Gundula hasste die Schule. Stets fürchtete sie, dass die anderen herausfinden könnten, was ihrem Vater wirklich zugestoßen war. Offiziell hieß es, es war ein Unfall.
Verdammte Sch... Sie wollte nicht heulen, wurde lieber wütend. Hatte keiner 'ne Ahnung, wie es ihr ging. Seit sie ihn gefunden hatte - warum musste ihre Mutter ausgerechnet sie schicken, ihn zum Essen zu holen? Warum war sie nicht selbst in die Garage ... Ihr kam ein Ekel und Würgen, die sie wohl nie wieder loswerden würde. Diese Psychofrau war keine besondere Hilfe. Wollte bloß, dass sie heulte. Sie wollte nicht heulen. Wollte kein Mitleid. Was sie überkam, war schiere Wut. Warum sie? Was hatte sich ihr Vater gedacht? Sch...!
Das vielleicht Schlimmste war, dass sie das niemandem sagen konnte. Erstens, weil es kaum jemand gab, der die Wahrheit kannte. Und zweitens, weil die wenigen, die sie kannten, nicht darüber sprechen wollten. Und schon gar nicht so ungehörig.
Respektlos.
Das hatte ihr Schuldirektor gesagt.
Noch ein Grund mehr, die Schule zu schwänzen.
Was für eine Frechheit! Von ihrem Vater. Wie konnte er!
Wenn sie nicht gerade diesen unkontrollierten Brechreiz bekam, hasste sie ihn. Wenigstens hätte er sie darauf vorbereiten können. Aber nein. Feigling!
Ihre Mutter ertrank seitdem in Alkohol.
Auch Feigling!
In ihrer Wut hätte sie alle verprügeln können.
Sie hasste sich dafür.
Tatsächlich geriet sie immer wieder in Schlägereien auf dem Schulhof.
Noch ein Grund, die Schule zu meiden.
Eines Tages beschloss sie, einfach abzuhauen. Sie trampte. Kam in der Hauptsatdt an.
Endlich frei!
Endlich frei?
Auf betteln und Prostitution hatte sie kein Bock. Obdachlosenunterkünfte kamen auch nicht in Frage. Sie suchte sich einen Job in einer Pension, sodass sie auch ein Zimmer bekam.
Niemand stellte Fragen, so lange sie ihre Arbeit gut machte. Am Wochenende ging sie in die Disko. Auch hier fragte niemand nach dem woher. Sie verlor sich im Tanzen, so dass sie wenigstens für ein paar Stunden nicht an den Vater denken musste.
Langsam entspannte sie sich.
Offenbar wurde sie auch nicht vermisst, wie sie feststellte, als sie in eine Polizeikontrolle geriet.
Mit der Zeit traute sie sich mehr ins öffentliche Leben. Suchte sich ein WG-Zimmer und einen besser bezahlten Job. Nach ein oder zwei Jahren sehnte sie sich danach, etwas anderes zu machen als Hilfsjobs. Sie bewarb sich auf verschiedene Ausbildungsplätze.
Es hagelte Ablehnungen. Ohne Schulabschluss lief nichts.
Gundula biss die Zähne zusammen. In Abendschule holte sie die mittlere Reife nach. Dann begann sie eine Ausbildung - als Erzieherin.