Nach dem Prompt "Schlummertrunk" vom 05.07.2020
Geschrieben am 05.07.2020 von 18:00 bis 19:00 Uhr
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ROMAN
Die Quälgeister sind dieses Wochenende bei uns. Ganz unter uns, mich stört das ja nicht so sehr, wenn sie leise und friedlich sind. Weil ich aber einen Ruf zu verteidigen habe, sitze ich mit einem sehr, sehr missmutigen Gesichtsausdruck nach dem Abendessen am Wohnzimmertisch und lasse mir nicht anmerken, dass ich es tatsächlich gar nicht so schlimm finde, rosarote Ponypferde mit bunten Glitzersträhnchen in den Haaren eigenhändig zu bewegen und miteinander sprechen zu lassen. Diese zwei kleinen Mädels sind mir mehr ans Herz gewachsen, als ich jemals zugeben würde. Aber das muss ja schließlich keiner wissen.
"Was machst du da?", fragt ein eher fliederfarbenes Pferdchen mit Elaines Stimme den quietschepinken Gaul in meiner Hand. Kurz muss ich überlegen, immerhin hab ich das Vieh nur kurz hingelegt, um mich schnell meinem Telefon zu widmen. "Ich schlafe", murrt das zuckersüße Pony mit meiner doch eher bärbeißigsten Stimmlage, "Und du solltest das auch, immerhin ist längst Zeit für's Bett!" Irgendwie muss ich die beiden ja irgendwann loswerden, wenn der rechtmäßige Erziehungsberechtigte meint, dass er unbedingt schon wieder einen Anfall haben muss. Ausgerechnet, wenn sonst dann niemand übrig bleibt außer mir, um die kleinen Plagegeister zu beschäftigen.
"Aber nein!", beschwert sich ein schneeweißes Tierchen mit bunten Blumen auf dem Rücken und im Haar und Emily wirkt vollkommen entrüstet, "Es ist doch noch nicht einmal dunkel." Ich seufze schwer und reibe mir mit der Hand über die Schläfen. "Ich meine doch im Spihiel!", meckere ich trotzig und Elaine beschwert sich sogleich. "Du musst sie bewegen, wenn sie spricht, ansonsten weiß man nicht, ob du was sagst oder sie!", belehrt sie mich altklug über die Spielregeln und ich wackele lustlos mit Pinkypony hin und her. "Ich bin müde, ich geh schlafen", raunze ich, nein, flötet natürlich der Gaul in einer wiehernden Stimme und Emily muss laut lachen.
Eine Weile geht es gut. Die Ponypferde erleben viele Abenteuer, erkunden das Sofa und eins erklimmt sogar den Wohnzimmerschrank. Wieder zuhause auf dem Tisch angekommen, schaue ich auf die Uhr. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wann die Mädels normalerweise schlafen gehen, weil ich in all den vergangenen Kinderwochenenden noch nie darauf geachtet habe. Und wenn man Edgar tatsächlich mal braucht, liegt er krampfend im Bett, na vielen Dank auch. Als es dämmert, schlägt das pinkfarbene Pferdchen in meiner süßesten Stimme vor, dass es jetzt aber dunkel wird und sie ganz dringend alle schlafen müssen. Weit gefehlt.
Elaine schaut nachdenklich aus dem Fenster und nickt trübsinnig. Dann senkt sie den Kopf und seufzt traurig. Emily streichelt ihr über den Kopf und sieht auch nicht so fröhlich aus. Ich bin der Einzige, der erst nach einer gefühlten Ewigkeit auf den Gedanken kommt, dass sie vielleicht gar nicht mal so deprimiert darüber sind, mit dem Ponyspiel aufhören zu müssen als über die Tatsache, dass ihr Vater sie heute wohl eher nicht mit einer kleinen Geschichte und einem Gutenachtkuss ins Bett bringen wird. Stattdessen schläft der sicherlich mittlerweile längst den Schlaf der Gerechten und Barbara vor lauter Sorge und Erschöpfung gleich mit. Ich will auch gar keine Details wissen, ich finde Epilepsie wahrscheinlich noch gruseliger als die beiden Mädchen, die das ja irgendwie schon gewöhnt sein sollten.
Meine Erlösung kommt in Form von Adrian gerade nach Hause, entdeckt uns noch im Wohnzimmer und deutet auf seine Armbanduhr: "Zeit für's Bett!" Wir schmollen alle drei, immerhin sind wir weder müde, noch wissen wir, wie das nun ablaufen soll. Dann einigen wir uns darauf, dass Adrian die beiden niedlichen Gören beim Zähneputzen beaufsichtigt und ich schon mal nach einem Buch suche, aus dem ich vorlesen könnte. Während ich gerade die Reisetasche der beiden nach einer brauchbaren Lektüre durchwühle, steht plötzlich Elaine vor mir. Mit rosarotem Schlafanzug, verheulten Augen und einem Klecks Zahnpastaschaum auf der Nase, inklusive den ganzen Ponypferden in den Armen. Sie schaut mich flehend an und ich spüre, wie mein Herz in tausend kleine Teile zerspringt.
