Nach dem Prompt "Bewährungsprobe" vom 15.03.2020
Geschrieben am 12.04.2020 von 5:45 bis 6:45 Uhr
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ADRIAN
"Es ist doch nur für ein paar Wochen", versuche ich ein weiteres Mal, Roman zu beschwichtigen, der wie ein eingesperrter Löwe im Käfig hin und her läuft und sich immer wieder die Haare rauft. Er schnauft, bleibt stehen und schaut mich mit fest zusammengepressten Lippen an, als hätte ich ihn bei einer sehr wichtigen Aufgabe gestört. "Nur für ein paar Wochen!", äfft er mich dann nach. "Ich erinnere dich in zehn Jahren daran, wenn wir immer noch hier wohnen und ganz genau solche Spießer geworden sind wie die beiden!" Ich klappe mein Notebook zu, das ich glücklicherweise vor den Fluten unseres definitiv mehr als eine Spur zu heftigen Wasserschadens noch habe retten können, um meinem Freund ein bisschen ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Natürlich regt er sich auf, das ist nur verständlich. Ich meine, ich rege mich auch auf. Was für ein riesengroßer Bockmist! Natürlich ärgert es mich, dass ausgerechnet wir nicht nur nasse Füße bekommen haben, sondern die ganze Bude jetzt unbewohnbar ist. Aber es hilft leider nichts, wir müssen irgendwo unterkommen, bis wir eine neue Wohnung gefunden haben.
"Ich könnte mir auch Schöneres vorstellen, als wieder hier in diesem Kuhkaff fest zu sitzen", versuche ich einzulenken. "Aber wo willst du so schnell eine neue Bleibe nehmen? Ich finde es wahnsinnig nett von Barbara, dass sie uns die Wohnung angeboten hat. Sie hat sogar die Annonce aus dem Netz genommen, damit nicht gerade in der Zeit irgendjemand-" Roman unterbricht mich mitten in meinem Satz und lässt sich resigniert aufs Bett fallen. "Damit sich nicht zufällig und ausgerechnet jetzt jemand für eine Hausbesichtigung dieser Wohnung anmeldet, die seit zwei Jahren leersteht?", echauffiert er sich wild gestikulierend. "Dass ich nicht lache! Niemand will hier wohnen. Weder in diesem Dreckskaff noch bei diesen Leuten." Jetzt muss ich mir das Haar raufen und schaue Roman fast flehend an, "Ich bitte dich, reg dich ab. Die Wände sind dünn, am Ende verstehen die da unten jedes Wort." Dieser Einwand hat jedoch, wie ich bereits befürchtet hatte, eher einen gegenteiligen Effekt.
"Ach!", Roman steht wieder auf und verschränkt wie ein trotziges Kleinkind die Arme vor der Brust. Ein sehr großes, breitschultriges und verdammt gut aussehendes Kleinkind mit Dreitagebart und silbernen Strähnchen im Haar, aber dennoch eindeutig ein beleidigter Schmollmund. "Die sollen ruhig mitbekommen, was ich zu sagen habe!", regt er sich weiter auf. "Mich würde es ja wundern, wenn nicht bald das ganze Dorf über uns redet! Pass auf, nächste Woche stehen die Schlange, um nur mal kurz durchs Schlüsselloch schauen zu können." Mit einem tiefen Seufzen ergebe ich mich und breite zum Waffenstillstand die Arme aus. Roman verdreht kurz die Augen, lässt sich dann aber bereitwillig in den Arm nehmen. "Ist doch klar, dass die Leute reden werden", stimme ich ihm zu, damit ich meine Ruhe habe. "Als ob zwei Männer in einer Wohnung nicht schlimm genug werden, aber stell dir allein die Leute vor, die dich noch erkennen. Sodom und Gomorrha herrschen bei Horvaths, jeder mit jedem, eine riesengroße Versammlung mit allgemeinem Techtelmechtel, ja stell dir doch mal vor!"
Ich sehe Roman an der Nasenspitze an, dass er sich auf die Zunge beißt, um nicht lachen zu müssen. Das passt immerhin nicht zu seinem Schmollmund, aber er schafft es nicht, das Grinsen zu unterdrücken. "Das ist nicht gerade sachlich, was du da gerade hervorbringst", erinnert er mich an die Rolle, die ich seiner Meinung nach immer einnehme. "Aber ich stimme zu, so kommen wir nicht weiter." "Na endlich!", stöhne ich. "Das hat ja lang genug gedauert." Er gibt mir einen Kuss auf die Nasenspitze und blickt prüfend zur Tür, "Ob das im Sinne unserer Zuschauer war?" Unwillkürlich muss ich lachen. "Du glaubst nicht allen Ernstes, dass es meine Schwester und ihren Mann interessiert, was wir hier oben machen?", frage ich ungläubig. Roman wiegt nachdenklich den Kopf hin und her, "Lebensabschnittsgefährte, hat sie selbst gesagt. Und wer weiß, vielleicht verdienen die sich eine goldene Nase, wenn jeder im Dorf für fünf Euro auf die Hand mal kurz fünf Minuten durchschauen darf."
Spielerisch boxe ich Roman gegen den Arm. "Du bist manchmal echt widerlich", lasse ich ihn wissen. Schließlich wedele ich planlos mit den Händen durch die Luft, um so zu tun, als hätte ich Ahnung, worauf ich eigentlich hinaus will. "Sieh es doch mal so", improvisiere ich einfach. "Das ist doch eine wunderbare Chance, um mal ein bisschen zur Ruhe zu kommen." Roman verdreht die Augen, sagt aber nichts. Ich rede mich weiter um Kopf und Kragen, "Wir verbringen Zeit mit der Familie. Wir haben mehr Zeit miteinander. Ja, sieh es als Bewährungsprobe!" Roman blinzelt mich ungläubig an. "Hab ich denn was verbrochen?", fragt er mit leidendem Tonfall. "Wenn ich es recht bedenke, also", tue ich so, als würde ich zu einer langen Liste ausholen, dann schüttele ich den Kopf, "Nein. Aber wenn wir das hier gemeinsam durchstehen, dann weiß ich auch nicht, was es jemals schaffen sollte, uns wieder auseinander zu bringen!" Roman sieht mich zweifelnd an.
"Nur für ein paar Wochen, wie gesagt", beteuere ich, "Maximal ein paar Monate, je nachdem wie lange sich das noch ziehen wird, bis wir entweder zurück dürfen oder etwas Neues gefunden haben." Roman starrt mich aus gefährlich verengten Augen an, "Ein paar was? Bitte wiederhole das nochmal!" Ich muss grinsen, "Vielleicht auch ein paar Jahre. Wer weiß, vielleicht sind wir bis dahin schon so spießig geworden, dass es uns gar nicht mehr auffällt." Roman starrt mich an. Ich muss mir das Grinsen verkneifen. Roman presst fest die Lippen aufeinander und schaut mich bitterböse an, "Na warte!" Ich will schon ausweichen, aber Roman schnappt mich mit beiden Armen wieder um die Taille, um mich ordentlich durchzukitzeln. Kichernd und quiekend schnappe ich zwischen meinem viel zu lauten Gelächter nach Luft und deute immer wieder warnend zur Tür. "Ja genau, wenn das jemand sieht", lacht Roman. "Aber so einfach kommst du mir nicht davon!"