Für Michael hieß das, dass jetzt alles in Ordnung sein müsste. Aber das "müsste" störte ihn doch ein Wenig und Bertls Wohnung traute er sich ohne Rücksprache noch nicht verlassen. Aber nicht etwa, weil er sich vor dem Killer fürchtete, nein! Er wollte Bertl nicht beleidigen, der ihn heute wie eine Glucke im Haus festgehalten hatte. Michael rief ihn an und erwischte ihn zwischen zwei Verhandlungen. Er erzählte ihm von dem Telefonat und gab den genauen Wortlaut, den Killer betreffend wieder. "Dein Wort in Gottes Ohr, Michi! I gönn's dir ja eh. Ich wollt nur koa Risiko eingehen. Weißt eh, wer früher stirbt is länger tod. Du würdst es net merken, aber die Hinterbliebenen sind immer die armen Schweine verstehst? Du würdst ma scho abgehn, Michl!" - "Ich weiß, Bertie! Danke für alles! Ich fahr jetzt heim und pack meine Tasche aus und dann muss ich mich fertig machen für eine kurze Dienstreise. Ich muss heute noch zu einem Vortrag nach München und bin morgen Gastdozent für Experimentalphysik an der Uni. Da bleib ich gleich dort im Hotel." - "Na guat, i glaub, jetzt bist außer Gefahr. Aber a guats Gfühl hab i no net dabei, wennst scho wieder Vortragsreisen machst. Hättst ruhig a paar Tag warten kinna! Des hätt ma a nie glaubt, dass du a mal an der UNI Vorlesungen hältst, was?" - "Bertie, der Termin wurde letztes Jahr schon gemacht, den kann ich nicht so kurzfristig absagen, wo die Gefahr eh schon vorüber ist." - "Das hoffe ich! Michl! Machs guat!" - "Du a, Bertl!"
Michael fuhr auf dem Nach-Hause-Weg noch im Pflegeheim vorbei, wo Horst, sein Mentor zur Zeit lebte. Er konnte nach einem schweren Schlaganfall nicht mehr alleine wohnen, und Michael war dafür zu viel unterwegs. Horst war für Michael wie ein Vater geworden und Michael lebte in seinem Haus. Er spielte mit dem Gedanken, eine Ganztagspflegerin zu angagieren, um Horst wieder nach Hause holen zu können. Als er ihn heute besuchte erzählte er ihm von all den kuriosen Vorfällen und von den Millionen, die er praktisch ungeplant "verdient" hatte. "Weißt du Horst, vom Geld her, wär des jetzt überhaupt kein Problem mehr, jetzt hab ich genug, dass ich alles so umbauen lassen kann mit Treppenlift und Behindertenbad und allem was du möchtest!" - "Das zahlt sich doch gar nicht mehr aus, Junge! So lang leb ich ja gar nicht mehr! Und dann hast das ganze unnütze teure Gelumpe im Haus! Nein, das möchte ich nicht, aber zum Notar müssen wir mal. Du bist ein guter Junge Michael! Ich hab es nie bereut, dass ich dich heimgenommen hab. Bist mir ein lieber, dankbarer Sohn geworden, der immer noch lieber gibt, wie nimmt! Das hab ich immer schon gemocht an dir! Aber es wird Zeit, dir den ganzen Kram zu überschreiben und die Sachwaltschaft mußt auch übernehmen für mich." Michael verdankte Horst seine Ausbildung und würde auch sein Universalerbe sein. Wenn er manchmal an seine Kindheit dachte, konnte er gar nicht glauben wieviel Glück er gehabt hatte, über Mira, Mirko und schließlich Horst, ein gutsituierter Produktentwickler geworden zu sein. Er verabschiedete sich gegen 16:00 von Horst und fuhr die gut hundert Kilometer nach Hause. Dort angekommen duschte er, packte seine Reisetasche neu und fuhr schon wieder nach München, wo er nach dem einchecken gerade recht zum Vortrag jenes Physikprofessors kam, für den er morgen eine Gastlesung halten würde. Er hatte direkt im Seminarhotel wo der Vortrag war, ein Zimmer gebucht, um nicht wieder hunderte Kilometer sinnlos abzuspulen. Der Vortrag war durchaus interessant und die Diskussion danach sehr angeregt. Michael traf einige ihm bekannte Techniker, mit denen er zum Teil schon gearbeitet hatte und man trank den einen oder anderen Drink zusammen. Es war bereits nach Mitternacht, als Michael auf sein Zimmer ging und Silvie eine SMS schrieb.
