Anna träumte. Sie lief den Weg zu ihrer Uni, kam aber nie dort an. Sie lief und lief, es war aber kein Ziel in Sicht. „Anna.“ Irgendwer sagte ihren Namen. Wer konnte das nur sein. Auf einmal lief ihr der Professor entgegen. „Anna, folge mir“, sagte der Professor. „Komm und folge mir in mein Labor.“ Anna war verwirrt. Warum sollte sie ihm folgen? Das war immer noch ihr Traum und da konnte sie tun und lassen was sie wollte. Sie wollte ihm nicht in das Labor folgen! Auf einmal begann der Boden zu beben. Ein Erdbeben? In meinen Träumen gab es doch nie Erdbeben. „Anna, Anna, wach auf!“
Anna öffnete ruckartig ihre Augen. Vor ihr stand der Professor und schaute sie ungeduldig an. „Bist du Schlafmütze endlich wach?“, fragte er sie. Er schüttelte ungläubig den Kopf und grinste sie an. „Wie kann man nur so fest schlafen?“ Anna setzte sich auf und rieb sich verschlafen die Augen. „Wie spät ist es?“, fragte sie. „Meines Erachtens viel zu spät. Die vorigen Experimente haben deines sehr verzögert. Es ist schon fast vier Uhr mittags. Komm steh auf und folge mir in mein Büro.
Wir beginnen umgehend mit deinem Experiment.“ Anna stand auf und gemeinsam gingen sie in das Labor. Eisenhardt zeigte Anna die kleine Kammer, in der sie sich hinein legen sollte. Anna spürte wie sie immer angespannter und nervöser wurde. Am liebsten wäre sie wieder in ihre Zelle zurückgekehrt und hätte weiter geschlafen. Sie ging in den Raum, legte sich auf das Feldbett und der Professor stöpselte sie an ein paar Geräte an, dann verließ er wieder der Raum und verschloss die Tür hinter sich. Nun war Anna noch angespannter als zuvor. Sie hörte den Professor durch eine Sprechanlage sie fragen, ob er mit dem Experiment beginnen kann. Sie nickte leicht zögernd. Nach ein paar Sekunden merkte sie wie müde und schläfrig sie wurde. Dabei hatte sie gerade erst für mehrere Stunden geschlafen. Sie schlief ein.
***
Als Anna die Augen öffnete sah sie nichts als Dunkelheit. Alles war stockfinster. Sie drehte sich einmal im Kreis. Weit in der Ferne konnte sie einen kleinen Lichtschein erkennen. Anna zögerte. Könnte es eine Falle sein? Egal! Sie lief los. Erst langsam, dann immer schneller. Je größer der Lichtschein wurde, desto unbehaglicher wurde ihr. Anna fühlte sich nun auch beobachtet. Sie sah sich immer wieder um, ob sie in der Dunkelheit jemand oder etwas erkennen konnte. Irgendwas lauerte in der Finsternis auf sie. Sie fühlte sich wie in einem schlechten Horrorfilm. Nur, dass sie nicht fragen würde, ob da jemand wäre! Weil es war jemand da, dass wusste sie zu hundert Prozent. Zudem starben die Personen, die diesen Satz fragten immer zuerst. Und dass wollte sie auf keinen Fall!
Als Anna an der Lichtquelle ankam, sah sie, dass es sich um eine Öllampe handelte. Sie wollte sich gerade nach der Lampe bücken, um diese aufzuheben, als sie einen Schatten hinter ihr im Lichtschein erkannte. Es war eine Gestalt, die irgendwas in den Händen hoch erhoben hielt. Der Gegenstand in den Händen des Schattens sah aus wie ein Stock. Anna drehte ihren Kopf leicht zu Seite und fragte sich, was die Gestalt hinter ihr machte. Der Schatten lies ohne Vorwarnung den Stock hinabsausen. Anna konnte gerade noch instinktiv ausweichen. Sie drehte sich mit einem Satz zu dem Schatten um. Vor ihr stand ein Mann in einer Samurai-Rüstung. Ein Samurai? Was machte ein Samurai aus Japan hier in der Dunkelheit? Anna sah nun auch, dass der „Stock“ in Wahrheit ein Samurai-Schwert war. Ihr lief ein kalter Schauer durch den ganzen Körper. Das war knapp! Das Schwert hatte sie nämlich nur um ein paar Zentimeter verfehlt. Anna überlegte. Der Samurai hatte sie mit seinem Schwert angegriffen. Sollte sie fliehen und in die Dunkelheit laufen? Aber ohne Licht wollte sie nicht in die Finsternis stürmen. Sie sah die Öllampe an, welche zwischen dem Samurai und ihr stand.
