Die Sonne blendete mich, als ich die Augen öffnete. Ich hatte richtig gut geschlafen, so gut wie schon lange nicht mehr. So gut, dass es mir nichts ausmachte, dass mein Kopf halb auf Lucians Arm und halb auf seiner Brust lag, sein Arm an meiner Taille und meiner auf seinem Bauch. Seine Atemzüge waren lang und gleichmäßig und er war angenehm warm. Es war ziemlich bequem und ich beschloss, noch eine Weile genau so liegen zu bleiben und begann mit meinem Finger kleine Kreise auf seinen Bauch zu malen, was mich beruhigte und über gestern nachdenken ließ.
All die Informationen, die gestern auf mich eingeprasselt waren, hatten sich über Nacht geordnet und ergaben nun einen Sinn. Ich konnte nicht mehr leugnen, dass an all dem etwas dran sein musste, nein, ich glaubte es langsam sogar. Außerdem, wer hatte denn nicht schon einmal darüber fantasiert, dass genau das einem selbst irgendwann in seinem Leben passiert?"Das kitzelt. Würdest du bitte damit aufhören?" flüsterte Lucian mit rauer Stimme."Oh klar, tschuldigung." Augenblicklich stellte ich das Kreisezeichnen ein und beschloss, dass jetzt ein guter Zeitpunkt zum Aufstehen war. Also schlug ich die Decke weg und setzte mich etwas umständlich auf."Bleib doch noch ein paar Minuten liegen, wenn du aufstehst, muss ich auch aufstehen.""Tja, vielleicht sollten wir tatsächlich aufstehen schließlich wollte ich eigentlich schon gestern bei meiner Freundin sein."
Damit stand ich endültig auf und streckte mich ein paar Mal in alle Richtungen. Auch Lucian erhob sich aus dem Bett und ich erstarrte für einen kurzen Moment, als sein Arm meinen beim Vorbeigehen streifte. Und auch er schien es gemerkt zu haben, denn er drehte sich zu mir um und betrachtete mich stirnrunzelnd. Was ziemlich attraktiv war, mich aber auch dazu veranlasste ich zu fragen, was er über mich dachte.
Ich hatte als Erste meine Beherrschung wieder und ging an ihm vorbei zur Tür. Doch noch bevor ich die Hand nach der Klinke ausstrecken konnte, fasste er mein Handgelenk und drehte mich zu sich um. Er machte noch einen Schritt nach vorn, bis wir uns so nah standen, dass nicht mal mehr ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte. Ich wich instinktiv noch einen Schritt zurück und stand jetzt mit dem Rücken direkt an der Tür. Noch immer standen wir uns für meinen Geschmack viel zu nahe, doch lange konnte ich nicht darüber nachdenken, denn Lucians Hände legten sich an meinen Kiefer und lenkten mein Gesicht in seine Richtung. Ohne nachzudenken schloss ich die Augen. Seine Lippen trafen meine und ich konnte absout nicht mehr klar denken. Er war stürmisch und dennoch sanft. Und ich konnte nichts tun, außer es zu genießen. Mein Körper war wie gelähmt.
Doch plötzlich, als hätte er sich an mir verbrannt, nahm er seine Hände von meiner Haut und ging - ja er stürmte fast zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite und wandte mir den Rücken zu.
"Verlass sofort das Zimmer", sagte er mit wütender, etwas zittriger Stimme.
Ich hatte nichts getan, weshalb er so wütend sein konnte. Er hatte mich geküsst und jetzt war er wütend auf mich?
Wütend verließ ich den Raum und knallte die Tür hinter mir. Der laute Knall veranlasste Raphael aus einem der angrenzenden Zimmer zu kommen.
"Alles okay? Ach du liebe Güte, du solltest wirklich unbedingt duschen gehen und dir was anderes anziehen." Hatten jetzt alle den Verstad verloren?
"Bitte was?!" rief ich entrüstet.
"Bist du Lucian heute schon begegnet?" fragte Raphael besorgt. Was sollte diese Frage?
