Leise ziehe ich eine der Packungen näher zu mir heran. Ganz vorsichtig, ganz langsam, damit das Papier nicht raschelt.
Schließlich habe ich die kostbare Fracht zwischen den Zähnen. Ich bin den Menschen so nah, dass sie mich eigentlich riechen können müssen, nur durch eine Kiste von der Gruppe getrennt, die im Kreis sitzt und redet. Auf die Worte achte ich kaum. Ich bewege mich nur mit langsamen, fließenden Bewegungen über den Sand rückwärts. Eine Ecke der Verpackung flattert bei jedem Atemzug. Ich bewege mich so, dass die Tüte nicht einmal wackelt.
Schließlich bin ich wieder in der Deckung der Bäume und kuschele mich bequem in ein weiches Nest, um die Packung zu öffnen und die ersten Brotchips zu knurpseln. Krachend brechen sie unter den Zähnen. Sooo lecker!
„Da ist es schon wieder! Das Krachen! Es ist sicher ein Monster, das Knochen bricht!“
Die Menschen müssen unbedingt auf sich aufmerksam machen. Ihre Schreie hallen über den Strand.
„Reiß dich zusammen! Das ist bestimmt nur morsches Holz!“
Ich knurpsel unbesorgt weiter. So lecker und brotig und salzig!
„D-das ist doch viel zu nah für einen Baum …“
„Es kommt gleich da aus dem Wald. Und was ist im Wald? Genau, Bäume.“
Die Unterhaltung beim Essen lässt noch etwas zu wünschen übrig. Ich würde gerne den Kanal wechseln, aber das geht in der echten Welt leider nicht. So muss ich mich damit begnügen, die Menschen zu beobachten. Einer hat eine unangenehm schrille Stimme. Einer der anderen schüttelt ihn am Hemd und gibt ihm schließlich sogar eine Ohrfeige.
„Du kannst meinetwegen auf dem Schiff schlafen, wenn du willst. Nur steck hier nicht alle mit deiner Panik an.“
„Wir hätten viel weniger Angst“, wirft ein dritter Mann leicht spöttisch ein, „wenn jemand in den Wald gehen und nachsehen würde!“
„Dann geh doch!“
„Ich? Wieso gehst du nicht?“
Ich bin bereits bei der Hälfte der Packung und unterbreche das Knurpseln, um die Seitenwände abzulecken. Da sind auch Krümel und Salz! Leise raschelnd mache ich es mir in meinem Nest bequem, das übrigens aus leeren Packungen besteht. Richtig leer – ich habe das mehrmals kontrolliert.
„Jetzt ist es wieder still.“ Der Mensch klingt den Tränen nah.
„Na also. Und alle leben noch. Dann können wir ja jetzt …“
Ich nehme eine Maulvoll Brotchips. Über meinem eigenen Kauen kann ich die Menschen eine Weile lang gar nicht hören, aber etwas hat sie wieder in Aufregung versetzt.
Einige nehmen sogar Stöcke aus dem Feuer – der Abend ist zwar noch fern, aber sie wollten ihr Essen aufwärmen – und schwenken sie wie Fackeln. Wozu das denn?
„Verschwinde, Ungeheuer!“, brüllt einer. „Lass uns in Frieden.“
Was meinen sie bloß? Ich kaue weiter. Um die Menschen kümmere ich mich ja gleich – aber vorher brauche ich eben eine kleine Stärkung. Etwas Nervennahrung, ehe ich mich dem Kampf stelle.
„Boss! Hier … hier fehlt Essen! Sieh mal, die Kiste wurde aufgebrochen!“
„Was? Das kann doch nicht …“ Die Menschen versammeln sich um die Kisten, die auch als Begrenzung ihres Lagers dienen.
„Kontrolliert die anderen!“
Ich sehe neugierig zu. Vor meinen Augen öffnen die Menschen andere Kisten. Heraus holen sie Dosen, Säcke und … noch mehr Brotchipspackungen! Ich lasse die Tüte und beinahe auch die Chips aus dem Maul fallen.
