„Pop! Six! Squish! Uh uh! Cicero! Lipschitz!” Fröhlich tanze ich mit den Schatten imaginärer Gestalten durch meine Zelle. Meine verschiedenen Probleme übernehmen fünf Rollen im Tango sowie den Backgroundchor, meist in Gestalt von Wölfen, aber ich sehe auch einen Mann in langen Roben und ein … fliegendes Buch? Und flackert da manchmal ein Otter?! Wo kommen die Pferde her?
Also, ich kann das erklären. Glaube ich.
Zunächst einmal habe ich ja wenig Zeit. Dennoch nähert sich mein Tag in der Zelle dem Mittag meines dritten Tages auf dieser verzweifelten Suche nach einem Becher vor Angst. Fast drei Tage! Das ist bestimmt die Hälfte meiner Zeit!
In Anbetracht dieses Zeitdrucks musste ich mich auch damit beeilen, aufgrund der Einzelhaft wahnsinnig zu werden. Man sollte die Dinge erledigen, wann man kann, nicht wann man will.
Dann hatte ich diesen Ohrwurm von einem Lied, das ich mit Gefängnissen verbinde und … gut, den Rest kann ich vielleicht nicht erklären.
Zum Glück muss ich das nicht, weil in diesem Moment der Plot weitergeht. Na endlich!
Mit stampfenden Schritten betritt eine Wache den Zellengang. Ich kann hören, wie sie vor jeder Tür kurz hält und etwas abstellt. Eine Holzschale?
„Hallo? Verzeihung?“ Ich stecke die Schnauze so weit durch das Gitter, wie ich kann. „Hallo? Es handelt sich hier um ein Missverständnis, wann kann ich mit jemandem reden? Oder … einen Anwalt anfordern oder so?“
Die Wache beeilt sich nicht mal! Seelenruhig verteilt der Kerl weiter Schalen. Und offenbar etwas aus Glas, wenn meine Ohren mich nicht täuschen.
Endlich steht der dicke Mann vor meiner Zelle. Er balanciert ein Tablett auf einem breiten Arm, das bereits ziemlich leer aussieht – ich bin hinten im Gang. Eine Schürze wölbt sich über seinem Bauch, doch an den Seiten sieht man, dass das Hemd fast bis zur Brust hochgerutscht ist. Als Wache weist ihn nur ein Helm aus, der Rest der Rüstung passt wohl nicht.
Mit formvollendeter Eleganz sinkt der Wächter auf ein Knie und schiebt eine Holzschale und ein Wasserglas durch das Gitter in meine Zelle. „Ich bin sofort da!“
Während er also seine Runde beendet, schnuppere ich am Essen. Wasser und Brot – das Brot scheint aber gesalzen zu sein und es befindet sich auch nicht in Brotform, sondern in Gestalt kleiner, runder Scheibchen. Püh … aber ich hatte gestern so gut wie nichts, also probiere ich mal eines. So als Snack zwischendurch, bis die Wache zurück ist.
KNURPS.
„Verschwindet!“ Ich dränge die Irrsinn-Schatten zur Seite. „Ihr seid Illusionen, ihr müsst nichts essen! Alles meins!“
Tja, was soll ich sagen? Das schmeckt super. Ein bisschen wie Brot, ein bisschen wie Chips. Fast wie … Brotchips.
Bis der Wächter zurück ist, habe ich die Schüssel schon dreimal ausgeleckt. Mit einem Lächeln geht der Gigant wieder in die Knie. „Hier. Ich habe eine Schüssel übrig.“
Ohhh! Köstlich!
Der Wächter wartet, bis ich fertig bin. Dauert aber echt nicht lange.
