Der Lärm ist ohrenbetäubend. Menschen und menschenähnliche Fabelwesen brüllen. Affen hüpfen kreischend über das rechte Hinterbein des Drachen. Eine Gruppe Zwerge, darunter Kieselbart, bearbeitet eine andere Pranke mit Spitzhacken und weicht dann auf einen Warnruf der jungen Frau, die ich vor dem Vulkan gerettet habe, zur Seite, als die Bestie nach ihnen schlägt.
Auf der anderen Seite führt Ifrit eine Gruppe Chupacabras in einen Sturmangriff auf die Schwanzspitze unseres Gegners. Doch wie die meisten Kämpfer können sie den großen Drachen kaum verletzen. Seine Schuppen sind zu stark!
Ich arbeite mich zwischen mehreren Dorfbewohnern zu der Kelpiereiterin vor.
„Ceridwen! Wir müssen die Stundengläser zerstören.“
„Marvin!“ Sie dreht sich um. „Du sprichst ja doch noch mit mir.“
„Was? Natürlich, ich …“ Dann geht mir ein Licht auf. „Oh, du hast Jung-Marvin getroffen! Er hat den Zauber noch nicht, der ihn mit Menschen reden lässt, und die Fabeltiersprache hat er auch noch nicht gelernt. Mein jüngeres Ich – ist eine lange Geschichte.“ Ich lächele. „Aber ich glaube, er hat sich auf den Bergrand gerettet, zu Yeti. So viele Wesen machen ihm Angst. Dann gibt es noch mein Spiegelbild, ich glaube, den habe ich zum schwarzen Glas rennen sehen.“
Ceridwen schüttelt lachend den Kopf. „Ich sehe, wir haben viel nachzuholen.“
„Und das waren nur die letzten paar Minuten!“
Sie ist zum Glück etwas konzentrierter als ich. „Die Sanduhren kaputt machen, ja? Wie schaffen wir das? Die sind riesig.“
„Das eine da hat Clive selbst zerschlagen. Haben wir Explosiva oder so?“
„Wenn, würde ich sie dir nicht anvertrauen.“ Ceridwen wendet sich kurz ab, um Capracandor und Ly zuzubrüllen: „Lenkt den Drachen ab! Wir müssen ihn beschäftigt halten!“
„Was denkst du, was ich hier tue?“, ruft der Wolpertinger, ehe er einem weiteren Hieb ausweicht.
Ceridwen sieht mich wieder an. „Kümmere dich um die beiden heilen Gläser. Ich lasse den Sand aus dem roten entfernen!“
„Gute Idee.“ Ich renne los. „Warte, schlechte Idee. Was soll ich denn bewirken?!“
Sie ist schon längt losgaloppiert.
Also renne ich zum weißen Sandglas. Der andere Marvin ist ja beim Schwarzen, er wird sich sicher darum kümmern. Ich lege den Kopf in den Nacken, um das hohe Glas zu betrachten. Dann entdecke ich Gully und Kieselbart.
„Könnt ihr mitkommen?“, bitte ich die beiden. „Ihr müsst das Glas da vorne kaputt machen!“
Kieselbart wirft einen kurzen Blick zu dem Steintroll, dann nickt er mir zu und fasst Gullys Hand. „Komm mit. Vorsichtig, da ist ein Stein. Kopf einziehen.“
Der Zwerg leitet meinen blinden Kumpel sicher durch das Chaos. Ich laufe ihnen voraus und versuche mal wieder, ein Stundenglas zu beißen. Nein, es ist besser, einen schlagkräftigen Troll und einen spitzhackenbewehrten Zwerg bei mir zu wissen.
Die beiden holen mich ein und Clive brüllt zur Antwort auf, als sich erste Risse durch das Glas ziehen. Es wird noch immer von weißen Blitzen umzuckt.
Dann wirbelt der Drache herum. Sein weißer Kopf, der mehrmals erbebt, findet mich.
„Du!“, brüllt er. „Mir reicht es mir dir, Wolf! Der Tod ist noch zu gut für dich!“
Dann sperrt er das Maul auf. Ehe ich reagieren kann, trifft mich der weiße Strahl mit voller Breitseite.