Dann sah sie sich zum ersten Mal den Mann, der vor ihr stand etwas genauer an. Er hatte wie sie schon bemerkt hatte eine Samurai-Rüstung an. Diese war sehr prachtvoll. Sie war schwarz und hatte goldene, rote und weiße Muster darauf. Auf der Brust der Rüstung war das Symbol von dem Holz-Chip zusehen. Es war nun vollständig in Gold darauf zu sehen. Das Symbol war also wirklich ein Hauswappen aus der Samurai-Kultur. Anna wusste doch, dass sie es schon einmal irgendwo gesehen hatte. Wahrscheinlich, als sie eines ihrer vielen Bücher über Japan gelesen hatte. Aber welches war es noch gleich. Sie konnte sich nicht daran erinnern. Der Samurai hatte etwas längeres schwarzes wuscheliges Haar und seine Augen waren kupferfarben. Er war eigentlich recht gutaussehend dachte Anna. Er hatte feine aber gleichzeitig leicht markante Gesichtszüge und Anna schätzte, dass er so Mitte bis Ende zwanzig Jahre alt sein musste.
Anna bemerkte erst jetzt, dass der Blick des Samurai auf die Öllampe fixiert war. Er sah wütend aus. Jetzt checkte sie es erst. Sie war eine Vollidiotin. Der Samurai hatte anscheinend auch nur diese eine Öllampe, die er als Lichtquelle nutze. Ohne sie stand er nur im Dunkeln. Anna fühlte sich wie eine Diebin. Kein Wunder weshalb er so wütend auf sie war und sie attackiert hatte. Niemand wollte allein in der Dunkelheit herumirren. Nun sah der Samurai sie wütend an. Seine Augen glühten richtig vor Wut. Er wollte gerade wieder mit seinem Schwert ausholen und sie angreifen. Doch Anna trat einen Schritt zurück und verbeugte sich sehr tief vor ihm, wie es in der japanischen Kultur Brauch war. Der Samurai hielt in seinem Schlag verblüfft inne. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen Ihre Lampe wegnehmen wollte! Ich habe nicht gewusst, dass es Ihre ist“, entschuldigte Anna sich bei dem Mann.
Der Samurai ließ ganz langsam sein Schwert sinken. Er schaute Anna mit einer Mischung aus Verunsicherung, Verblüfftheit und Neugierde an. Nach ein paar Sekunden begann er dann zu sprechen. „Du bist die erste. Die erste, die sich bei mir heute entschuldigt hat.“ Die Stimme des Samurai war sehr tief aber auch sehr beruhigend und charismatisch. Anna hatte eine bedrohlichere Stimme erwartet. „Sind Sie der Dämon, der in dem Fragment eingeschlossen wurde?“ fragte Anna etwas ängstlich. „Du brauchst mich nicht Siezen! Ich wurde schon sehr lange nicht mehr so formell angesprochen. Aber um deine Frage zu beantworten, kleine Mädchen, ja, ich bin der Dämon, der in dem Fragment lebt.“ „Ich habe gedacht, dass Dämonen etwas anders aussehen würden“, sagte Anna, dann mehr zu sich selbst, als zu dem Dämon.
Der Dämon kratzte sich am Hinterkopf und sah sie an. „Ich sehe so aus, wie ihr euch mich in eurem Unterbewusstsein vorstellt. Aber es ist komisch. Normalerweise stellen mich die Leute wie ein Monster vor oder wie etwas vor dem sie eine riesige Angst haben. Es ist noch nie vorgekommen, dass jemand sich mich vorstellt, wie ich in meinem vorherigen Leben aussah. Da bist du die erste.“ Der Dämon deutete bei seinem letzten Satz auf Anna. „Mhm… ich dachte es kommt davon, weil ich so viele Mangas gelesen habe... ich hätte nicht gedacht, dass du früher wirklich ein Samurai warst.“ „Was sind den Mangas?“, fragte der Dämon verwirrt. „Oh, du weist das nicht? Dann musst du vor dem zwanzigsten Jahrhundert gelebt haben, denn ab da gab es Mangas. Sie kamen nämlich ursprünglich aus Japan und sind Geschichten in Form von Bildern.“ Der Dämon war nun noch verwirrter. „Entschuldige, ich bin nicht gut im Erklären“, sagte Anna. „Macht nichts, irgendwann werde ich es vielleicht verstehen.“ „Also sehen Dämonen aus wie normale Menschen?“, fragte Anna um das Gesprächsthema wieder aufzugreifen. „Ich denke schon, zumindest sehe ich normalerweise so aus wie du mich jetzt siehst.“ Anna nickte. Der Dämon hatte sich nun komplett beruhigt.
