Der Preis ist dann doch nicht so hoch, wie ich dachte. Die Voodoo-Lady benötigt nämlich einen Kürbis für ihren Eintopf. Allerdings darf es kein gewöhnlicher Kürbis sein, sondern ein magischer. Doch auch das ist kein Problem, ich weiß zufällig genau, wo jemand mit einem magischen Kürbis herumreitet.
Auf den Schimmerweltpfaden habe ich ein wenig Staub eingesackt, sodass es nicht schwierig ist, in das kleine Dorf aus Buch 2 zurückzukehren. Das einzige Risiko besteht in der Zeit. Diese verläuft zwischen den einzelnen Orten der Schimmerwelt nicht parallel. So kann ich zum Beispiel zur nächsten Kürbisnacht springen. Aber ich hoffe, dass das nicht zu der Deadline von Sir Prise zählt. Denn ansonsten wäre ich dreiundzwanzig Tage überfällig! Auch wenn diese Zeit nicht für mich persönlich verstrichen ist. Hoffentlich gilt das auch.
Ich nutze also einen Zeitsprung nach vorne und denke auch daran, eine passende Rückblende einzustecken, damit ich wieder zurückkomme.
Dann husche ich über den nächtlichen Dorfplatz und verstecke mich beim Brunnen. Es dauert nicht lange, bis ich den Hufschlag des finsteren Reiters höre, begleitet vom unheimlichen Wiehern seines Pferdes. Er stürmt auf den Platz und ich beobachte ihn unauffällig über den Rand des Brunnens.
„Was ist denn dir passiert?“
„Höh? Wer ist da?“ Der Reiter bremst das Pferd abrupt und dreht den Kürbiskopf wild hin und her. Dieser glüht nicht mehr – die Augen fehlen! Deshalb kann er mich auch nicht sehen. Das düstere Pferd jedoch stellt die Augen auf und betrachtet mich freundlich mit schiefgelegtem Kopf.
Hm. Das ist anders als die bisherigen Treffen mit diesem Duo. Doch die größte Änderung ist vermutlich der Kürbis selbst. Dem fehlen nämlich mehrere große Stücke, die offenbar herausgebissen wurden.
„Was ist dir denn zugestoßen?“, wiederhole ich.
„Ahh!“ Der Reiter kauert sich zusammen. „Du bist der Wolf! Jetzt erkenne ich deine Stimme.“
„Ich, ähh …“
„Komm nicht näher!“ Er hebt den angebissenen Kürbis über den Kopf und holt drohend aus. „Bleib mir bloß vom Leib!“
„Ich möchte doch nur …“
„Ieeek!“ Mit einem schrillen Schrei wirft der Reiter den Kürbis nach mir. Immerhin erfahre ich auf diese Weise, warum das Pferd auf einmal so freundlich war. Es sieht dem Kürbis hungrig nach. Offenbar ist es noch dankbar für die paar Bissen, die es damals ergattern konnte.
Diesen angesabberten Kürbiskopf ohne Augen kann ich jetzt auffangen, ehe der Reiter panisch die Flucht ergreift. Der Hufschlag entfernt sich, obwohl das Ross eher widerstrebend den Befehlen gehorcht.
Tja, das war leichter als erwartet. Ich wuchte den Kürbis auf meinen Rücken und taste nach der Rückblende. Wo hatte ich die noch gleich in mein Fell geklebt?
Plötzlich höre ich ein ‚Puff‘.
„Da bist du also! Wie konntest du dich verstecken?“
„Sir Prise?“ Ich wirbele herum.
Der Dämon schwebt auf seiner Wolke hinter mir. Diese ist aber nicht länger rosa, sondern sturmwolkengrau. Sir Prise darauf kommt mir auch irgendwie größer vor.
