»Hit me with the worst you got and knock me down – Baby, I don't care!« ~ Loser like me, Glee
„Also, ich bin jedenfalls froh, dass ihr uns gefunden habt“, sagte Kassia, nachdem Henry damit fertig war, ihre Abenteuer bis hierhin zu erzählen. Foxy musterte die beiden Fremden, in dessen Lager sie sich endlich getroffen hatten. Henry folgte ihrem Blick beiläufig.
Mikail sah gut aus, auf ein, wie Henry fand, sehr langweilige Art: Mit braun gebrannter Haut und unordentlichen, braunen Haaren. Jedoch saß der Mann zerstreut am Rand des Lagers, drehte eine viereckige Brille in den Händen und zeichnete mit dem Fuß Muster in den Rest Erde, der sich auf dem Plateau gehalten hatte.
Ashley dagegen war schlank und sportlich, mit einem auffälligen Tattoo aus pixelartigen Rauten auf dem Rippenbogen. Sie saß am Rand ihres kleinen Kreises mit einem schüchternen Blick wie ein scheues Tier.
Thanatos stand neben dem Ring und überragte alle aus der kleinen Gruppe. Der Mann mit der pechschwarzen Haut schwieg und stütze sich auf seinen Speer. Als Niemand mehr etwas zu erzählen hatte, streckte sich Thanatos mit den bedächtigen Bewegungen eines Raubtieres: „Wir sollten damit beginnen, diese Lager zu befestigen.“
Ein paar der versammelten Frauen sahen sich zweifelnd auf dem kargen Felsen um, Mikail sprang jedoch ein wenig überhastet auf, stolperte und fing sich im letzten Moment ab und kam zu ihnen: „Ich habe alles ausgerechnet! Es müsste sehr gut klappen und sehr sicher sein!“
Thanatos brummte etwas und schob Mikail dann in ihren Kreis: „Erklär' es ihnen.“
„Nun, also“, Mikail drehte seine Brille in den Händen und starrte offenbar blind wie ein Maulwurf in die Runde. Er blinzelte verwirrt, bemerkte, dass er die Brille in den Händen hielt, und setzte sie schnell auf: „Zuerst brauchen wir eine Grundmauer, die wir aus Stein machen sollten. Darauf können wir Holzwände machen – hier, hier und hier, vorne können wir es offen lassen. Und da sollte eine Tür hin. Vielleicht auch Fenster. Jedenfalls ein Dach drauf, eine Leister oder Treppe oder so, da haben wir einen Aussichtspunkt, und wir werden auf jeden Fall einen Flaschenaufzug oder so brauchen, denn ihr könnt nicht alle mit dem Holz hier immer wieder hoch klettern, also könnt ihr schon, aber es ist riskant und dauert lange und danach würde ich vielleicht versuchen, oben den Wohnbereich zu machen und hier unten mehr so eine Werkstatt.“
Die kleine Gruppe wechselte verwirrte Blicke. Mikail lächelte schief in die Runde.
„Okay, alles klar“, sagte Henry, „dann sollten wir mit dem Aufzug beginnen. Und herausfinden, wo wir Holz und Steine finden.“
„Du hast das verstanden?“, fragte Kassia ihn in gedämpften Ton. Henry nickte, selbst ein wenig überrascht.
Mikail klatschte in die Hände: „Also gut. Wir brauchen … Holz und – und Seile oder etwas in der Art.“
Henry erhob sich schwerfällig: „Ich gehe Suchen.“
„Du solltest nicht alleine gehen“, brummte Thanatos und sah sich in der Gruppe um. Nokori, noch immer eine große Narbe an der Seite, hob die Hand: „Ich gehe mit!“
Thanatos atmete leise zischend aus und schenkte dem Mädchen einen bösen und strengen Blick, aber davon ließ sie sich nicht abbringen. Sie grinste Henry an: „Gehen wir.“
Henry folgte ihr den Berghang hinunter.
Sie fanden Holz im Wald. Zuerst sammelten sie nur die wenigen Äste, die auf dem Boden verteilt lagen, bis Henry auf die Idee kam, einen der Bäume zu fällen. Da er dazu nur die Hände nutzen konnte, bereute er seine Entscheidung bald, aber der Baum fiel und trotz der blutigen Fäuste musste Henry zugeben, dass sie so deutlich schneller Holz sammeln konnten. Noch bevor seine Hände geheilt waren – was an diesem Ort sehr schnell geschah – trug er einen ganzen Stapel zurück zu Mikail, während Nokori ihm folgte, ein paar Steine in den Händen.
