Nach dem Prompt "Sandkastenliebe" vom 16.02.2020
Geschrieben am 09.07.2020 von 23:00 bis 24:00 Uhr
Beendet am 10.07.2020 von 13:30 bis 14:30 Uhr
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ADRIAN
"Spielplatz!" So lautet das schockierende Urteil, zu dem mich Elaine vor Freude jubelnd verdonnert. Ich hätte ihr wohl doch nicht versprechen sollen, dass sie sich etwas aussuchen darf, wenn sie eine halbe Stunde lang am Stück den Mund hält, während ich noch eine Email fertig schreibe. "Und Roman soll auch mitkommen", fügt sie noch über das ganze Gesicht strahlend hinzu. Ich schnaufe ein paar Mal tief durch. "Roman ist arbeiten. Immer noch", erkläre ich ihr fast noch geduldig. Elaine ahmt mein Schnaufen sehr genervt nach und verschränkt die Arme vor der Brust. "Na gut. Aber Emily nehmen wir dann auch nicht mit. Und schon gar nicht Papa und Barbara!" Ich werfe ihr einen unbeeindruckten Blick zu. "Ist okay für mich", meine ich schulterzuckend, "Möchtest du einen Ball mitnehmen?" "Nein", sagt Elaine knapp und sieht sehr enttäuscht von mir aus. "Vielleicht eine Picknickdecke und ein paar Stück Wassermelone?", schlage ich vor. "Nein", schnauft sie resigniert. "Was denn?", frage ich also. Sie schüttelt den Kopf und erklärt mir altklug, dass man mit dem Ball auch im Garten spielen kann und Wassermelonen auch in der Küche essen. Das leuchtet mir ein. "Was brauchst du dann für den Spielplatz?", will ich trotzdem wissen, die Tasche mit ihrer Trinkflasche schon in der Hand. Elaine klatscht sich mit der flachen Hand auf die Stirn. "Hab doch schon alles, was ich brauche", meckert sie mich an und nimmt mich dann fest an der Hand.
Kurz platzt mein Herz fast vor Rührung, auch wenn ich mich fühle, als wäre ich an ihrer Stelle nun das fünfjährige Kind, das unbedingt beaufsichtigt werden muss. "Komm jetzt endlich", schimpft sie wie eine Große, "Wir müssen immerhin wieder zuhause sein, wenn es dunkel wird!" Ich huste verhalten. Es ist noch weit vor Mittag und eigentlich hatte ich höchstens etwas mehr als eine Stunde eingeplant. Wie ich darauf hoffen konnte, dass es nach meinem Plan und nicht nach Elaines Kopf geht, kann ich mir auch nicht erklären. Schließlich sitze ich im Sandkasten und baue eine Ritterburg. Niemand hat mir gesagt, dass der Begleitschutz, zu dem ich heute abkommandiert wurde, eigentlich auch beinhaltet, dass ich zur Arbeit versklavt werde. Aber im Mittelalter gelten wohl andere Regeln. Prinzessin Elaine hat sich ein zerknicktes Gänseblümchen ins Zopfgummi gefriemelt und erklärt mir lang und breit, welche Gesetze fortan im Königreich gelten werden. Ich nicke und schufte weiter. Wenigstens weiß ich jetzt, wie diese abenteuerliche Konstruktion funktioniert, mit der man den Wasserlauf mit der Pumpe in Gang bringt. Mit trockenem Sand lässt sich nur sehr schlecht der Grundstein für eine Monarchie mit wahrhaftiger Tyrannin an der Spitze legen, wie sie mir schon klar gemacht hat.