"Natürlich bin ich ihm schon begegnet, wir haben im selben Bett geschlafen, schon vergessen?"
"Was ist da drin passiert, hat er dich gebissen?"
??? Ich verstad nur noch Bahnhof, warum sollte er mich beißen?
"Nein", sagte ich zögerlich, "warum sollte er?"
"Du hast seinen Geruch an dir. Also zum Verständnis, dein Geruch ist für ihn schon allein schwer zu ertragen, aber die Mischung aus Seinem und Deinem wird ihn verrückt machen. Also, was ist da drin passiert?" fragte er mit Nachdruck.
"Ihr gebt mir Blut, was dann dazu führt, dass nur er mich wärmen kann, was wiederum dazu führt, dass ich seinen Geruch an mir haften habe, was dann dazu führen könnte, dass er seine Selbstbeherrschung verliert und mich beißt. Habt ihr eigentlich vorher mal über euren ach so tollen Plan nachgedacht?"
Jetzt war ich definitiv wütend. "Und nein, er hat mich nicht gebissen, nur geküsst", sagte ich etwas ruhiger.
Er atmete hörbar aus und schien wesentlich beruhigter.
"Ja, ich geb zu, der Plan war nicht wirklich ausgereift, aber wir hatten keine Zeit uns etwas besseres auszudenken, wir haben erst vor ein paaar Tagen von dir erfahren und mussten schnell handeln, damit uns die Werwölfe nicht wieder zuvorkommen. Du bist wirklich wichtig für uns, vor allem für Lucian. Und jetzt solltest du wirklich duschen gehen. Die Dusche ist gleich neben den Toiletten, soll ich dich hinbringen oder findest du sie allein?""Nein, danke, ich glaube ich finde sie allein."
Das tat ich und als ich wieder kam, saßen Raphael und Lucian gemeinsam am Tisch und unterhielten sich."Oh, da bist du ja schon wieder. Bist du bereit?" fragte Raphael."Bereit wofür?""Wir wollen dir zeigen, wie es ist ein Vampir zu sein. Heute abend findet ein großes Fest statt, bei dem du noch ein paar andere Vampire kennen lernen kannst", antwortet Lucan auf meine Frage."Ähm, muss das wirklich heute sein?" Ich hatte eigentlich andere Pläne gehabt und irgendwie hatte ich ein mulmiges Gefühl, bei dem Gedanken noch mehr Vampire um mich zu haben."Ja, so ein Fest wie heute gibt es nicht oft, es ist also die perfekte Gelegeneit. Wir fahren auf dem Weg dahin auch noch bei dir Zuhause vorbei, damit du ein paar Sachen mithnehmen kannst, die du brauchst und damit du dich umziehen kannst." Es schien tatsächlich beschlossene Sache zu sein, egal, was ich sagen würde, es würde sie nicht davon abhalten mich mitzunehmen.
"Okay, aber was bitte soll ich meiner Mum erzählen? Ich kann ihr ja schlecht die Wahrheit sagen", gab ich zu bedenken."Stell Lucian einfach als einen Kumpel vor, der angeboten hat, dich ein paar Tage mit in sein Ferienhaus zu nehmen", schlug Rphael vor.
"Geht nicht, meine Mum kennt alle meine Freunde.""Dann bleibt wohl nur noch übrig mich als deinen Freund vorzustellen, bei dem du für ein paar Tage sein möchtest."Ich war etwas entsetzt davon, was sich anscheinend auch auf meinem Gesicht abzeichnete. "Komm schon, wäre es wirklich so schlimm, wenn ich dein Freund wäre?" fragte Lucian und zwinkerte mir dabei zu. Ich konnte spüren, wie ich rot wurde. Peinlich."Wer weiß, vielleicht wärst du ja ganz furchtbar als Freund", versuchte ich zu kontern.
"Ähm, könnten wir dann jetzt los?" warf Raphael ein. Ich nickte und zog meine Jacke an. Lucian ging an mir vorbei und flüsterte mir ins Ohr: "Der Kuss hat dir aber ganz offensichtlich gefallen."Ich versuchte nicht darauf zu reagieren, dass sein Atem meine Haut streifte und folgte ihm auf den Flur und bis hinaus auf den Hof.
