Es war rührend, wie sich alle aufstellten, um ihr Glück zu wünschen.
Ashley hätte sich lieber in der Nacht davon gestohlen. Mit den ganzen Glückwünschen und den spontanen Umarmungen konnte sie nicht umgehen. Sie lächelte nervös und versuchte, den Abschied so kurz wie möglich zu gestalten.
Thanatos war darauf zurückgekommen, dass Ashley ihre Späherin war. Zwar hatten sie von den Raptoren keine Spur mehr gesehen, aber bis auf ein paar traurige Dodos waren die Wälder wie ausgestorben. Ashleys Aufgabe sollte es jetzt sein, neue Beute zu finden.
Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe, während Kassia ihr einschärfte, bei dem geringsten Zeichen von Gefahr zurück zu kommen. Über Ashleys Schulter hing ein Rucksack mit etwas Fleisch und ein paar Beeren, einem Wasserschlauch, einer Axt, einer dünnen Decke und einigen Seilen. In der Hand hielt sie Thanatos' drittbesten Speer. Den besten hatte ihr Anführer selbst und den zweitbesten Nokori, die hart darum gekämpft hatte, Ashley begleiten zu dürfen. Am Ende hatte Thanatos jedoch das letzte Wort behalten.
Ashley ging alleine. Sie hatte sich vorgenommen, nach Süden zu laufen, immer der aufgehenden Sonne entgegen, bis sie hoffentlich einen guten Jagdgrund fand. Während der Berg hinter ihr immer kleine wurde und sie in den Wald eintauchte, lauschte sie intensiver als je zuvor auf das Knurren, Keckern und Zischeln, auf die ganzen fremdartigen Geräusche dieser Welt.
Es war beinahe unheimlich still. Ein paar Dodos waren zu hören. Die dummen, flugunfähigen Vögel waren so zutraulich, dass sie Ashley beinahe vor die Füße liefen.
In einem schnellen Tempo, das sie trotzdem durchhalten könnte, lief Ashley durch den Wald. Sie atmete flach und lauschte auf jedes Knacken. Immerhin konnte es hier unzählige Wesen geben, die sie fressen wollten.
Am Rand einer großen Lichtung ging die in die Hocke. Mit einer Hand stützte sie sich leicht am Boden ab und suchte bewegungslos die freie Fläche vor sich ab. Sie konnte die Wiese nicht vollständig einsehen, aber es schien, als wäre sie verlassen. Trotzdem wartete sie mehrere volle Minuten, zählte die Sekunden, während sie keinen Muskel bewegte, aber trotzdem bereit war, bei dem leisesten Geräusch los zu sprinten.
Sie hörte und sah nichts, also lief sie leicht geduckt und etwas schneller als zuvor über die Wiese. Sie vollführte eine beinahe gerade Linie, schlug nur einen kleinen Bogen um einen Hügel, da sie nicht sagen konnte, was dahinter war. Dann tauchte sie erneut in den Schatten von Bäumen, diese waren etwas größer und schlanker.
Auf dem vom Sonnenlicht gesprenkelten Waldboden zeigte sich keine Spur von Leben. Ashley lief, bis die Sonne heiß im Zenit stand. Dann kletterte sie auf einen Baum. Sie trank ihren Wasserschlauch in kleinen Schlucken leer, während sie sich alle paar Atemzüge umsah, dass sich ihr auch nichts näherte. Sie aß ein paar Beeren, weil sie wusste, dass diese sonst nur schlecht werden würden. Sie sprang aus dem Baum und landete lautlos auf dem Waldboden, dann lief sie weiter.
Als der erste kühle Hauch des Abend durch den Wald glitt, hörte Ashley das Plätschern von Wasser. Sie folgte dem Geräusch zu einem kleinen Fluss in einem niedrigen Graben. Wieder wartete sie am Waldrand, mit der Geduld von Steinen, bis sie sich sicher sein konnte, dass das Wasserloch keine Todesfalle werden würde. Eigentlich müsste es an solchen Stellen von Tieren nur so wimmeln.
Ashley huschte zum Wasser, füllte eilig ihren Wasserschlauch und rannte wieder fort. Sie hielt nicht an, bis sie an den Waldrand kam, wo die Bäume endeten und ihr Weg sie auf eine gewaltige, freie Fläche führen würde, die braun und grün gesprenkelt war.
Hier hielt Ashley wieder an, hinter dem Stamm eines der äußeren Bäume verborgen.
Endlich sah sie eine Spur von Leben. Sie entdeckte Dreihörner wie Diana/Scaramouche, und weitere Pflanzenfresser, gewaltige Langhälse, die wie Berge auf vier Füßen aussahen. Flugsaurier kreisten über der Ebene, und gewaltige Fleischfresser stampfen darüber hinweg, selbst mehrere Kilometer entfernt glaubte Ashley, die Erde unter ihren Füßen erzittern zu spüren.
Ihr Herz raste. Die großen Pflanzenfresser waren keine Beute, mit der es ihre kleine Gruppe aufnehmen konnte. Und selbst wenn, sie müssten an den Fleischfressern vorbei, die vermutlich mit allen außer Thanatos kurzen Prozess machen würden.
Ashley kroch vorsichtig rückwärts, als etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erweckte. Sie entdeckte ein Haus, ein hässliches, flaches Betongebäude mit mehreren Stockwerken. In der aufziehenden Dämmerung konnte sie fast keine Details erkennen, noch dazu schienen die meisten Dinosaurier sich an diesem Ort zu sammeln, aber sie war sich sicher, kleinere Gestalten zwischen den Riesen herumlaufen zu sehen – ohne Furcht vor diesen.
Das waren Menschen, keine Zweifel. Je länger Ashley starrte, je dunkler es wurde, desto mehr erkannte sie: Viele der Saurier trugen Sättel und komplizierte Geschirre. Die Menschen hatten auch die größten Monster gezähmt und ihre Basis auf der freien Fläche erreichtet, wo sie wohl offenbar den ganzen Wald gerodet hatten. Ein Teil des Hauses ragte auf eine Wasserfläche hinaus, die Ashley erst einmal hinter einem dicken Zaun erkennen musste. Zwischen dem Wasser und dem Haus sperrte der Zaun offenbar einen großen Bereich für die vielen Saurier ab. Ashley konnte kaum fassen, dass es so etwas hier geben konnte.
Der Komplex hatte etwas von einer Stadt. Es wimmelte von Menschen und Dinosauriern, das Ganze wirkte organisiert und strukturiert.
Ashley schluckte, bevor sie zurück in den Wald kroch. Die Ausmaße der Siedlung stellten selbst die großen Saurier in den Schatten. Sie musste den anderen davon erzählen, und gemeinsam mussten sie entscheiden, was sie mit der Gruppe anfangen sollten.
Der Rauch eines gewaltigen Kochfeuers verdunkelte die untergehende Sonne. Ashley hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.