»Nichts ist umsonst. Selbst der Tod kostet das Leben.« ~ Lucy Atia Feuermond
Sie schlug die Augen auf und atmete ein, als wäre es ihr allererster Atemzug. Helles Sonnenlicht blendete sie und ihr rechter Arm juckte und brannte wie verrückt. Ihr Rücken war kalt.
Als sie sich aufsetzte, merkte sie erst, dass sie im Wasser gelegen hatte. Sie warf einen Blick auf ihren Arm und entdeckte einen blauen Kristall, der darin steckte. Mit den Fingern der anderen Hand drückte sie daran herum. Doch bevor sie sich eine Meinung bilden konnte, wurde sie von einem Geräusch abgelenkt – einem Röhren, das hinter ihr erklang.
Lucy wirbelte herum, wobei sie Wasser aufspritzen ließ. Hinter ihr stand ein gewaltiges, dunkelgraues Tier, das sie nicht einordnen konnte. Drei Hörner, ein Nackenschild, giftig blickende Augen. Der Rücken ragte fast doppelt so hoch auf wie die Dreizehnjährige. Mit einem spitzen Schrei wich sie tiefer ins Wasser zurück.
Etwas stieß von hinten gegen ihre Wade, im nächsten Moment durchfuhr sie ein scharfer Schmerz. Lucy stolperte nach vorne und fiel der Länge nach in das flache Wasser, das in Wellen auf einen hellen Strand schwappte. Das große Tier wandte sich schnaubend von ihr ab und trottete davon. Sie drehte sich auf den Rücken und krabbelte aus dem Wasser. Dabei sah sie das grässliche Tier, das seine scharfen, spitzen Zähne in ihr Bein geschlagen hatte. Der Fisch schien allein aus Zähnen zu bestehen, dazu kamen ein kräftiger Kiefer und mehrere stachelige Schuppen. Die schleimigen Augen blitzen, während er zappelnd an Lucys Bein riss und zerrte und eine Blutwolke sich in das salzige Wasser verbreitete.
Etwas zischte an Lucys Ohr vorbei und im nächsten Moment ließen die Kiefer ihr Bein los. Lucy zog sich auf das sichere Land.
Keuchend und pitschnass saß sie da und bemerkte erst jetzt, dass ein langer Speer in der Seite des gefährlichen Fisches steckte. Dunkles Blut verteilte sich in den Wellen, aber der Fisch zappelte noch. Etwas Großes, Dunkles stürmte an Lucy vorbei, ein Mann, der den Speer packte und damit auf den Fisch einstach, bis dieser sich nicht mehr rührte.
Als er sich umdrehte, hatte Lucy sich beruhigt und die Knie zitternd an die Brust gezogen. Aus großen, blauen Augen sah sie zu ihm auf. Ihre Lippen bebten und die kurzen, schwarzen Haare hingen ihr nass ins Gesicht.
Sie bemerkte, dass sie nur weiße Unterwäsche trug, wie auch der Mann, der sich ihr näherte.
„Alles okay?“, fragte der Mann und reichte ihr eine riesige, dunkelhäutige Hand. Lucy ergriff die Pranke und ließ sich aufhelfen. Als sie ihr verletztes Bein belastete, entfuhr ihr ein kleiner Schrei.
Der Mann musterte die Wunde: „Ist nichts schlimmes, Mädel. Das heilt bald wieder.“
Lucy biss sich auf die Lippen. Sie war verwirrt und hatte große Angst – erst recht nach dem Angriff. Aber sie wollte jetzt nicht in Tränen ausbrechen: „Wo – wo bin ich hier?“
„Ich weiß es nicht“, brummte der riesige Mann und ließ den Blick über den Strand schweifen: „Nicht weit entfernt ist meine Hütte. Kannst du laufen?“
Lucy nickte: „Ich denke, schon.“
Der Mann ging voraus: „Dann komm.“
Lucy humpelte hinter dem Fremden her, so gut sie konnte. Mehrere flache, große Wesen krabbelten über den Strand, doch zu Lucys Erleichterung flüchteten die seltsamen Tiere vor ihr. Es war tatsächlich nicht weit bis zu dem provisorischen Bau aus Holz und getrockneten Pflanzenfasern, den der Fremde offenbar als Hütte bezeichnete. Es war wenig mehr als drei Wände zwischen mehreren Palmen und einem dünnen Dach. Erleichtert ließ sich Lucy in das hohe Gras sinken und sah sich um.
„Was ist das für ein Ort?“, fragte sie.