„W-warum ist es jetzt so still?“
„Klappe! Packt alles in die Kiste.“ Der scheinbare Anführer der Menschen sieht sich wachsam um. „Na los, an die Arbeit!“
Während sich die Menschen in den Sand knien, eile ich geduckt los. Ich achte darauf, immer im Rücken des einen Menschen zu bleiben, der nicht mithilft, sondern auf den Wald starrt. Er ist ein schlechter Wächter, denn er guckt nur zu meinem Nest. Ich habe aber schon einen Bogen geschlagen und ducke mich wenig später in den Schatten einer großen Kiste.
Ich bin den Brotchips so nah, ich kann sie riechen.
„Habt ihr alles gezählt?“
„Ja, Boss. Wir müssen nur noch …“
Ich höre nicht zu, sondern passe einen günstigen Moment ab und schnappe mir eine Tüte. Und eine zweite. Und eine dritte! Ich ziehe alle in den Schatten der Kiste, so leise wie möglich. So geschickt wie heute war ich seit Jahren nicht mehr! Brotchips bringen einfach das Beste in mir heraus.
„Boss! Boss!“ Eine Stimme reißt mich aus meinen Träumen. Die Menschen schreien durcheinander. „Da fehlen Brotchips! Eben waren sie noch da, ich schwöre es!“
„An die Waffen!“, brüllt der Anführer.
Dann folgt bestialischer Lärm aus den Knallstöcken. Der Geruch nach Pulverdampf füllt die Luft, ein wenig wie das Versprechen zukünftiger Abenteuer. Ich kauere mich mit meiner Beute in den Schatten der Kiste und vergrabe den Kopf unter den Pfoten.
Verflucht, sind die laut! Wie soll man bei dem Lärm denn in Ruhe etwas essen?
Dann wird es still. Nur noch schwerer Atem ist zu hören, begleitet vom Rauschen der Wellen, die in ruhigem Wechsel auf den Strand rollen.
„Haben … haben wir es vertrieben?“, fragt derjenige, der vorher sogar geohrfeigt wurde.
„Ich weiß es nicht. Zählt das Essen.“
Nun, was soll ich sagen? Ihnen fehlen noch ein paar Brotchipspackungen mehr!
„Boss, hier sind Schleifspuren.“ Das ist der Mann, der so sarkastisch war. „Vielleicht sind die Packungen nur hier um die Kiste geru…“
Eine Hand streckt sich um die Kante und tastet nach den Brotchips. Ich lecke darüber. Keine Ahnung, warum. Die Haut hat ein bisschen die Farbe von Brotchips und der Angstschweiß darauf ist auch sehr salzig. Irgendwie ist mein Körper wohl noch im Futtermodus. Wie gesagt, nur ein kleiner Snack, ehe ich mich wieder auf meine Mission konzentriere.
Ein schriller Schrei gellt in meinen Ohren. Gefolgt von anderen Schreien, ein paar Schüssen und dann platschenden Schritten, die sich rasch entfernen. Bis ich den Kopf aus meiner aktuellen Brotchipstüte gehoben habe, sind die Menschen spurlos verschwunden. Nur noch ihr großes Schiff wird am Horizont kleiner.
Tja, wenn sie die nicht mehr wollen … Ich sammele die restlichen Brotchips ein und schleppe sie in mein Tütennest, wo ich mich weiter stärke. Hier findet mich Tarzan wenig später, vollgefressen und rund wie ein Welpe.
Er legt den Kopf schief und lächelt. „Menschen weg. Und ganz viel Essen für alle Tiere!“
Ich nicke und nuschele um ein paar Krümel. „Gern geschehen.“ Ich sagte ja, ich kümmere mich darum! Wenn das von alleine klappt, habe ich aber nichts dagegen, die Lorbeeren einzuheimsen. „Wo ist jetzt mein Becher?“
„Also … Tarzan hat Problem“, gesteht der Affenmensch. „Nur kleines Problem, aber …“
So, wie er herumdruckst, ist mir klar, dass es ein größeres Problem sein wird.