Eisenhart ungeduldig mit dem Fuß wippend. „Hallo Henderson, was kann ich für Sie tun?“ Der Professor stand auf und trat vor seinen Besucher. „Der Vorstandsvorsitzende möchte Sie sofort sprechen!“ Eisenhart sah in verwirrt an. Was mochte der Vorsitzende von ihm wollen? Hatte er etwa noch Fragen zu dem Selbstmord von Nummer drei? Der Professor ging zu seinem Schreibtisch und holte seine Aufzeichnungen zu den Experimenten und den Probanden. Dann trat er wieder vor Henderson. „Wir können gehen! Bitte führen Sie mich zum Vorsitzenden!“
Henderson sah ihn von oben bis unten missbilligend an und gab einen scharfen Zisch-Ton von sich. „Wie sehen sieden aus? So wollen Sie vor den Vorsitzenden treten? Naja, das kann man auf die Schnelle nicht mehr ändern! Bitte stecken Sie sich wenigstens das Hemd in die Hose und binden sich Ihre Krawatte neu!“
Der Professor sah an sich herab. Er sah wie ein komplettes Wrack aus! Er seufzte und tat wie ihm geheißen. Zusammen gingen sie dann zum Büro des Vorsitzenden. Vor der Tür musste Eisenhart kurz warten. Henderson schlüpfte durch einen kleinen Spalt, um dem Vorsitzenden seinen Besuch anzukündigen. Nach kurzer Zeit wurde er dann in das Zimmer gebeten.
Es war riesig! Zwischen den Holzmöbeln an den Wänden hingen schwere, große, rote Samtvorhänge. Durch diese Vorhänge hatte man das Gefühl in einem normalen Raum an der Oberfläche zu stehen, anstatt unter der Erde in einem Kellerkomplex. Im hinteren Teil des Büros stand sein großer, verzierter Ebenholzschreibtisch. Dieser war penibel aufgeräumt. Alles hatte seinen Platz. Hinter diesem Tisch saß der Vorsitzende und las einen Bericht durch. Neben ihm stand Henderson und schaute über seine Schulter.
Eisenhart stand immer noch an der Tür und wartete auf eine Reaktion des Vorsitzenden. Dieser schaute nach ein paar Minuten auf und meinte: „Eisenhart, da sind sie ja endlich! Bitte setzen Sie sich doch. Wir beginnen sobald ich mit dem Bericht fertig bin!“ Während er dies sagte deutete er auf eine Sitzgruppe in der Mitte des Raumes. Die Sitzgruppe bestand aus zwei großen Ledersofas und einem Glastisch. Der Professor nickte und setzte sich. Er legte seine Unterlagen auf den Tisch. Es vergingen weitere zehn Minuten. Eisenhart wurde bei jeder verstrichenen Minute nervöser.
Als der Vorsitzende mit dem Lesen fertig war, seufzte er, stand auf und ging zu Eisenhart. Er reichte dem Professor die Hand, dieser stand steif auf und schüttelte diese. Dann setzte er sich gegenüber von dem Eisenhart auf das Sofa. Der Vorstand sah ihn eindringlich an. „Professor Eisenhart, es tut mir sehr leid Sie mitten in den Vorbereitungen Ihrer morgigen Experimente zu stören! Aber wir müssen diesbezüglich ein paar Worte wechseln!“ Eisenhart nickte vorsichtig. Er konnte sich keinen Reim daraus bilden. Über was wollte der Vorstand mit ihm über seine morgigen Experimente reden?
„Professor“, begann der Vorsitzende nun weiter zu reden, „ich will gleich auf den Punkt kommen. Ich glaube Ihnen ist auch schon zu Ohren gekommen, dass es elf von dreizehn Professoren bereits gelungen ist, den Dämon an einen ihrer Probanden zu binden. Mit Ihnen fehlt nur noch Professor Esche. Nun ja, Professor Esche steht kurz vor der Bindung des Dämons aus seinem Fragment. Ihm sollte es spätestens Ende der Woche, also in zwei Tagen, gelingen.“ Nun war klar worauf der Vorstandsvorsitzende hinaus wollte! Bei Eisenhart waren noch keine Resultate in Sicht. Der Dämon wollte sich einfach nicht entscheiden. Das war das Problem!