„Aber mal eine andere Frage, wieso hast du nur eine Öllampe bei dir? Hast du hier irgendwo ein Haus oder so etwas in der Art, wo du dich ausruhen kannst?“, fragte Anna den Samurai. Dieser sah Anna wieder verblüfft an. „Das hat bis jetzt noch niemand interessiert. Ich habe nur diese Lampe. Mehr habe ich nicht nur das was ich an meinem Leibe trage und die Öllampe. Aber die Lampe hatte ich auch nicht immer. Erst als ein junger Mann kam, dem es hier zu dunkel war und er sich diese Lampe vorstellte. Aber das war lang vor deine Zeit.“ Nun war Anna verwirrt. „Halt, dass ging zu schnell! Wie meinst du dass, er hat es sich vorgestellt? Und was bedeutet, es war lang vor meiner Zeit?“ „Na, wie soll ich das schon meinen, er hat sich diese Lampe vorgestellt und da tauchte sie vor ihm auf. Dumm war nur, dass ich zu dem Zeitpunkt direkt vor ihm Stand und er mich als riesiges Monster mit Schuppen und gespaltener Zunge vorgestellt hatte. Er erschrak und lies die Öllampe fallen und rannte davon. Seitdem gehört sie mir.“ In Erinnerungen schwelgend lachte der Dämon in sich hinein. „Und zu deiner zweiten Frage. Es gab vor eure Organisation schon einmal eine Gruppe von Forschern, die es versucht haben uns Dämonen in Gefäße wie dich einzusperren. Dies geschah aber vor über hundert Jahren.“ Anna sah den Dämon fassungslos an. „Wie es gab schon einmal Experimente? Und wieso versuchst du dir nicht einfach etwas vorzustellen wie der Junge damals?“ „Das mit dem Vorstellen ist nicht so einfach wie du denkst. Ich habe es mehrmals versucht, aber es hat nichts gebracht und ich blieb weiterhin allein mit der Lampe. Was verstehst du denn nicht daran, dass es schon vor euren Experimenten einmal welche gab?“, fragte der Dämon leicht genervt. „Ich verstehe das schon, aber ich frage mich, ob die Tests damals gelungen sind oder nicht“, antwortete ihm Anna. „Sie sind gelungen. Ich hatte damals einen Wirt. Er war stark und auch Schlau. Aber leider starb er viel zu schnell, wie alle anderen Wirte auch. Und wir Dämonen gingen wieder zurück in die Fragmente und warten seitdem auf neue Gefäße für uns.“ Nun sah der Dämon sehr traurig aus. Anna beschloss fürs erste nicht noch weiter nachzuhaken.
Sie dachte nach. Wenn es schon einmal jemandem gelungen war die Dämonen in Wirte einzuschließen, dann konnte es auch einem von ihnen gelingen. Besonders, weil der Dämon nicht so angsteinflößend wie sie gedacht hatte war. Ihr tat der Dämon auch leid. Er musste die ganze Zeit allein mit nur einer Öllampe hier verharren. Da konnte man sich ja nur langweilen. Anna beschloss diese Lage zu ändern! Wenn es schon einmal eine Testperson gab, die es geschafft hatte die Lampe zu erschaffen, dann konnte sie das auch. Zumindest war es einen Versuch wert. Anna dachte nun stärker nach. Ein Samurai benötigt eine Behausung, aber es darf kein normales Haus sein. Das wäre viel zu langweilig. Es muss schon zu dem Samurai passen. Das Zimmer muss zudem auch nach der Kultur des Dämons eingerichtet sein. Also ein in japanischem Stiel angehauchtes Zimmer mit Tatamimatten und Schiebetüren. In Annas Gedanken kam ein schönes kleines Zimmer in hellen Farben zum Vorschein. Anna hatte ihre Augen geschlossen um sich alles besser vorstellen zu können. Nun öffnete sie ihre Augen wieder. Der Dämon schaute sie fragend an. Doch Anna ignorierte den Blick, denn sie konnte es nicht fassen. Hinter dem Samurai stand ein kleiner Schrein in Form einer Pagode. Der Schrein war mit Öllampen, welche vor dem Eingang angebracht waren, erleuchtet. Auch aus dem Inneren des Schreins kam Licht. Er stand dort einfach da, als würde er auf die Beiden warten, bis sie ihn endlich betraten.
