Mirko und Mira hatten sich Ende der siebziger Jahre in Deutschland kennen und lieben gelernt. Sie heirateten 1983 im heutigen Kroatien, blieben aber noch weitere sechzehn Jahre in Deutschland, wo Mirko bei einem Zulieferer eines Münchener Autoherstellers, und Mira unter Anderem mit Renate Montar in einer Großküche im Chiemgau arbeitete.
Die beiden waren davon ausgegangen, spätestens nach fünf oder sechs Jahren, wenn sie Kinder hätten, zurück nach Kroatien zu gehen. Ihr Kinderwunsch ging leider nie in Erfüllung und der Jugoslawien-Krieg lud auch nicht zum heimkehren ein. Beide hatten sich hier in Bayern gut integriert und gehörten bald zur Dorfgemeinschaft. Mirko war wegen seiner Geschicklichkeit und Hilfsbereitschaft im ganzen Dorf beliebt und auch Mira war überall gut angesehen. Renate Montar war eine sehr eigenwillige Frau. In jungen Jahren sehr hübsch und gepflegt, war sie von der Männerwelt sehr begehrt gewesen, weshalb sie auch mit siebzehn Jahren schwanger wurde. Obwohl Herbert ein sehr anständiger Kerl war, der sie wirklich gern gehabt hatte und sie auch geheiratet hätte, zeigte sie kein Interesse an einem geregelten Familienleben, geschweige denn ernsthaftes Interesse an ihrem Sohn Michael. Dieser wurde in seinen ersten zehn Lebensjahren fast ausschließlich von seiner Oma mütterlicherseits betreut, die ihn auch wirklich liebte, jedoch noch vor seinem elften Geburtstag verstarb. Michael wurde von seiner Mutter eigentlich buchstäblich vernachlässigt, es kam aber nie dazu, dass sich die Fürsorge einschaltete.
Der Teenager Michael hatte das Glück, dass Mira Juvanovich mit ihrem Mann Mirko ein paar Häuser weiter wohnte und mit seiner Mutter arbeitete. Renate Montar war realitätsfremd geworden. Sie ging zwar glücklicher Weise ihrer Arbeit nach, ihre Pflichten als Mutter aber, vernachlässigte sie sträflich. Michael hätte sich so sehr gewünscht, dass sie ihn einmal gefragt hätte, wie es ihm heute beim Test in der Schule ergangen war, Und wenn sie geschimpft hätte! Auch das wär ihm recht gewesen. Aber es war ihr egal. Sie kümmerte sich einfach kaum um ihn. Es war eine lieblose Beziehung, die sie zu ihrem ungewünschten Kind hatte. Mira war eine der wenigen Personen, die Zugang zu Renate hatten. Renate hatte keine Freundinnen. Nur Mira, mit der sie arbeitete kam sie regelmäßig besuchen und entdeckte dabei, dass Michael regelrecht verwahrloste. Mira war es, die Renate manchmal ins Gewissen redete, die mit ihr und Michael losfuhr, um dem Jungen einmal neue Kleidung und Schulzeug zu kaufen. Sie verstand es, Renate wenigstens ein Bisschen zu lenken. Wenn Mira und Renate von der Arbeit heim kamen, legte sich Renate vor den Fernseher, Mira nahm von der Arbeitsstelle Essen für Mirko und sich heim und sie begann, die Portionen so zu bemessen, dass der arme Junge auch was abbekam. Renate aß in der Firma, einmal am Tag und fertig. Frühstück oder ein Jausenbrot kannte Michael nicht. Wenn er nicht selbst Brot und Wurst oder Butter im Laden kaufte (nachdem er Mutter ein wenig Geld abgebettelt hatte) dann wurde auch Abends nicht gegessen. Dieser Zustand, der nach Omas Tod eingetreten war, wurde einzig von Mira wahrgenommen. Sie begann, den Jungen nach der Schule zu verköstigen. Anfangs mit dem Essen, dass sie von ihrer Arbeitsstelle gegen ein geringes Entgelt für sich und ihren Mann mit nach Hause nehmen durfte, immer öfter aber, kochte sie etwas für den lieben freundliche Buben, dem ihre Gerichte aus der Heimat so gut schmeckten. Sie fragte ihn auch, wie es denn in der Schule gewesen war und einmal erzählte ihr Michael, dass er heute etwas nicht verstanden hatte. In Mathematik. Mira bot ihm an, später noch einmal weder zu kommen, wenn Mirko zu Hause wäre, der könne ihm bestimmt helfen.
Mirko war erst ein Wenig verwundert, half dem höflichen Jungen aber gern und konnte ihm wirklich alles super erklären. Er bot dem Buben an, in Zukunft einfach zu ihm zu kommen, wenn er Fragen hätte. Dieser bedankte sich höflich und ließ keinen Zweifel daran, dass er das gerne täte. Michael war eigentlich ein guter Schüler, es war nur leider so, dass sich niemand um ihn kümmerte. Nur, und das hatte Mira mitgekriegt, der Sohn des ortsansässigen Anwalts schien mit ihm die Jause zu teilen und ein treuer Freund zu sein...