„Gut. Gut, gut“, sagte Mikail zerstreut, als sie das Holz am Fuß des Berges ablegten, wo inzwischen Kassia, Lucy und Ashley unter dem wachsamen Blick von Thanatos Pflanzenfasern sammelten. Noch ehe die Sonne weit vorgerückt war, knoteten sie alle Seile aus grünen Schlingpflanzen und taten sich dabei an einem Haufen Beeren gütlich, den Kassia zusätzlich gesammelt hatte.
Henry war ganz glücklich damit, Beeren zu essen und dabei kleinere Fasern umeinander zu drehen, um Stricke herzustellen. Er verstand überhaupt nicht, warum Lucy sich laut darüber beschwerte, dass ihr langweilig sei.
Die schwierigere Aufgabe kam, als das Holz zurecht geschlagen werden musste und die fertigen Balken für einen sehr primitiven Seilzug den steilen Berg nach oben gebracht werden mussten. Henry war sehr stolz darauf, dass er zwei der insgesamt vier Balken alleine tragen konnte und überstand damit sogar die Anstrengung, nach oben zu gelangen. Er schielte zu Thanatos und hoffte, dass seine Bemühungen für die Gruppe bemerkt wurden. Oben legte er die Balken schweißüberströmt ab und suchte nach einer passenden Belohnung für einen Helden wie ihn, während Kassia und Lucy zu zweit einen weiteren Balken brachten und Mikail um sie herum wirbelte und sie mit seinen Plänen und deren Wirksamkeit zutextete.
Henry fand eine Sammlung der schwarzen Narcobeeren, die die anderen wohl gesammelt, aber zur Seite gelegt hatten. Sie wussten bisher ja nicht, wofür die Beeren gut sein könnten, und solange ihre Versorgung nicht gesichert war, mussten sie wohl damit rechnen, die Beeren noch zu nutzen.
Henry griff vorsichtig zu und steckte sich die erste in den Mund. Zuerst war die schwarze Beere bitter, aber im Inneren waren sie köstlich süß. Er leckte sich die verräterischen Saftspuren von den Fingern.
„Henry, kommst du? Ich brauche jemand Starkes“, rief Mikail. Mit stolzgeschwellter Brust eilte Henry zu den anderen.
„Halt bitte den Balken hier aufrecht. Hmm, nein, ein wenig schräger. So! Nicht so tief, Henry! Perfekt.“
Nach der verwirrenden Einleistung stand Henry endlich richtig und konnte, die sanfte Müdigkeit am Rande seines Bewusstseins genießend, stehen bleiben, während die restlichen Balken an seinen Stützbalken gelehnt wurden, dann mit den Seilen befestigt und später mit ein paar übriggebliebenen Holzklötzen in den Boden gehämmert, so gut es ging, bevor sie wieder nach unten gingen und in schweißtreibender Arbeit unter der warmen Sonne die Steine herauf brachten, um damit das Gerüst zu stabilisieren.
Mikail knüpfte die Schlingen, in denen etwas befestigt werden und herabgelassen werden konnte.
„Jetzt brauchen wir nur noch ein williges Testsubjekt!“, verkündete er, während die Sonne langsam unterging und den Himmel mit leuchtendem Rot überzog.
Alle zogen sich unauffällig zurück, nur Henry blieb stehen, der gerade verstohlen eine weitere Handvoll Belohnung verputzte. Plötzlich war er in der ersten Reihe und erhielt ein strahlendes Lächeln von Mikail: „Sehr schön, Henry!“
Er wurde mit den Seilen festgebunden und saß auf einem dichten Ring aus Lianen wie auf einer Schaukel. Mikail schubste ihn über den Rand. Ein wenig verspätet quiekte Henry, doch er baumelte bereits sanft schaukelnd in der Luft neben dem Berg, etwa fünfzig Meter unter sich den Boden.
„Jetzt ganz langsam“, meinte Mikail und ließ das Seil über eine komplizierte Vorrichtung aus mehreren Schlingen gleiten. Henry glitt in die Tiefe. Das Schaukeln lullte ihn langsam ein und ihm fielen die Augen zu. Er bekam kaum mit, wie er etwas ruckartig den Boden berührte und danach wieder in die Höhe schwebte, frei wie eine kleine Wolke.
Erst, als er wieder oben war, verging die Wirkung der wenigen Narcobeeren so langsam. Er sah in die angespannten Gesichter der anderen, die an seiner Statt die Ängste ausgestanden hatten.
„Klappt prima“, meinte er mit noch schwerer Zunge, als er auf den Boden gezogen wurde.
„Dann brauchen wir morgen nur noch einen Kord oder sowas“, meinte Mikail begeistert, „Dann können wir Steine und Holz hier rauf bringen, so viel wir wollen.“
Henry nickte abwesend und schielte zu dem kleinen Vorratsplatz auf dem Felsen, wo weitere Narcobeeren lagen. In dieser Nacht träumte er erstaunlich lebhaft.