Annas Mund stand vor Verblüffung weit offen. Als der Dämon Annas Gesichtsausdruck wahr nahm und merkte, dass sie an ihm vorbei sah drehte er sich um. Er erblickte den Schrein und war erstaunt. „Wie hast du? ...“, begann er, brach aber mitten in seinem Satz wieder ab. Der Samurai ging ungläubig näher an den Eingang des Schreins heran. Dann drehte er sich mit einem breiten Grinsen zu Anna um. Seine Augen strahlten vor Freude. Er sah nun aus wie ein kleines Kind, das am Weihnachtsmorgen seine Geschenke auspacken durfte.
Anna fand diesen Gesichtsausdruck an ihm echt süß. „Komm kleines Mädchen! Lass uns dein Werk von Innen ansehen!“, sagte der Dämon begeistert. Anna fasste sich wieder und ging dann zu dem Samurai hin. Dann liefen die Beiden gemeinsam in das Innere des Schreins. Das Innere des Schreins bestand aus einem kleinen Zimmer, mit hellgrünen Holzwänden. Der Boden bestand aus Tatamimatten. Es gab an einer Seite des Raums einen großen Schrank in dem Bettzeug und Kleidung verstaut waren. Der Dämon schaute begeistert in alle Schubladen und Türchen des Schrankes hinein. Es gab auch einen Schreibtisch, der mit Schriftrollen und Büchern befüllt war. Zudem stand auf dem Schreibtisch auch ein Tintenfass mit einem Pinsel zum Schreiben. Anna bemerkte, dass der Schreibtisch so unordentlich war, wie der des Professors. Das hatte sie dummer weise bei ihm abgeschaut. „Mist, das war nicht so gedacht gewesen. Jetzt ist ein kleiner Hauch „Eisenhardt“ mit in die Optik hineingeflossen“, dachte Anna geschockt. In dem kleinen Raum gab es auch mehrere Kissen, auf die man sich setzten konnte. In einem der Ecken stand ein kleiner Tisch. Darauf lag ein kleines schwarzes Stoffsäckchen. Der Raum war mit mehreren Öllampen an den Wänden hell erleuchtet. Der Dämon drehte sich begeistert einmal im Kreis. Sein Blick viel dann auf den kleinen Tisch im Eck. Seine kupferfarbenen Augen fingen an zu strahlen. „Kleines Mädchen, du hast wirklich an alles gedacht. Wie Wunderbar! Ich hätte nicht gedacht, dass der Tag doch nicht so langweilig wie sonst werden würde. Kleine, ich habe dich unterschätzt, du hast es echt drauf.“ Der Dämon sah nun noch einmal zu dem kleinen Tischchen hinüber und dachte kurz nach. Anna sah ihn verwundert an. Was begeisterte ihn nur so an dem kleinen Tisch? Der Dämon ging dann entschlossen zu ihm hin und hob ihn hoch, ging in die Mitte des Zimmers und setzte ihn dann wieder ab. „Kannst du Go spielen?“, fragte er Anna dann. Go? Den Namen hatte sie zwar schon gehört, dass es sich um ein Spiel handelte wusste sie leider nicht. Anna schüttelte den Kopf. „Nein, ich kann kein Go spielen“, antwortete sie dem Dämon. Dieser sah sie an und dann den Tisch. „Du hast dir aber ein Go-Brett vorgestellt.“ Er deutete auf das Tischchen. Anna sah es überrascht an. Nun bemerkte sie auch, dass der Tisch mehrere Kerben hatte und wie ein übergroßes Schachbrett nur ohne das schwarzweiße Schachbrettmuster war. Anna musste Schlucken. Sie hatte solche Tischchen immer einmal wieder auf alten japanischen Gemälden gesehen, deshalb hatte sie es sich auch in dem Zimmer vorgestellt. Aber dass es sich um ein Spielbrett handelt das hätte sie nicht gedacht. Wie kam sie nur da wieder heraus ohne dass der Samurai merkte, dass es purer Zufall war, dass das Go-Brett in dem Raum war.