Dort stand mir vor Überraschung und Aufregung erstmal der Mund offen: auf dem Parklatz stand ein matt schwarzer Camaro mit zwei marineblauen Rallyestreifen und sah wunderschön aus. Ich lief ein paar Mal um ihn herum und betrachtete ihn von allen Seiten. Der Inbegriff eines Traumautos."Willst du ihn mal hören?" fragte Lucian grinsend.
"Oh mein Gott, ja." Ich war so aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten. Er hielt mir die Beifahrertür auf und ließ mich einsteigen. Die Sitze waren aus schwarzem Leder, mit dunkelblauen Nähten. Auch die Armaturen waren aus schwarzem Leder. Andächtig strich ich darüber. Wie konnte ein Auto nur so verdammt schön sein? Lucian war inzwischen eingestiegen und startete den Motor. Das Geräusch war Musik in meinen Ohren.
Er gab ein paar Mal Gas und der Motor röhrte auf. Ich genoss das Geräusch und grinste vor mich hin. Dann fuhr er los, ohne, dass ich ihm den Weg beschreiben musste. "Also du stehst wirklich total auf dieses Auto oder?" Er warf mir einen leicht amüsierten Blick zu.
"Wie hast du das nur herausbekommen?" fragte ich grinsend. Diese Auto machte mich tatsächlich glücklich.
"Hm, nur so ein Gefühl", antwortete er lachend.
Wir fuhren ohne Umwege zu mir nach Hause und ich genoss die Fahrt in vollen Zügen. Lucian parkte direkt gegenüber von unserem Haus ein und hielt mir die Tür auf.
Am liebsten hätte ich die ganze Sache allein über mich gebracht, aber es wirkte wohl am authentischsten, wenn wir beide gemeinsam auftauchten. Zumal ich mir auch noch nicht ganz sicher war, wie meine Mum auf die ganze Sache reagieren würde. Ich meine, ich stellte ihr meinen Freund vor, den ich schon so lange hatte, dass wir gemeinsam in sein Ferienhaus fuhren, ohne, dass sie ihn auch nur ein einziges Mal gesehen hatte oder auch nur davon gehört hatte, dass ich einen Freund hatte.
Aber auch in mir selbst gab es noch einen kleinen Teil, der nicht zu hundert Prozent von der ganzen Geschichte überzeugt war und sich gerade alle möglichen Entführungsszenarien überlegte. Ich war selbst von mir überrascht, dass ich all das tat, ohne die beiden wirklich zu kennen. Nur auf Grundlage einiger fragwürdiger Informationen und einem noch fragwürdigeren Erlebnis von gestern Abend direkt mit zwei Fremden mitzugehen erschien bei klarem Verstand eher, als hätte ich eben diesen verloren. Keine Ahnung, warum ich mich auf all das einließ. Es war noch nicht zu spät, die Reissleine zu ziehen, aber meine Neugier und die Vorstellung, dass die ganze Vampir-Werwolf-Geschichte tatsächlich der Wahrheit entsprechen konnte und ich ein sehr bedeutender Teil davon war, ließen mich meinen gesunden Menschenverstand über Bord werfen. Außerdem gab es ja immerhin EINE weiter Person, die von all dem wusste und vielleicht irgendwann die Polizei verständigen würde, wenn sie kein Lebenszeichen mehr von mir bekam. Und ich würde mir nie verzeihen, wenn all das wirklich stimmte und ich zu vorsichtig war um es zu erleben.
Genau mit diesem Gedanken schloss ich die Wohnungstür auf."Hay Mum, bin wieder da!" rief ich durch den Flur."Hey Süße", sie kam aus der Küche in den Flur und sah Lucian erstaunt an. "Oh, wen hast du denn mitgebracht? Wie war's denn bei Mila?""Das, ähm...also...ist mein Freund.""Ich bin Lucian, freut mich, Sie endlich kennenzulernen." Er streckte meiner Mutter die Hand entgegen, die überrascht zwischen mir und Lucian hin und her sah.