Der Vorsitzende seufzte und sprach weiter: „Wissen Sie Eisenhart, unser Aufklärungstrupp übermittelt uns zurzeit besorgniserregende Nachrichten. Die sechs Teufel scheinen etwas zu planen. Wir sind uns zum jetzigen Zeitpunkt noch unsicher, ob es ein Anschlag gegen uns sein wird oder nicht. Dies bedeutet, dass wir keine Zeit mehr haben. Wir müssen diese Woche die erste Phase der Experimente abschließen!“
Der Professor war sprachlos. Bevor er heute zum Büro des Vorstandes kam wollte er ihn noch bitten ihm etwas mehr Zeit zu geben. Nun kam dies nicht mehr in Frage. Eisenhart wusste, dass er nicht widersprechen konnte, sonst würden ihm die Experimente rund um das dreizehnte Fragment entzogen werden. Er dachte nach. „Herr Vorsitzende“, begann er vorsichtig, „mir ist unsere Lage sehr gut bewusst. Dennoch habe ich nicht die Möglichkeiten meine Experimente zu beschleunigen! Sie werden mir zustimmen, dass es mir zurzeit an Labor Utensilien und Assistenten mangelt. Darum bitte ich sie noch einmal darüber nachzudenken!“
Eisenhart wollte sich so etwas Zeit für die Experimente herausholen. Zudem hatte er nicht vor seine Probanden unnötigem Stress auszusetzen. Der Vorstandsvorsitzende nickte nachdenklich. Hatte er es geschafft ihn umzustimmen?
„Sie haben recht, mit Ihrer jetzigen Einrichtung kommen Sie nicht in der gewünschten Zeit voran. Deshalb bekommen Sie die Erlaubnis Ihr morgiges Experiment in meinem Labore durchzuführen! Zudem werde ich Ihnen Henderson zur freien Verfügung stellen. Und auch ich werde Ihnen morgen eigenhändig unter die Arme greifen!“
Der Professor war geschockt. Mit dieser Antwort hatte er in hundert Jahren nicht gerechnet.
„H…Herr Vorstand, das ist wirklich äußerst zuvorkommen von Ihnen, aber das kann ich doch nicht annehmen. Ich kann doch Ihre wertvolle Zeit nicht vergeuden!“, begann Eisenhart nervös und unsicher zu stammeln. Er wollte keine Hilfe von Ihm. Wer weiß, was er mit den Probanden anstellen würde. Eisenhart begann zu schwitzen.
„Papperlapapp, Eisenhart, seien Sie nicht so bescheiden! Wir werden Ihnen morgen helfen und dabei bleibt es auch! Wir werden morgen Ihr Experiment erfolgreich beenden, Punkt!“
Eisenhart sprang von seinem Platz auf. „Das ist doch etwas voreilig gesagt, Herr Vorsitzender. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob das morgige Experiment erfolgreich sein wird oder nicht!“
Der Vorstand sah ihn gefühllos an. „Herr Professor, wenn ich Ihnen sage, dass wir morgen erfolgreich sein werde, dann sind wir das auch!“
„A...Aber wie wollen Sie dies bewältigen?“
„Das kann ich Ihnen ganz einfach erläutern. In meinem Labor gibt es fünf Nebenkammern, die mit dem Fragment verbunden werden können. Wir werden die Tests morgen alle gleichzeitig vollziehen. Der Dämon wird von allen drei Probanden gleichzeitig Konfrontiert.“
Eisenhart sah den Vorsitzenden fassungslos an.
„Ich verstehe, was Sie nun denken müssen. Wie soll dieses Experiment die jetzige Situation ändern? Habe ich Recht? Und auch hier muss ich Ihnen sagen, die Antwort ist ganz einfach. Wir werden den Probanden morgen früh vor dem Start sagen, dass sie mit Gewalt den Dämon an sich binden sollen. Wenn dann alle gleichzeitig mit ihm kämpfen ist dieser bestimmt überfordert. Einem wird es bestimmt gelingen morgen den Dämon an sich zu binden!“
Eisenhart war wütend! „Wissen Sie, was Sie da sagen? Was ist, wenn die drei Probanden bei dem morgigen Experiment sterben?“
„Dann werden wir welche nehmen, die bei den anderen Professoren übrig geblieben sind!“
„Das dulde ich nicht!“, sagte Eisenhart laut.
Er war aufgesprungen und schlug mit flacher Hand auf den Tisch. Der Vorstand sah den Professor mit eiskalten, wütenden Augen an. Eine Ader an seinem kahlen Kopf begann zu pulsieren. Er begann ganz ruhig mit eisiger Stimme zu sprechen.
„Professor Eisenhart, werden Sie nicht übermütig! Wir werden morgen diese Experimente beenden mit oder ohne Sie! Also entscheiden Sie sich!“
Eisenhart ballte seine Hände zu Fäusten und starte zu Boden. Er musste sich geschlagen geben!