„Spielt auch keine Rolle – du kannst nicht länger davonlaufen, Wolf!“ Die Stimme meines mysteriösen Auftraggebers hallt über der Siedlung, dröhnend wie ein Sturm. Blitze zucken aus dem Nachthimmel, ein mächtiger Sturm peitscht Erde über den Platz. „Deine Zeit ist um. Vielleicht hast du ein paar Tage erkaufen können, doch es wird Zeit, deine Schuld zurückzuzahlen. Du hast den Becher voll Angst nicht rechtzeitig abgegeben und nun …“
„Ah, da.“
„Was?“ Sir Prise unterbricht seinen Vortrag erschrocken. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“
„Ja, klar. Ich bin spät dran. Aber das bin ich eigentlich nicht, denn ich werde den Becher ja noch rechtzeitig abgeben. Abgegeben haben. Ich muss nur den Becher erst bekommen haben und dann auffüllen gehabt werden.“
„Häh?“
Ich ziehe die Rückblende hervor, die ich endlich gefunden habe. „Deshalb sagte ich ‚ah, da‘. Das hier brauchte ich nämlich. Also, wir sehen uns vor dreiundzwanzig Tagen, mit dem Becher voll Angst.“
„He, warte …“
Ich drücke die Rückblende. Die Welt verschwimmt. Als ich die Augen wieder öffne, sitze ich am Strand vor der Hütte von Jasmin.
Sofort drehe ich mich um. Bingo – der Kürbis ist noch auf meinem Rücken!
„Jasmin!“ Ich renne zur Hütte, wo ich erschrocken bremse. Ich starre nämlich auf Ifrit, die in einem großen Bottich sitzt und sich schrubben lässt.
„Kein Wort davon zu niemandem, Wolf!“, droht sie.
Jasmin drückt mir den Schrubber ins Maul und nimmt dafür den Kürbis. „Der wird genügen. Gut, gib mir eine Stunde!“
„‘n Rrrdnng“, nuschele ich um den Griff des Schrubbers herum. Dann helfe ich dabei, den Tiger einzuseifen, während Jasmin den Kürbis kleinhackt und in den Eintopf schnibbelt. Diesen gibt es dann zu essen, nachdem Ifrit sich im Meer abgewaschen und das Wasser zielsicher in meiner Nähe abgeschüttelt hat. Danach war sie wieder rot und gut gelaunt.
„Ich habe dir also das Mittagessen besorgt“, stelle ich fest, als Jasmin meine zweite Schüssel einsammelt. Der Eintopf war echt lecker, ich beschwere mich also nicht!
„So läuft das im Voodoo, Wolf. Eine Hand wäscht die andere Pfote und so.“ Jasmin geht zu einem Schrank und holt einen Holzbecher heraus, den sie vor mir auf den Tisch stellt. „Bitte sehr.“
„Das ist der Becher voll Angst?“
„Nicht ganz!“ Jasmin hebt einen dunklen Finger. „Das ist ein Becher für Angst. Die musst du noch selbst hineinfüllen.“
„Oh. Aber das sollte ja nicht schwer sein. Ich fürchte mich vor allem und jedem.“
Jasmin schüttelt jedoch den Kopf. „Deine eigene Angst funktioniert nicht“, sagt sie in bedauerndem Tonfall. „Es muss fremde Angst sein. Doch du findest schon etwas, da bin ich mir sicher.“
Ich nicke. „Ja, das klappt sicher. Vielen Dank!“
„Doch nicht dafür – das war ein einfacher Tauschhandel.“ Jasmin lächelt. „Viel Erfolg!“
Ich entschuldige mich nochmal bei Ifrit und gehe dann zurück. Es wird wohl Zeit, wieder auf die Schimmerweltpfade zu gehen und jemanden zu finden, der sich fürchtet. Als ich die Hütte verlasse, höre ich noch Jasmins leise Stimme.
„Wofür braucht er den Becher überhaupt? Angst ist schon eine ungewöhnliche Zutat. In den richtigen Rezepten könnte das …“
Da bemerke ich einen raschen Schatten, der aus den nahen Bäumen herabfällt. Erschrocken zucke ich zusammen, als sich ein behaarte Hand nach mir streckt. Doch ich bin nicht schnell genug. Das Etwas packt den Becher und schwingt sich wieder an den Lianen nach oben. Ein spöttisches Keckern verhöhnt mich, als ich dem Affen mit offenem Maul nachsehe.
„Das ist meiner!“ Es darf doch nicht wahr sein, dass ich den Becher so schnell wieder verliere!