„Ich dachte, dass in den früheren Epochen von Japan gerne Go gespielt wurde, deshalb habe ich es mir vorgestellte“, log sie. Der Dämon sah sie interessiert an. „Da hast du Recht. Es ist zudem eines meiner Lieblingsdinge die ich zum Zeitvertreib verwende.“ Der Samurai setzte sich an das Go-Brett und bedeutete ihr sich ihm gegenüber zu setzten. Anna setzte sich und sah ihn fragend an. Der Dämon grinste sie breit an. „Als Dank dafür, dass du mir diese Behausung geschenkt hast, werde ich dir beibringen, wie man Go spielt. So habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich bin dir nichts mehr schuldig und mir ist nicht so langweilig. Zudem haben wir eh noch etwas Zeit übrig.“
Anna sah in verwirrt an. „Nun gut“, sagte sie dann, „erkläre mir das Spiel!“ „Das Spielprinzip ist so, dass die Spieler abwechselnd jeweils einen eigenen Stein auf die Schnittpunkte der Linien des Brettes setzten.“ Der Dämon holte aus dem Stoffsäckchen die Steine heraus. Die eine Hälfte war schwarz und die andere weiß. Wie bei einem Schach- oder Damespiel. „Man kann gegnerische Steine und Steingruppen schlagen, indem man sie rundum einschließt. Am Ende gewinnt der Spieler, der den größeren Teil des Brettes kontrolliert“, erklärte der Dämon weiter. Nachdem der Dämon das grundlegende Spielprinzip Anna geschildert hatte, erklärte er ihr die einzelnen Spielregeln. Anna fand, dass das Spiel sehr kompliziert war. Die Regeln konnte sie sich auch nicht alle merken. Ihr schwirrte der Kopf. Der Dämon bemerkte, dass Anna nicht alles verstanden hatte und meinte dann, „Wir beginnen einfach einmal eine Runde, währenddessen kann ich es dir noch einmal erklären.“ So begannen sie zu spielen. Der Dämon hatte die schwarzen und Anna die weißen Steine.
Während des Spiels blieben beide sehr ruhig. Hin und wieder erklärte der Dämon, was Anna falsch gemacht hatte und zeigte ihr wie es richtig ging. Nach einiger Zeit des Schweigens brach Anna dann die Stille. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie. Der Dämon sah nachdenklich von dem Spielbrett auf, einen seiner Steine in der rechten Hand. Er hatte wohl gerade nachgedacht, wohin er ihn setzten sollte. „Ich habe keinen Namen. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, wie er einmal lautete! Nenne mich einfach Dämon. Und wie darf ich dich nennen kleines Mädchen?“ „Mein Name ist Anna. Schön dich kennenzulernen Dämon“, sagte Anna lächelnd. Der Dämon grinste sie an. „Ja, schön dich kennenzulernen.“ Anna sah ihn weiter an und ihr kam eine Frage in den Kopf geschossen. „Kannst du dich an gar nichts erinnern? Also was du vor deinem Dasein als Dämon gemacht hast?“ Der Dämon sah sie jetzt traurig an. „Nein, ich kann mich an nichts erinnern.
Ich weiß nur, dass ich ungefähr so ausgesehen haben muss wie ich jetzt aussehe.“ Der Dämon sah wieder auf das Go-Brett und dachte wieder nach, wo er seinen Stein hinsetzten sollte. Dann lachte er freudig auf und machten seinen Zug. Dann sah er Anna mit einem höhnischen Grinsen an. „Ich habe gewonnen! Es war ein schönes Spiel. Aber du musst noch viel lernen, wenn du mich eines Tages einmal schlagen möchtest!“ Anna wurde von den Worten des Dämons wie aus einem Traum gerissen. Sie sah geschockt auf das Spielbrett. „Ich … Ich habe schon verloren? Ich habe es nicht einmal gemerkt!“ Anna war deprimiert. Das Spiel ging viel zu schnell vorüber.
Der Dämon stand nun auf und Anna tat es ihm gleich. Er ging zur Schiebetür des Schreins, daneben hing eine Schriftrolle mit einem auf Japanisch geschriebenen Satz. Anna konnte leider kein japanisch. Sie hatte es einmal angefangen zu lernen, durch das Studium musste sie es aber leider unterbrechen. Der Samurai begann zu sprechen. „Es war eine sehr interessante Begegnung mit dir Anna. Ich würde gerne noch etwas länger mit dir Zeit verbringen. Leider ist unsere heutige Zeit schon vorbei.“ Anna sah in verwirrt an. Was meinte der Dämon damit? Die Schiebetür öffnete sich auf einmal von alleine. Draußen sah Anna nur die Dunkelheit. Sie drehte sich um und wollte noch etwas zu dem Samurai sagen, doch da schubste er sie aus dem Schrein. Anna fiel nach hinten um. Im freien Fall sah sie noch das breit grinsende Gesicht des Dämons. Dann fiel sie in die Dunkelheit. Kurz bevor sie aufprallen sollte schreckte sie aus ihrem Traum hoch und erwachte in der kleinen Kammer des Labors. "So ein Arsch!", schrie sie.
