Nach dem Prompt "Gänseblümchen" vom 18.03.2020
Geschrieben am 12.04.2020 von 3:00 bis 4:00 Uhr
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BARBARA
Die Szene vor meinen Augen fühlt sich an, als würde man statt meines Lebens gerade die kitschigste Stelle aus irgendeinem extrem schnulzigen Rosamunde Pilcher-Verschnitt abspielen. Bis darauf, dass ich gerade nicht vor dem Fernseher gefoltert werde, sondern zumindest bislang einen wirklich schönen Tag genieße. Manchmal passieren eben doch noch Wunder auf der Welt, denke ich mir und beobachte Edward bei der absurden Aktion, die gerade im Gange ist. Wünscht sich so viel überflüssige Aufmerksamkeit nicht jede Frau? Vielleicht bin ich zu vernünftig oder schon in verhältnismäßig jungen Jahren schlichtweg zu verbittert, um das alles grenzenlos niedlich zu finden.
Mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht hüpft mein sogenannter Lebensabschnittsgefährte nämlich wie ein kleines Kind über die doch recht stark abfällige Wiese zum Flussufer hin, bückt sich ab und an zum Boden und pflückt einen Strauß Gänseblümchen. Einfach so, mitten auf einem der vielen Fleckchen Natur neben dem kleinen Bach, an dem der Wanderweg entlang führt. Ich stehe noch immer fassungslos auf dem von Kies bedeckten Boden und schüttele einen der kleinen Steinchen aus meinem Schuh. Dabei kann ich gerade noch zur Seite treten, als ich die Klingel eines nahenden Fahrrad vernehme, bevor dieses schon an mir vorbeibraust. Für einen Moment sehe ich bestimmt fast so aus wie eine Low Budget-Version von der berühmten Marilyn Monroe, weil ich schnell den Rock meines Sommerkleidchens nach unten festhalte. Vorsorglich versteht sich, nur um zu verhindern, dass etwaige Spaziergänger hier irgendetwas zu sehen bekommen.
"Ist das dein Ernst?", rufe ich Edward zu. "Du fällst gleich runter und brichst dir das Genick!" Er aber lacht nur und hört nicht auf, den armen Blümchen ihren nährenden Boden zu entreißen. Oder anders herum, wie auch immer. Ich beobachte ihn kopfschüttelnd und seufze übertrieben tief. Hoffentlich laut genug, dass er es hören kann, aber nichts dergleichen scheint gegen diese Art von Idiotie zu helfen. Die Röte steigt ihm immer deutlicher ins Gesicht und ich bin mir nicht ganz sicher, ob eine sonst so gemütliche Sofakartoffel wie er das schon als sportliche Höchstleistung verbuchen kann oder ob er einfach nur einen Sonnenbrand bekommt. Es ist zwar nicht der erste schöne Tag in diesem Jahr, aber auch nicht mein erstes Jahr mit einem strohblonden Mann samt verbranntem Hummergesicht an meiner Seite.
"Das ist ja eine traurige Prognose für ein plötzliches Ende unserer schönen Zeit", ruft Edward die wenigen Meter bis zu mir, bevor er das mickrige Bouquet in seiner Hand wohl zufrieden betrachtet und zum beschwerlichen Rückweg nach oben ansetzt. "Denk nicht so negativ, hab lieber ein bisschen Vertrauen in mich!", schnauft er noch grinsend, dann steht er auch schon neben mir und überreicht den improvisierten Blumenstrauß mit einem theatralischen Ausfallschritt. Die Worte, die er dabei zum Besten gibt, klingen ebenso abgedroschen. "Meine Teuerste", beginnt er scherzhaft dramatisch, "So bescheiden wie dieser blühende Gruß ist meine Zuneigung, denn selbst die prachtvollsten Rosen würden neben dir erblassen."
Ich muss gegen meinen Willen doch sehr angetan lachen, nehme die Gänseblümchen entgegen und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. "Ich hab dich schon im Bach liegen sehen", stelle ich ihn vorwurfsvoll zur Rede, "Dann hättest du selbst sehen können, wie du wieder rauskommst. Ich wäre ganz sicher nicht da runter gestiegen, um dir zu helfen!" Edward scheint das jedoch nicht weiter zu belasten. Er kichert wie ein kleiner Junge, sein Atem geht noch immer etwas schwerfällig und ich kann kleine Schweißperlen auf seinen Schläfen entdecken. Ich gebe mich geschlagen und stecke mir mit einem zuckersüßes Lächeln eine der kleinen Blüten ins Haar, als würde ich nun auch zur traumhaften Kulisse gehören. Auch wenn ich nur zur Dekoration herumstehe, passe ich nun wenigstens ein bisschen ins idyllische Bild, das Edward sich wohl für uns ausgedacht hat.
"Lernt man so etwas beim Improtheater?", frage ich ihn argwöhnisch. "Oder steht das in deinem Skript?" Er zuckt lachend mit den Schultern, dann nimmt er mich in den Arm und küsst meine Stirn. "All meine Geheimnisse verrate ich natürlich nicht", murmelt er schmunzelnd. "Ein bisschen Mythos muss ich doch um meine Person wahren, sonst werde ich dir bestimmt irgendwann zu langweilig." Ich muss laut losprusten, was sicherlich nicht dem Klischee der umgarnten Dame entspricht, aber zusammenreißen geht nicht bei so einem Spruch. "Eins kannst du mir glauben, mein Lieber", ich stupse ihn neckend in die Seite, "Ich bekomme sicherlich vorher einen Herzinfarkt, bevor du mich jemals zu Tode langweilen könntest!"