"Wenn du die Prinzessin bist", traue ich mich schließlich zu Wort, "Dann müsste doch eigentlich die Königin oder zumindest ein König regieren. Sehe ich das falsch?" Sie seufzt und schüttelt den Kopf. "Das habe ich doch schon erklärt", meint sie, setzt dann aber gnädigerweise zu einer weiteren Runde Allgemeinbildung des Königshofs samt Thronfolge der imaginären Dynastie an, "Der König ist auf einer weiten und beschwerlichen Reise zu einem anderen Königreich, um endlich Frieden mit der Königin zu schließen. Dort lebt die andere Prinzessin, die ist aber in der Schule. Sowieso ist nicht viel los heute im Palast, weil der Ritter gerade auf Arbeit ist. Das Burgfräulein wartet im Turm auf die Rückkehr des Königs. Der Drache... Ähm, der wurde leider vom Auto überfahren und so weiter und so fort, und deswegen bin ich als Prinzessin gerade die einzige, die über das Königreich herrschen kann!" Ich runzele die Stirn. "Wenn ich hier fertig bin, darf ich dann wenigstens auch zum Ritter geschlagen werden?", frage ich vorsichtig. Elaine winkt ab, "Unsinn. Für dich habe ich doch auch schon einen Job geplant. Immerhin brauchen wir noch den Hofnarren!" Na, herzlichen Dank auch.
Ich seufze und setze zum zweiten Mal an, den Graben um die Burg auszuheben. Mit bloßen Händen, versteht sich, immerhin haben wir ja keine Werkzeuge wie Schaufeln oder wenigstens ein Förmchen dabei. Hat die Kleine geschickt eingefädelt, und ich hab mir noch was drauf eingebildet, dass sie meinte, mich zu brauchen. Jetzt weiß ich, was sie damit gemeint hat. Gerade will ich den Tunnel unter der Zugbrücke graben - beim letzten Mal bin ich genau an dieser Stelle kläglich gescheitert und meine Unfähigkeit hat die halbe Burg in sich einstürzen lassen - da fällt dem feinen Fräulein Prinzessin doch noch etwas ein. "Übrigens", meint sie wieder mit diesem sehr arroganten Gesichtsausdruck, den kleine Kinder meiner Beobachtung nach immer wieder aufsetzen, wenn sie sich ihre Sieges über die Erwachsenen schon bewusst sind, "Mir ist langweilig. Entweder du baust schneller oder du erzählst mir dabei eine Geschichte!" Ich zähle ruhig bis zehn, um meine Fassung und meine eigentlich überlegene Position am längeren Hebel zu wahren - immerhin bin ich im Gegensatz zur hochwohlgeborenen Monarchin schon volljährig und kann sowohl lesen als auch schreiben - dann strecke ich ihr beleidigt die Zunge heraus und verschränke schmollend die Arme vor der Brust. "Nö", sage ich patzig. "Ich streike jetzt!"
"Mein Volk ist auch nicht mehr, was es einmal war", seufzt die Prinzessin schwer und reibt sich über die Schläfe. Woher auch immer sie solche Sprüche hat. "Ich möchte besser bezahlt werden", fordere ich, "Für diesen Hungerlohn von absolut gar nichts werde ich nicht weiter in Euren Diensten stehen!" Elaine zieht das Näschen kraus und sieht gar nicht mehr so glücklich aus. "Nur im Spiel", flüstere ich mit einem Augenzwinkern. Immerhin will ich heute keine Tränen trocknen, sondern einen Weg finden, wie wir das hier über die Bühne bringen, ohne dass mich heute Abend mein Rücken umbringen wird, sollten wir es überhaupt jemals wieder nach Hause schaffen, ohne vorher als vermisst gemeldet und polizeilich gesucht zu werden. "Na gut", Elaine scheint zu überlegen und runzelt die Stirn. "Du darfst meinetwegen das Burgfräulein sein. Das passt sowieso besser, wenn Roman der Ritter ist!" Ich schnaufe amüsiert, "Aber ich will der Ritter sein, immerhin baue ich die Ritterburg und sollte mit diesem Stand belohnt werden", beteuere ich meine Loyalität, "Roman darf von mir aus dann das Burgfräulein spielen!"
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Hier war die Zeit abgelaufen, aber die Szene ist offensichtlich noch nicht fertig.
Der Vollständigkeit halber habe ich weiter geschrieben, um sie zu beenden.