***
Eisenhardt war nervös. Das Experiment mit Anna hatte gerade erst begonnen und sie war in einen tiefen Schlaf gefallen. Noch verlief alles normal. Der Professor fragte sich, welche Gestalt der Dämon nun hatte. Auch fragte er sich, ob die Nummer zehn stark verletzt aufwachen würde. Plötzlich zuckte Anna im Schlaf zusammen. Einzelne Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Es begann! Gleich würde sie sich wie die anderen in einen Albtraum geraten. Bestimmt begann sie jetzt gerade ihre Flucht vor dem Dämon. Der Professor schaute sie erwartungsvoll an. Es passierte aber nichts. Anna schlief ohne irgendwelche Regungen ruhig weiter. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Der Professor sah sich Annas Werte ganz genau an. Sie blieben im normalen Bereich. Kein Zeichen von Angst, Nervosität oder Stress. Hatte der Dämon keine Lust mit einer Frau seine Spielchen zu spielen? Oder hatte er sie, als er sah, dass es sich um keinen Mann handelte, aus seiner Welt verbannt, in einen normalen Traum? Eisenhardt war verunsichert. Sollte er Anna wecken? Nein, dass durfte er nicht. Sonst wären seine Ergebnisse total verfälscht. Er musste sie wie die anderen schlafen lassen bis Nummer zehn aufwachte. Also wartete er. Dokumentieren konnte er auch nicht viel, da sich nichts tat. Anna blieb einfach ganz ruhig auf dem Bett liegen.
Nach ca. einer Stunde wachte Anna ruckartig aus. Sie setzte sich sofort auf und sah sich um. Anna sah wütend aus. Eisenhardt stürzte sofort zu ihr in den Raum und fragte: „ Alles okay bei dir? Bist du verletzt?“ Anna sah in verwirrt an. „Nein, wieso sollte ich verletzt sein? Dieser Arsch hat mich einfach rausgeschmissen! Ohne was zu sagen hat er mich einfach aus dem Zimmer geschupst“, sagte sie aufgebracht. Nun war der Professor verwirrt. „Hat der Dämon dich nur erschreckt und dann aus seiner Welt geschmissen?“ „Was? Nein! Wir haben Go gespielt und als er gewonnen hatte, hat er mich aus seinem Schrein, den ich für ihn mir vorgestellt habe, geschmissen!“, sagte Anna entgeistert. Jetzt verstand der Professor gar nichts mehr. „Okay, beruhig dich erst einmal Anna. Und dann erzählst du mir alles ganz genau von Anfang an.“
Anna nickte und als sie sich beruhigt hatte begann sie ihre Erlebnisse zu schildern. Die Geschichte war so verblüffend, dass der Professor nicht wusste, ob Anna das wirklich erlebt oder nur geträumt hatte.
Als er Anna wieder in ihre Zelle zurückgeschickt hatte und den Bericht zu ihren Erlebnissen aufgezeichnet hatte, sah er sich noch einmal alle Aufschriebe an. Die einzige, die mit dem Dämon kommuniziert hatte war Anna. Obwohl Eisenhardt nicht genau wusste, ob das was Anna erlebt hatte der Wirklichkeit entsprach. Der Dämon wollte also nur seine Öllampe beschützen. Das hört sich schon einleuchtend an, aber dass er sie trotzdem nicht gejagt hatte, wie die anderen, verstand er nicht. Konnte er so gnädig sein oder hatte er einfach nur Mitleid mit Nummer zehn? Aber nein, das konnte nicht sein! Wieso sollten Dämonen Gefühle haben?
Der Professor beschloss morgen früh allen Probanden zu erzählen, was jedem einzelnen widerfahren war. Er seufzte. Heute würde es sehr spät für ihn werden, das war ihm klar. Er musste noch den Bericht für den Vorstand fertigstellen.
Am besten wäre es, nur zu erwähnen, dass Anna mit dem Dämon kommuniziert hatte. Die anderen Geschehnisse ließ er lieber außen vor. „Also dann ich sollte anfangen“, dachte sich Eisenhardt.