"Hallo Kleines, Ich liebe dich sehr! Habe heute alles soweit geregelt. Freue mich sehr auf den Urlaub mit euch. Nach der Gastvorlesung morgen, fahr ich nach Hause, aber vielleicht sehen wir uns abends! Küsse dich! Ihr fehlt mir!"
Dann legte er sich ins Bett und schlief rasch ein. Irgendwann in dieser Nacht, es wurde bereits hell, spürte er einen harten Schlag in die Rippen. Das Licht war an. Der zweite Schlag! Es war ein Tritt in die Rippen, der ihn aus dem Bett warf. Michaels Brustkorb schmerzte heftig! Einer der beiden Männer richtete ihn auf, so dass er vor dem Mann mit der großkalibrigen Waffe kniete. Michael kannte dieses Gesicht! Er hatte es schon mehrmals gesehen. Er war benommen und hatte heftige Schmerzen. Der kräftige durchtrainierte Mann hielt ihm die Waffe an die Stirn.
"Ich darf dich nicht töten haben die gesagt!" sagte er mit slawischem oder russischem Akzent. "Aber niemand, niemand sagt mir, was ich zu tun habe! Man trifft sich im Leben immer zweimal, mein Freund! Heute tu ich dir nur ein Bisschen weh! Aber wenn sich unsere Wege wieder kreuzen, werde ich dich töten! Langsam, schmerzhaft und gemein. Nicht weil jemand zahlt!" Er schlug Michael mit der Waffe auf die Schläfe, so dass dieser umfiel. "Sondern weil's mir Spaß macht!"
Er lachte dreckig und während der Mann hinter ihm ihn hochzog, streifte der Wortführer zwei Schlagringe über seine Finger und ballte die Fäuste. Der Andere zog Michaels Ellenbogen nach hinten und bot so dem Schläger Michael als Ziel dar. Die Schlagringe mit ihren eineinhalb Zentimeter langen Zacken fetzten durch Michaels Haut und brachen ihm die Rippen. Brutaler Schmerz durchfuhr ihn bei jedem neuen Schlag! In seinem Mund sammelte sich Blut, das wohl aus der Lunge nach oben stieg. Wieder und wieder schlug der Täter brutal auf Brust und Bauch seines wehrlosen Opfers. "Hör auf, Viktor! Du bringst ihn um!" meinte der Hintere schließlich und ließ Michael fallen. "Na und?" rief Viktor. "Mir doch egal!" er trat noch zweimal auf den liegenden Körper ein und ließ sich schließlich von seinem Partner dazu überreden, zu gehn. Er spuckte noch einmal auf den offenbar Sterbenden, der gnädigerweise in eine Ohnmacht entkommen war und verließ das Zimmer mit den Worten: "Macht sowieso keinen Spaß, wenn er's nicht mehr spürt!"
Zurück blieb ein schwerst verletzter Michael, in einer schnell wachsenden Blutlache am Boden liegend und in einem Dämmerzustand, der ihn gerade noch wahrnehmen ließ dass er noch lebte. Je mehr Blut er verlor, desto kälter wurde ihm. Jeder Atemzug brachte Blut mit in den Rachen. Er musste noch am Leben sein... Denn solange man Schmerz empfindet, lebt man...