Die Nacht war kühl. Sie hatte die Augen auf den fernen Lichtschimmer gerichtet, der einem roten Stern gleich am Horizont flackerte.
Am Tag war es näher erschienen. Ashley hatte den Feuerschein in der letzten Nacht entdeckt und war am Morgen losgezogen, in der Hoffnung, nicht von der Abenddämmerung überrascht zu werden. Jetzt kroch sie durch kaltes, dunkles Gebüsch, nervös auf jedes Geräusch lauschend, und verfluchte den Berghang, der ein Stück hinter ihr lag und sie fast den ganzen Tag gekostet hatte. Die Strecke war wirklich kurz, für Ashley, die ausdauernd und schnell war, nur eine Sache von wenigen Stunden. Aber im Dunkeln musste sie auf jeden Schritt achten, und sie hatte die Klettertour unterschätzt, der sie sich vorher unterziehen musste. Jetzt schien das Feuer keinen Schritt näher zu kommen und die Äste sie festzuhalten, damit sie nicht vorwärts kam.
Sie duckte sich unter großen Farnblättern vorbei und durchquerte einen Wald mit niedrigen, breitstämmigen Bäumen, dann war das Feuer plötzlich deutlich näher. Nur ein Stück Wiese trennte sie von dem Hoffnungsschimmer, und Ashley fiel in einen schnellen Trott, so schnell sie eben laufen konnte, ohne einen Sturz auf dem unebenen Boden zu riskieren.
Sie näherte sich dem Licht, vielleicht zu unvorsichtig, aber getrieben von dem Wunsch, der Dunkelheit zu entkommen. Sie hörte Geräusche in der Nacht hinter ihr, ein helles Keckern, die Schritte von Verfolgern. Ashley rannte, mit weiten Sprüngen, die Augen konzentriert auf den Boden im Sternenlicht gerichtet, um nicht zu fallen. Und die Geräusche verklangen, als sie den Rand des Feuers erreichte. Ob es nur Einbildung gewesen war, oder ob sie soeben einem Angriff entkommen war, Ashley konnte es nicht sagen. Jetzt warf sie sich am äußeren Rand des Lichtes flach auf den Bauch und kroch an eine Klippe heran, lauschend und den Rauch in der Nase.
Sie wollte nicht kopflos werden. Immerhin wusste sie nicht, wer oder was das Feuer entzündet hatte. Sie musste an diesem Ort mit allem rechnen. Aber Mikail war überzeugt gewesen, dass nur Menschen mit Feuer umgehen konnten. Und deshalb robbte Ashley an die Klippe heran und spähte hinüber, um einen kurzen Sandstreifen zu erblicken – und eine ganze Menge Nichts.
Keine Menschen. Keine Gefahr. Lautlos seufzte sie.
Das Feuer hatte sich doch nicht von selbst entzündet! Sie musste die Umgebung absuchen. Vielleicht wusste, wer das Feuer angezündet hatte, dass der Schein alles mögliche anlocken konnte und verbarg sich irgendwo in der Nähe. Ashley lauschte noch einen Moment länger, dann kletterte sie vorsichtig die Klippe herunter. Der Weg war kurz, aber recht steil, trotzdem fand Ashley besser Halt als sie es früher an diesem Tag an einer anderen Klippe getan hatte.
Sie kam auf dem Sand auf und sah sich in jede Richtung um. Es war keine Gefahr zu erkennen.
Dann hörte sie ein Geräusch aus einer Richtung und neigte den Kopf, und genauer hinzuhören. Nach einigen Moment, in denen sie den Atem anhielt, bestand kein Zweifel. Das waren menschliche Stimmen.
Ashley wandte sich in Richtung der Stimmen und folgte ihrem Klang über den Strand, bis sie einzelne Wörter verstehen konnte.
„...doch egal, ob es gefährlich war! Wir haben Holz!“, sagte die Stimme einer jungen Frau.
„Holz wofür?“, bellte ein Mann, der dem Klang nach kurz vor der Explosion stand.
„Falls dir die Stöcke im Arsch ausgehen?“, riet ein Mädchen und Ashley hörte förmlich, wie mehrere Menschen nach Luft schnappten.
„Ihr hättet sterben können“, knurrte der Mann wieder, um gefährlich leise hinzuzufügen: „Was immer noch im Bereich des Möglichen ist.“
„Wir haben aufgepasst“, mischte sich eine andere Frau schlichtend ein: „Nokori hat Wache gestanden, und wir waren zu zweit.“
„Ihr habt euch einem direkten Befehl widersetzt“, donnerte der Mann.