„Ich weiß es nicht, Mädchen!“, schnauzte der Mann sie an. Lucy beobachtete ihn, wie er sich über einen kleinen, unordentlichen Haufen aus Holz, Steinen und Beeren beugte. Dann zog er ein Stück Leder aus dem Berg: „Hier. Bind das um dein Bein.“
Lucy nahm den Lappen entgegen und verband ihr Bein, so gut es ging. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag.
Der Mann stand vor der Hütte und sah wachsam durch die Landschaft, offenbar hielt er Ausschau nach Problemen.
„W-wie heißt du?“, fragte Lucy den Mann.
„Thanatos“, erwiderte der: „Du?“
„Ich bin Lucy. Lucy Atia Feuermond.“
„Hmmhm“, machte Thanatos mäßig interessiert.
„Weißt du irgendwas über diesen Ort?“, fragte Lucy ihn.
Thanatos seufzte: „Offenbar gibt es hier Dinosaurier, weiter bin ich selbst noch nicht.“
„Dinosaurier?“, fragte Lucy und erinnerte sich an das dreihörnige Monster, was sie erschreckt hatte: „Echte Dinosaurier?“
„Nein, verrückte!“, brummte Thanatos: „Ich bin kein Fachmann, was das angeht!“
Lucy seufzte leise. Nachdem der erste Schock überwunden war, und ihre Hände aufhörten, zu zittern, fühlte sie sich besser. Sie schnaubte: „Kannst du mir irgendwas erzählen?“
„Nein“, sagte Thanatos: „Ich bin seit gestern hier und habe mich bereits mit Dinosauriern geprügelt und einen verdammten Stein im Arm stecken. Ich habe keine Ahnung, was das hier für ein Ort ist!“
Lucy beugte sich vor: „Du hast auch einen Diamanten!“
Thanatos warf einen Blick auf seinen Arm, dann auf ihren: „Offenbar.“
Lucy stöhnte: „Bist du denn nicht neugierig?“
„Ich will überleben!“, knurrte Thanatos: „Sonst interessiert mich nichts!“
Lucy zögerte, dann fragte sie: „Bist du gut darin? Zu überleben, meine ich.“
„Natürlich“, sagte Thanatos mit gebleckten Zähnen.
„Darf ich bei dir bleiben?“
Thanatos musterte sie und Lucy gab sich alle Mühe, unter seinem strengen Blick nicht zusammen zu sinken.
„Gut. Wenn du mir nicht im Weg bist.“
Sie war ihm nicht im Weg – dafür sorgte sie schon. Nachdem sich ihre Panik gelegt hatte, versuchte sie, ihr verletztes Bein zu belasten. Interessanterweise schien die Wunde schon zu einem guten Teil verheilt. Eine Kruste überzog die Bissspuren, und der Schmerz war zu einem Jucken verklungen.
„Ich heile schneller als sonst“, versuchte sie ein letztes Mal, ein Gespräch mit Thanatos zu beginnen. Der schnaubte nur und deutete auf den langen Kratzer, der quer über seine breite Stirn verlief: „Das heißt nicht, dass keine Narben bleiben!“
Wütend machte sich Lucy auf, den Strand ein Stück entlang zu spazieren. Im Laufen trat sie gegen die kleinen Steine, die überall lagen, schließlich sammelte sie ein paar auf und bewarf damit die Riesen-Kellerasseln.
Leider flüchteten die Tiere bei dem Angriff sofort, und Lucy wollte ihnen nicht nachlaufen. Wer wusste, was alles hinter diesen großen Felsen lauern mochte? Oder was sie erwartete, wenn sie den Hügel überschritt?
Obwohl sie sich eigentlich genau davor Angst machen wollte, merkte sie plötzlich, wie ihre Schritte sie zwischen die Farne und die Felsen führten.
Sie war natürlich darauf bedacht, in der Nähe von Thanatos zu bleiben – so wenig sie ihn mochte, er war hier ihr bester Schutz. Sie war auch vorsichtig, schlich sich lautlos über trockene Äste und hielt die Luft an, wenn sie ein Geräusch vernahm. Aber trotzdem war und blieb sie neugierig.
Sie erklomm die Kuppe des Hügels und sah sich um. Sie war auf einer langgestreckten Insel, oder vielleicht einer Landzunge. Von ihrem Platz aus konnte sie die Flüsse zu beiden Seiten sehen. Breit und tief, aber für einen geübten Schwimmer sicher kein Hindernis. Dahinter erhob sich neues Land, mit Wäldern, Felsen und Dinosauriern, die über die Erde stampften. Lucy sah weitere Dreihörner, und noch weitere Saurier mit einem länglichen Horn auf dem Kopf. Sie war sich nicht sicher, welche dieser Wesen gefährlich, welche ungefährlich waren. Herausfinden wollte sie es lieber nicht.
Dann reckte sie sich plötzlich, als sie noch etwas anderes sah.