"Na gut, aber das bleibt unter uns", raune ich verschwörerisch zu ihr, knie mich auf Augenhöhe und wische ihr die Zahncreme von der Nase. "Wir spielen noch eine Gutenachtgeschichte und wenn das alles nichts hilft, weiß ich einen ganz besonderen Zaubertrank, der alles wieder gut zaubert!" Auf Elaines Lippen zuckt ein schüchternes Lächeln, dann streckt Emily den Kopf ins Zimmer. "Wir können ja Ponys statt Schäfchen zählen!", jubelt sie und hüpft auf die Matratzenkonstruktion, die das Gästebett darstellen soll. Elaine kuschelt sich an sie und drückt mir ein Pony in die Hand. Bevor ich mich dazu erbarme, noch weitere Abenteuer auf dem Reiterhof zu erleben, winke ich Adrian zu mir und bestelle mit sehr ernstem Gesicht zwei große Becher Schlummertrunk aus dem Gewölbekeller der Hexe, bei der die ganzen Kessel mit den Zaubertränken stehen.
Adrian hat diesen ungläubigen "Darüber reden wir später noch"-Blick auf dem Gesicht, spielt aber mit und wird ganz hektisch, weil er sich ja bei einem solch weiten Weg schleunigst beeilen muss. Die Mädchen kichern und glucksen, werden dann aber wieder ernst, als der Dienstbote zur Hexe eilt. "Damit der Schlummertrunk auch wirkt", beginnt Emily mit einer wahrhaftigen Märchenerzählerstimme, "Müssen wir aber noch die wichtigste Zutat finden!" "Und die wäre?", flüstert mein pinkfarbener Ponygaul ganz aufgeregt, während ich ihn wieder hin und her wackeln lasse, damit man den Unterschied auch erkennt. Emily scheint zu überlegen, Elaine aber fällt sofort etwas ein. "Medizin!", ruft sie und Emily macht ein energisches "Pssst"-Geräusch in ihre Richtung.
"Der Schlummertrunk ist doch die Medizin", meckert sie ihre kleine Schwester an, "Sie wirkt nur, wenn man-" "Du musst sie in die Hand nehmen und mit ihr reden!", mault Elaine und drückt ihr das Pferdchen in die Hand. Ich überlege gerade, wie sehr ich ein Spielverderber wäre, wenn mein Gaul jetzt einfach zu schnarchen anfangen würde. Emily und Elaine zanken sich und ich kann nicht ganz folgen, ob der Streit über Medizin und Zaubertrank zwischen den Pferden oder zwischen den Mädchen ausgetragen wird.
Irgendwann liegt das fliederfarbene Pferdchen auf der Seite und sieht trotz freundlich aufgemaltem Lächeln ganz unglücklich aus, wie es in Elaines Hand zuckt und wackelt. Kurz herrscht Schweigen, dann kommt das schneeweiße Pony heran galoppiert und stellt fachmännisch fest: "Oh nein, es ist ein epileptischer Anfall! Wir brauchen Medizin!" Ich will mich gerade beschweren, dass ich das gar nicht mal so lustig finde, aber vielleicht hat das ja irgendeinen therapeutischen Wert, den ich jetzt nicht zerstören will. Mein pinker Gaul bleibt also bei dem armen Ding stehen und stupst es mit der Schnauze an. "Ich bleibe bei dir", piepst Pinkypony mit extrem hoher Stimme und ich werde morgen bestimmt heiser sein, "Du!" und Pinkys Kopf nickt zum weißen Gaul, "Ich hab deinen Namen vergessen, aber du musst die wichtige Zutat für die Medizin finden!"
Als der rettende Schlummertrunk den Weg zu den drei Pferden findet, liegen sie alle bereits wieder in Elaines Armen. Adrian, der Bote der Kräuterhexe, setzt sich zu uns ans Bett und Emily probiert zufrieden einen Schluck von der warmen Schokomilch mit Sahne. Elaine sieht längst furchtbar müde aus, hängt mehr an meine Schulter gekuschelt da als dass sie noch auf der Matratze sitzt und hält die Ponys immer noch in den Händen. Ich wuschele liebevoll durch Elaines Haar und biete ihr auch einen Becher Schlummertrunk an. "Aber ich brauch keine Medizin mehr", nuschelt sie, "Und schon gar keinen Schlummertrunk, wenn wir doch jetzt die wichtige Zutat gefunden haben." Emily kichert, "Na gut, dann trink ich deinen Kakao auch! Selber schuld!" "Was? Kakao?", Elaine wird hellhörig und schnappt sich den Becher, "Niemals!"
"Was ist denn die wichtige Zutat?", fragt Pinkypony neugierig, während ich sie vom Boden aufsammele, weil sie bei dieser Aktion aus Elaines Arm gerutscht ist. Emily zuckt mit den Schultern, "Das war doch nur im Spiel!" Aber Elaine schüttelt heftig den Kopf, grinst und drückt mir einen schmatzenden Kuss auf die sicherlich sehr kratzig unrasierte Wange. "Ein Gutenachtkuss!", stellt sie fest. Emily verdreht die Augen, "Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Du bist echt noch zu klein, um dir ordentliche Märchen auszudenken." Elaine streckt ihr die Zunge raus und klammert sich an meinen Arm. "Mir doch egal", schmollt sie. "Roman ist dafür ein besseres Pony als du!" Ich nehme das mal als Kompliment nach all den Pannen.