„Befehl?“, fragte die erste Frau spitz.
Die Besitzer der Stimmen mussten sich irgendwo in einem Kreis großer Steine befinden, doch sie waren nicht zu sehen. Ashley wollte sich wirklich nicht in die Diskussion einmischen. Beinahe wäre sie umgekehrt und hätte Mikail eine Lüge aufgetischt, dass sie Niemanden vorgefunden hatte. Aber große Menschengruppen bedeuteten Schutz, und den konnten sie gebrauchen.
Ashley knabberte auf ihrer Unterlippe, dann trat sie vor: „Hallo?“
Ihre Stimme war hoch und dünn. Der Streit ging weiter, ohne, dass sie bemerkt wurde.
Sie räusperte sich. Atmete tief durch. „Hallo!“
„Wenn ihr euch weiter so in Gefahr bringt, werde ich euch nicht weiter retten!“, knurrte der Mann.
„Pscht!“, machte das Mädchen, „ich habe was gehört.“
Ashley spürte förmlich die Nervösität, die von der Gruppe ausging.
„Hallo“, sagte sie nochmals, und kam sich dabei ziemlich unoriginell vor.
„Wer ist da?“, fragte eine der Frauen.
Ashley trat vorsichtig nach vorne, auf die Ansammlung von Steinen zu: „Ich bin Ashley.“
Etwas bewegte sich in der Dunkelheit vor sich, dann erkannte sie plötzlich eine Gestalt, die sich vom Boden aufrichtete, nachdem sie durch einen in der Nacht verborgenen Eingang gekrabbelt war.
„Hey!“, rief der Mann.
Eine junge Frau stand Ashley gegenüber, ungewöhnlich bleich im Mondlicht, mit dunklen Haaren, die ihr bis zu den Schultern gingen: „Wer bist du?“
„Ich – ich bin hier aufgewacht“, sagte Ashley unsicher. Noch etwas bewegte sich und ein kräftiger, sehr dunkelhäutiger Mann tauchte auf.
„Noch mehr von der Sorte“, knurrte der Neuhinzugekommene unfreundlich.
Ashley schluckte: „Ich – wir haben das Feuer gesehen.“
„Ich habe euch gesagt, dass das eine schlechte Idee war“, wandte sich der Mann an zwei weitere, die zwischen den Steinen auftauchten.
Eine war ein junges Mädchen mit kurzen Haaren und frechem Grinsen. Die andere eine weitere junge Frau mit unglaublich langen Haaren. Ashley lächelte schwach.
„Hast du gerade „wir“ gesagt?“, fragte die Langhaarige: „Gibt es noch andere?“
Ashley nickte. „Mikail. Er ist bei unserem Lager“, sie deutete mit dem Zeigefinger in die Richtung des Berges.
Der Mann verengte die Augen, als er ebenfalls zu dem Berg sah: „Lager? Ist es sicher.“
„Ziemlich“, meinte Ashley: „Mikail meint, er könnte es sicherer machen. M-mit genug Holz.“
Sie senkte den Blick. Kam sie den anderen jetzt gierig vor? Das wollte sie eigentlich nicht.
„Uuii, tolles Tattoo!“, meinte das Mädchen grinsend und umkreiste sie. Die Frau mit den langen Haaren trat vor und streckt die Hand aus: „Ich bin Kassia. Holz haben wir genug.“
Der Mann warf ihr einen schnaubenden Seitenblick zu.
„Ich bin Nokori“, stellte sich die andere Frau vor. Das Mädchen gab sich als Lucy bekannt und der Mann grummelte widerstrebend: „Thanatos.“
„Interessante Namen“, meinte Ashley zurückhaltend.
„Glaubst du, in deinem Lager wäre Platz für uns?“, fragte Kassia mit einem einnehmenden Lächeln.
Ashley nickte.
„Es fehlen allerdings noch zwei Leute von unserer Gruppe. Das Feuer sollte sie eigentlich anlocken“, gab die Andere zu.
Ashley sah zu dem Lichtschein über ihnen hinauf: „Ähm. Wir können die Nacht warten. Ich möchte sowieso nicht bei Nacht zurück.“
Lucy grinste schief: „Viel zu viele Viecher, die uns fressen wollen.“