***
Es war schon spät am selben Abend. Nach dem verhängnisvollen Gespräch haben alle beteiligten das morgige Experiment vorbereitet. Es wurden noch einmal alle Berichte durchgegangen und der Vorstand hat Eisenhart sein Labor gezeigt. Technisch war es auf dem neusten Stand. Im Gegensatz zu diesem faszinierenden Raum voller Instrumente sah das Labor von Eisenhart wie eine Abstellkammer aus.
Der Professor fragte sich, was für Experimente hier durchgeführt wurden… Der Vorstand hatte selbst kein Fragment in seiner Obhut.
Nachdem alles vorbereitet war, durfte Eisenhart gehen. Er befand sich in einer verzwickten Situation. Wie sollte er all das den drei Probanden morgen früh nur erklären?
Mit einem lauten Seufzer ließ Eisenhart sich auf das Feldbett fallen. Er legte seinen rechten Arm über seine Augen und dachte über den morgigen Tag nach.
Es war schon einige Zeit vergangen, als es plötzlich leise an der Tür klopfte. Wer konnte das nur sein?
Eisenhart sah auf seine Uhr. Es war kurz vor elf Uhr nachts. Hoffentlich war es nicht schon wieder Henderson, der ihn zum Vorsitzenden zerrte. Es klopfte noch einmal. Nun etwas lauter, aber nicht genervt, eher ruhig und geduldig.
„Ja, herein.“, sagte der Professor müde. Sachte und ganz langsam ging die Tür auf. Anna trat mit zwei Büchern unterm Arm in den Raum.
„Hallo Professor, habe ich Sie gestört?“ Der Professor begann zu lächeln. „Nein, hast du nicht. Möchtest du dir neue Bücher ausleihen?“
Anna war ein wissbegieriges Mädchen. Sie war schon ein paar Mal abends hier gewesen, um ihre gelesenen Bücher gegen neue auszutauschen. Anna nickte. „Dann nur zu, Such dir welche aus!“
Anna begann zu strahlen. Sie ging zügig zu dem Regal. Dort stelle sie die gelesenen Bücher wieder an ihre Plätze und sah sich die Bücher an, die sie noch nicht gelesen hatte. Das Mädchen hatte sich bis jetzt nur Bücher über Japan ausgeliehen. Sie musste das Land sehr gern haben! Auch dieses Mal wurde sie schnell fündig. Sie griff nach einem Buch mit dem Titel „Die Kriegsherren der Sengoku Zeit“. Sie sah es sich genauer an. Ein Lächeln – dann drehte sie sich herum und schaute den Professor an. „Darf ich mir dieses Buch ausleihen?“
„Ich sage dir schon die ganze Zeit, dass du dich hier einfach bedienen darfst. Trotzdem fragst du mich immer wieder.“ Eisenhart begann zu lachen und schüttelte dabei den Kopfe. „Natürlich darfst du dir das Buch ausleihen, Anna!“ Das Mädchen sah etwas verlegen aus. Dann ging sie lächelnd zur Tür.
„Möchtest du dir heute kein zweites Buch mitnehmen?“
„Nein, danke. Ich habe das Gefühl, dass dieses Buch mir fürs erste reichen wird!“ Dann verabschiedete sich Anna und ging.
Der Professor rief ihr noch nach, dass sie nicht so lang auf bleiben soll, da der morgige Tag anstrengend werden würde.
Eisenhart machte sich Sorgen. Was würde morgen aus den Probanden werden?
Er hatte sie unerwarteter Weise schon nach kurzer Zeit in sein Herz geschlossen.
***
Kurze Zeit, nachdem Anna aus dem Büro gegangen war, begann das Fragment wieder zu erwachen. Der Professor hatte aber heute nicht das geringste Verlangen mit dem Dämon zu reden. Am Anfang ignorierte er das laute Scheppern. Das Geräusch wurde aber immer lauter und lauter! Eisenhart sprang wütend von seinem Bett auf und ging zügigen Schrittes zu seinen Schreibtisch. Er riss die Schublade auf und holte die Schatulle hervor. Mit einem lauten krachen ließ er diese auf den Tisch fallen. Dort bewegte sie sich weiter.
„Ich halte dein Geschepper nicht mehr aus! Morgen soll das aller letzte Experiment stattfinden! Der Vorstand hat sich nämlich eingeschaltet. Du benötigst für deine Wahl viel zu viel Zeit! Damit ist nun Schluss! Morgen musst du dich entscheiden! Mir ist es egal, ob du mir heute antwortest oder nicht. Ich habe kein verlangen mit dir zu reden und ich hoffe du auch nicht,“ schrie der Professor das Kästchen an. „Also sei jetzt still und wappne dich für morgen!“
Eisenhart nahm die Box, schmiss diese wieder zurück in die Schublade und rammte diese zu.
Stille.
Toten Stille!
War dies etwa die sogenannte Ruhe vor dem Sturm?