„Also“, sagt er danach. „Du sagtest was von einem Missverständnis? Laut der Zahnfee wurdest du aber auf frischer Tat ertappt.“
„Na ja, schon“, gebe ich zu. „Aber das war doch nur, weil ich einem Dämon etwas schuldete. Also, zwei Dämonen, um genau zu sein. Das war jetzt aber nur eine Halbdämonin, meine beste Freundin nämlich!“
Die Augenbraue des Wächters ist immer weiter nach oben gewandert. „Das ändert nichts an deinem Verbrechen. Zwar wird es noch einen Prozess geben, aber Diebstahl von solchen Voodoo-Elementen, noch dazu für einen Dämon oder Halbdämon, wird dir sicher ein halbes Jahr Knast einbringen.“
Ich schlucke. Ich wusste von Anfang an, dass das eine schlechte Idee war! „Es gibt doch sicher mildernde Umstände. Wann ist denn der Prozess?“
„In einer Woche“, erklärt der Wächter.
Ich schnappe nach Luft. „Eine Woche? Ich … muss ich etwa so lange hier warten?“
„Ja.“ Verwundert schüttelt er den Kopf. „Das ist die Untersuchungshaft.“
„Aber … aber … kann ich die auf später verschieben? Ich habe einen wichtigen … einen sehr wichtigen Termin! In viereinhalb Tagen.“
Der Wächter schüttelt zu meinem Entsetzen den Kopf. „Tut mir leid. Das hättest du dir vor dem Diebstahl überlegen müssen.“
Er sammelt die leeren Schalen ein und geht den Gang wieder hinunter. Ich bekomme das kaum mit. Lyssa hat nämlich begonnen, mir meine restlichen Tage auszumalen. Die ich in dieser Zelle versauern werde, bis Sir Prise auftaucht, um meine Seele zu holen. Bei der Finsternis, ich hätte mich niemals mit Dämonen einlassen sollen!
Unruhig trotte ich in der Zelle auf und ab, während ich fieberhaft überlege, ob ich im Gefängnis noch irgendwie an den Becher voll Angst kommen kann, um wenigstens meine Seele zu retten. Aber keine Chance – das Wasser kam ja im Glas.
Entkommen ist auch nicht so leicht. Zwar würde ich durch das Gitterfenster passen, aber danach geht es tief runter. Ohne Flügel oder wenigstens ein Seil komme ich da nicht runter! Und in der Zelle gibt es nur etwas Stroh. Um daraus ein Seil zu weben, fehlt es mir definitiv an Daumen.
Ich trinke ein paar Schlucke und beginne dann, meinen Pelz nach Brotchipskrümeln abzusuchen, um mich von Lyssas Horrorszenarien abzulenken. Die Irrsinn-Schatten sind auch weg. Ich glaube, die hat auch Lyssa erschaffen, weil ihr in der Zelle langweilig war.
Während ich salzige Krümel zusammenklaube, stoße ich auf noch mehr, das sich in meinem Fell verfangen hat. Dreck und Erde natürlich, ein wenig Asche aus der Unterwelt, aber auch ein paar Mitbringsel aus den Schimmerweltpfaden.
Ha! Ein paar Gramm Plothole. Und tatsächlich ein wenig welkes Deus ex Machina. Das ist jetzt zwar nicht die klügste Entscheidung, aber ich mische beides kurzerhand. Es sind zwar nur Reste, aber die folgende Explosion reißt mich von den Pfoten und schleudert mich in das Zellengitter.
Glücklicherweise ging der Flug nicht über einen Hai – sonst hätte ich echte Probleme bekommen. So rappele ich mich auf, bis auf einige Blessuren unverletzt. Mein Fell ist stellenweise etwas angeschwärzt. Eigentlich ein hübsches Muster …
Ich spitze ein Ohr zum Gang. Doch falls der Wächter den Knall gehört hat, kommt er nicht nachsehen.
Dann gucke ich mir an, was mein gefährliches Experiment hervorgebracht hat. Es handelt sich um einen Riss im Weltgefüge! Ein weißlicher, leuchtender, etwas ungerader Strich schwebt im hinteren Teil meiner Zelle, direkt unter dem Fenster.
Also schön. Mal sehen, wohin mich das Dimensionsportal bringt!