"Wow, also ich meine, du hast noch nie von ihm erzählt. Es freut mich, dass du jemanden gefunden hast. Wollt ihr etwas trinken?" Sie strahlte über das ganze Gesicht und konnte nicht aufhören Lucian anzustarren. Was ihr defintiv nicht verübeln konnte, er sah wirklich verdammt gut aus.
"Sehr gern." Meine Mum führte ihn in unsere Küche und ich blieb allein im Flur zurück. Ich wusste nicht so recht, ob ich die beiden begleiten oder lieber meine Sachen zusammen sammeln sollte. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich für letzteres und suchte nach einem Rucksack, in den mein Zeug passte, was ich anschließend aus der ganzen Wohnung hinein warf. Dann ging ich in die Küche, wo ich meine Mum und Lucian gemeinsam am Tisch sutzen sah, beide mit einer Tasse Tee und völlig entspannt. Der Anblick von einem Kerl an unserem Küchentisch ließ mich in der Tür innehalten, so ungewohnt war diese Szene. Meine Mutter schien Lucian zu mögen, was hoffentlich nicht nur daran lag, dass es der erste Kerl war, den ich mit brachte. Außer einer kurzen Beziehung mit einem fünf Jahre älteren, hatte ich auch noch nicht wiklich etwas vorzuweisen, was man gern mit nach Hause bringt.
"Also ich wäre dann so weit." Lucian sollte meiner Mum von dem "kleinen Ausflug in sein Ferienhaus" erzählen und sie davon überzeugen, dass sie es guthieß. So der Plan. Und es schien funktioniert zu haben, denn meine Mutter nickte. Lucian trank den letzen Schluck aus seiner Tasse, erhob sich gut gelaunt und kam auf mich zu. Ich konnte spüren, wie mein Puls in die Höhe stieg. Er griff nach meiner Hand und gemeinsam gingen wir aus der Küche in den Flur. Meine Mutter folgte uns. Lucian reichte mir meine Jacke und half mir, sie anzuziehen und zog sich seine eigene Jacke an, während ich mir meinen Rucksack über die Schuter hängte. Dann umarmte ich meine Mum zum Abschied und gab ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich nach Lucians Hand griff. Es fühlte sich gut an.
"Schade, dass ihr schon wieder gehen müsst, aber ich will euch auch nicht aufhalten. Ich wünsche euch viel Spaß, meldet euch mal kurz, wenn ihr da seid, okay?" "Na klar, machen wir. Hab dich lieb."
Lucian wollte ihr zum Abschied die Hand schüttlen, doch meine Mutter umarmte ihn fest und zwinkerte mir zu. Sie mochte ihn.Dann traten wir aus der Tür und gingen die Treppen runter. Ich winkte meiner Mum noch einml zu, bevor sie die Tür schloss. Unten angekommen, wartete Raphael auf uns."Raph wird dich mitnehmen, ich muss vorher noch etwas erledigen und mich deshalb ziemlich beeilen. Ihr fahrt ein wenige entspannter und Raph wird dir noch ein paar Sachen zeigen, die wichtig für heute Abend sind." "Genau, ich werde dich auf den Abend vorbereiten so gut ich kann. Ich würde sagen, wir fahren am besten gleich los." Ich ließ Lucians Hand los, was auch Raphael nicht zu entgehen schien und folgte ihm zum Auto. Welches nicht weniger cool war, als Lucians. Er fuhr einen ziemlich neuen Aston Martin. Ein wunderschönes Auto. Mit nicht weniger schönem Sound, wie ich wenig später feststellte. Es war nicht so wild und brutal we der Camaro, nein, es hatte Stil. Edle helle Lederverkleidung im ganzen Innenraum und nirgendwo auch nur ein Staubkrümelchen. Faszinierend. Dann fuhren wir los in Richtung Autobahn und ich lehnte mich zurück.