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"Nein!", ruft Elaine bestimmt und stapft mit dem winzigen Schuh in den Sand. "Ich bin die Prinzessin und ich mache die Regeln, weil ich über das ganze Reich regiere! Außerdem hat Roman einen Bart, also darf er kein Burgfräulein sein." "Doch!", rufe ich ebenso trotzig, weil mir ein bisschen die Argumente ausgehen. "Nein", Elaine schaut mich herausfordernd an und stemmt die Hände in die Hüften. "Doch", sage ich gefährlich ruhig und halte ihrem Blick stand. Würde mich irgendjemand hier erleben, würde er mich entweder einweisen oder zurück in den Kindergarten schicken. Aber ich weiß, was ich tue. Ich schlage die Tyrannin mit ihren eigenen Waffen! Das dachte ich zumindest. Solange, bis wir uns auf ein faires Duell geeinigt haben, das wir aufgrund mangelnder Möglichkeiten für einen ausgeglichenen Wettkampf auf die umliegende Wiese verlegen. Elaine sieht entschlossen aus und holt tief Luft. "Wer am längsten einen Handstand aushält!", fordert sie mich heraus. "Fein, den kannst du haben!", ich kann mir ein siegessicheres Grinsen nicht verkneifen.
In den nächsten drei Minuten stellt sich heraus, dass Elaine im Kinderturnen wirklich erfolgreich sein muss und ich trotz damaliger Jugendkarriere im Leistungssport nach unzähligen Jahren ohne Training einfach eine komplette Niete geworden bin. "Friede!", ich schnappe keuchend nach Luft, als ich nicht nur unsanft auf dem Rücken lande, sondern sie zusätzlich noch mit voller Absicht auf meinem Brustkorb. "Sieg!", triumphiert sie. Geschlagen reiche ich ihr die Hand, aber als wir gerade zurück ins Königreich kehren wollen, fällt unser Blick auf den Trümmerhaufen, der einmal unsere Festung dargestellt hat. "WER war das?", will ich wütend wissen, "Wer auch immer meine- unsere Burg zerstört hat, er wird dafür zum Hofnarren ernannt und ich werde Ritter sein! Ich will Rache!" Elaine sieht kurz verzweifelt aus. Ich habe Angst, dass sie gleich zu heulen beginnt, aber vor allem ärgere ich mich, dass meine Schufterei umsonst war. Außerdem war unsere Burg wahnsinnig toll! Gewesen. Bei mutwilliger Zerstörung scheint die Jugend von heute ja ganz große Klasse zu sein.
"Rache!", jubelt Elaine und ich bekomme ein bisschen Angst. Wir bewaffnen uns notgedrungen jeder mit einem kleinen Stöckchen, aber bevor ich mit wildem Kampfgeschrei zurück zu den anderen Kindern in den Sandkasten stürmen kann, hält mich Elaine am Hosenbein fest. "Oh, schau mal!", meint sie mit plötzlich wieder ganz ruhiger Stimme. Und dann entdecke auch ich das unbeholfene Krabbelkind, das mitten in den Überresten der Burg sitzt und jauchzend in den Trümmern spielt. Elaine schnauft frustriert und lässt den Kopf hängen. Ich nicke resigniert und wir schauen uns an. "Doch keine Rache?", frage ich. Sie schüttelt den Kopf, "Nein, keine Rache." Ein paar Minuten stehen wir bedröppelt da wie die Idioten. Wir sind von oben bis unten voll mit nassem Sand und Matsch, aber letzten Endes ist der Feind übermächtig gewesen. "Lass uns nach Hause gehen", schlage ich vor. Elaine nickt zaghaft und funkelt mich dann aus großen Augen an. "Na gut", gibt sie sich schließlich geschlagen, deutet aber erwartungsvoll auf den Boden, "Dann bist du doch nicht der Hofnarr, sondern das königliche Einhorn. Und jetzt hopp hopp, lass mich aufsteigen! Wir müssen zuhause sein, bevor es dunkel wird."