Das Schlimmste war vermutlich, dass Mikail einen Plan hatte. Henry merkte, wie sich sein Mund leicht öffnete, während der Andere ihm erklärte, was er für das Haus vor hatte.
„Wir brauchen also Holz“, schloss Henry am Ende, so ziemlich das Einzige, was er behalten hatte.
„Viel Holz“, bestätigte Mikail: „Am besten, du gehst nach unten und füllst den Korb auf, sobald die Sammler uns was gebracht haben.“
Henry nickte erleichtert. Das würde er schon schaffen.
Auf dem Weg nach unten summte er noch fröhlich. Der Tag schritt voran, bis Kassia mit der ersten Ladung Holz ankam. Henry lud alles in den Korb und befestigte es so gut wie möglich. Nachdem er ein paar Mal am Seil geruckt hatte, hob sich der Korb langsam in die Höhe.
Mit der Zeit wurde es jedoch immer anstrengender, das Holz zu verladen. Dazu kam sein Hunger, der immer mehr anstieg. Als es gegen Mittag warm und drückend wurde, tauchten die unterschiedlichen Gruppen auf und strömten den Berg hinauf. Henrys Magen knurrte.
Das Haus war noch nicht viel gewachsen, aber Mikail hatte die Wände verstärkt und eine kleine Veranda angebaut, auf der nun ihr Lagerfeuer platziert war. Lucy und Galileo brachten Fleisch mit. Als das Mädchen sich ans Feuer setzen wollte, um das Fleisch zu braten, nahm ihr Nokori mit einem bösen Blick das Fleisch weg.
Die Siedler aßen. Henry überlegte, ob er sich trotz seines Hungers zurück halten sollte. Allerdings sah er, wie sich Galileo ein zweites und drittes Stück nahm, und dann war es auch um Henrys Selbstbeherrschung geschehen.
Noch bevor sie alle fertig waren, scheuchte Thanatos sie an die Arbeit zurück.
„Henry“, hielt Mikail ihn auf, als Henry sich schon nach unten schleichen wollte: „Ich brauche dich hier.“
„Okay“, sagte Henry und richtete sich auf: „Was gibt’s zu tun?“
„Wir müssen an das Dach. Ich will ein Stockwerk darauf setzen, dazu brauchen wir später eine Treppe. Aber davor sollten wir dennoch ein Dach haben, damit es nicht rein regnet.“
„Also bauen wir noch ein Dach?“, fragte Henry.
„Wir bauen das obere Geschoss, aber noch ohne die Leiter. Du weißt schon, der erste Stock sollte breiter und größer werden.“
Henry schluckte leicht: „Gut. Fangen wir an.“
Es war genau schrecklich, wie er es sich vorgestellt hatte. Mikail hatte am Vormittag drei Kisten gebaut, die jetzt übereinander gestapelt als ihre unsichere Treppe nach oben dienten. Dort bauten sie das vorhandene Dach in einem Ring aus, sodass die unmittelbare Umgebung des unteren Geschosses vollständig überdacht war. Während Mikail mit der Energie eines kleinen Kindes hinauf und hinunter sprang, dort etwas abstützte und hier neues Holz holte, saß Henry in der Mitte und hielt die Querbalken fest, die das Dach später tragen sollten. Seine Arme zitterten bald vor Anstrengung. Mikail hatte ein komplexes System für das Dach geplant, in dem sich alle Querstreben gegenseitig stützen sollten. Bis dahin musste das Holz aber irgendwie an seinem Platz gehalten werden, und das war Henrys Aufgabe. Er konnte zwar sein Eigengewicht zu seinem Vorteil nutzen, trotzdem war er schon bald schweißüberströmt und wünschte sich, dass noch etwas zu essen da wäre.
„Gut. Fertig“, verkündete Mikail und Henry sackte auf dem Balken zusammen. Das Dach knarzte leicht und ließ sein Herz fast stehen bleiben.
Mikail kam zu ihm gehüpft: „Bist du schon müde? Wir müssen das Dach noch decken.“
Henry seufzte. Bis jetzt gab es nur ein Holzgerippe, aus dem einmal der Boden des ersten Stocks werden sollte. Er verfluchte Mikail im Stillen und kämpfte sich hoch: „Haben wir noch Wasser?“
Mikail sprang vom Dach und holte einen Lederbeutel aus einer der Holzkisten: „Schon wieder ausgelaufen. Willst du kurz zum Fluss?“
Henry schüttelte den Kopf. Da wartete er lieber, bis die Sammler neues Wasser brachten.
Sie hatten keine Nägel und mussten die dünneren Holzbretter, die sie jetzt auf dem Gerüst befestigten, mit Pflanzenfasern festbinden. Henry knotete, bis er das Gefühl hatte, alle seine Finger wären gebrochen. Erschöpft atmete er durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie hielt Mikail das nur aus? Der Mann hatte fast doppelt so viel wie Henry geschafft und zeigte keine Anzeichen von Müdigkeit.
Eine Weile blieb Henry sitzen und atmete einfach nur durch. Er konnte sich wirklich nicht dazu durchringen, weiter zu machen, aber als er Thanatos hörte, beugte er sich doch wieder über den grünen Knoten.
Sie hatten ein Viertel des Daches mit einem Holzgerippe überzogen, das man nur noch mit Stroh und Gras abdecken musste, als endlich der erste Hauch von Dunkelheit über den Himmel kroch. Henry verließ das Dach sofort und begann, das Feuer für das Abendessen zu schüren. Mikail arbeite versunken weiter, bis der Rest ihrer Trupp eintraf.
Galileo und Lucy waren in eine heftige Diskussion vertieft, die offenbar mit der Namenswahl für das Dreihorn zusammen hing. Der Streit ging so lange weiter, bis Thanatos Lucy an ihre Aufgabe als Tierpflegerin erinnerte und das Mädchen mit angewidertem Gesichtsausdruck nach unten abzog.
Beim Abendessen schwiegen alle bis auf Kassia und Mikail, die offenbar noch Energie übrig hatten. Wenigstens Mikail, der die meiste Zeit redete.
Henry ließ unauffällig ein paar Narcobeeren in den Falten seiner Kleidung verschwinden, während er auf dem zähen Fleisch kaute.
„Kaum zu glauben, dass schon wieder alles weg ist“, beschwerte sich Galileo: „Wir haben den ganzen Tag gejagt!“
„Ich glaube, das meiste hast du gefressen“, erwiderte Foxy.
„Ich hoffe, ihr habt Lucy was übrig gelassen“, sagte Kassia streng. Für das Mädchen war noch ein Stückchen Fleisch geblieben, und sie mussten sich vor dem Abendessen noch ihre Meinung dazu anhören.
Henry spürte einen Muskelkater nahen, als er sich endlich hinlegte. Bei dem Gedanken, dass das von nun an sein Leben sein sollte, kamen ihm fast die Tränen. Er würde morgen keinen Muskel rühren können, geschweige denn so arbeiten wie heute.
Er tastete nach den Beeren und schob sich die ersten in den Mund. Sofort breitete sich wohlige Müdigkeit in ihm aus. Sein Körper entspannte sich.
Ob er die Beeren morgen nutzen könnte, um die Schmerzen zu betäuben? Ansonsten waren die schwarzen Beeren doch nur Ballast, den sie nicht gebrauchen konnte, solange sie keine Tiere zähmen wollten.
Er lächelte müde. Das wäre doch mal ein Plan.
Henry war der erste der Gruppe, der friedlich schnarchte.