*
„Marvin!“
„Ich bin hier.“
Ceridwen wirbelt herum. „Was? Aber … ich habe doch gesehen, wie er …“
„Das war ja auch nicht zu überhören.“ Ich lege die Ohren an. Der Clive-Drache hat ein ordentliches Organ, wenn er brüllt, hört man das auf dem gesamten Schlachtfeld. „Das war glücklicherweise nur der Spiegelwolf, nicht ich.“ Lyssa malt mir aber in allen Details aus, dass ich an der Stelle meines Doppelgängers hätte sein können. Ich hatte mit meinem Demolierteam auf einen geeigneten Moment gewartet, wo unser Gegner abgelenkt ist. Jetzt schlagen Dracula und seine drei Gefährtinnen auf das Glas ein. Einer Vampirkraft widersteht auch ein Drachenglas nicht.
„Nicht du?“
„Wir … sehen uns sehr ähnlich. Er ist aber linkspfötig. Also … war.“ Um ehrlich zu sein, es ist vielleicht besser so. Es reicht, wenn zwei von mir hier herumlaufen. Drei Marvins sind definitiv zu viel des Guten!
Tobend wirbelt der Drache herum. Dann allerdings stürzt sich ein nur etwas kleinerer Drache auf ihn und nagelt den verwandelten Dämon auf das brechende Eis. Dessen drei Köpfe schwinden noch schneller, als die Stundengläser durch das Eis brechen.
Ich fiepe erschrocken und ergreife wie der Rest der Armee die Flucht, ehe der See völlig unter uns einbricht. Als wir sicher am Ufer sind, sehen wir, wie der Dämonendrache soeben versinkt. Die Stundengläser sind ins Wasser gefallen und geborsten, ihr Inhalt wird ausgespült.
Der andere Drache schnaubt spöttisch und schwingt sich wieder in den Himmel, ohne sich zu verabschieden. Hatte ich dem nicht mal was klauen wollen? Zum Glück hat er mich nicht bemerkt.
Wobei, die meisten hier sollten wütend auf mich sein. Sie sind es aber nicht. Ob Ceridwen ihnen allen, wie Gully, erklärt hat, was eigentlich vor sich geht?
Ifrit kommt zu uns getrottet.
„Bösewichte heutzutage. Die haben einfach keinen Stil mehr. Immer nur Weltherrschaft, Weltherrschaft, Weltherrschaft.“ Sie gähnt betont.
„Er ist besiegt, ja?“, frage ich.
Ceridwen und Ifrit sehen auf den See, dessen dunkles Wasser langsam zur Ruhe kommt. Gluckernd versinken die letzten Stundengläser. Nein, da lebt nichts mehr!
„Drei Gläser“, murmelt Ifrit. „Tränen, Angst und Zorn. Geburt, Tod und Leben. Das ist uralte Magie! Wirklich alte, wirklich mächtige Magie.“ Sie schüttelt den Kopf. „Verschwendet an einen weiteren Aufsteiger.“
„Du … klingt neidisch.“
„Hast du eine Ahnung, was ich mit solcher Magie angestellt hätte?“, fragt sie mit einem bösen Grinsen. „Nein, natürlich nicht. Sonst wäre dir aufgefallen, was du dem Dämon da lieferst! Immerhin – ich habe es auch beinahe zu spät erraten, und selbst die Wikiobiblika musste tief in den Archiven wühlen, um auf den Zauber zu kommen.“
„Sie haben es etwa zeitgleich erkannt“, sagt Ceridwen. „Ich war dabei, als deine Tigerfreundin da reingestürmt kam und die Wikiothek aus dem Keller gerannt kam. Ich hatte mich eh gewundert, was für merkwürdige Zutaten das sind – ich habe ja mit allen möglichen Wesen geredet. Und dann war uns klar, dass wir etwas tun müssen.“
„Ich danke euch!“ Das meine ich ernst. „Ohne euch hätte ich das hier nicht geschafft.“
„Oh ja!“ Ifrit nickt. „Als wir endlich zum Berg kamen, haben wir Clive gehört. Ich kann nicht fassen, dass du versucht hast, ihn alleine zu besiegen. Du hattest keine Chance!“
„Irgendwer musste was tun“, murmele ich kleinlaut.
„Und das hat ihn lange genug aufgehalten!“, wirft Ceridwen ein. „Sonst hätte er sicher bereits mit dem Untergang der Welt begonnen!“