Nach dem Prompt "Babyparty" vom 26.07.2020
Geschrieben am 26.07.2020 von 21:30 bis 22:00 Uhr
Beendet am 21.08.2020 von 22:15 bis 22:45 Uhr
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BARBARA
Manchmal könnte man glatt denken, dass es für eine Frau gar nicht so einfach ist, mit drei Männern zusammen unter einem Dach zu leben. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mir davon nur einen einzigen ausgesucht habe, den zweiten davon sogar schon vor meiner Geburt ertragen musste und der Dritte im Bunde eigentlich längst mit Absicht aus meinem Bekanntenkreis ausgemustert werden sollte. Ja, man sollte fast glauben, dass man nach einer Weile die Verbitterung geradezu aus mir herausplatzen sehen könne, aber falsch gedacht. Ich fühle mich tatsächlich wie ein besserer Mensch, denn seither kann ich endlich wieder für die kleinen Dinge im Leben dankbar sein.
Für einen halben Nachmittag, an dem kein anderer Mensch im Haus ist und man sich plötzlich wundert, was man mit der ganzen Zeit anfangen soll. Für einen Samstagmorgen, an dem erstaunlicherweise die Klobrille nach unten geklappt ist und sogar der Deckel der Zahnpastatube nur unweit daneben liegt, anstatt auf Nimmerwiedersehen verschwunden zu sein. Und für ein ganzes Wochenende lang mentale Unterstützung von zwei süßen kleinen Dingern, die mit ihrem Erscheinen die Quote der holden Weiblichkeit um einiges anheben. Zufriedenheit und innere Ruhe bescheren die beiden zwar von außen betrachtet meistens nicht, aber irgendetwas stimmt seit einer Weile offensichtlich nicht mit mir. Denn wo ich manchmal noch wenigstens so tun konnte, als wäre ich genervt vom Lärmpegel, platzt mir beinahe das Herz vor Liebe und Stolz, wenn aus dem Garten Kinderlachen ertönt.
Müssen die Hormone sein, denke ich noch leise und für mich. Dass man in diesem Haus überhaupt noch irgendein Geheimnis für sich behalten kann, habe ich schon lange als Gerücht entlarvt. Im Prinzip wollte ich auch aus all diesem Wissen, aber auch in der Hoffnung auf mentale Unterstützung schon sehr bald meine Konsequenzen ziehen und endlich aussprechen, was ich schon so lange mit mir herumtrage. Für das momentan stattfindende Papa-Wochenende der zwei Gören war diese Aktion allerdings wirklich nicht geplant, da haben wir sowieso erfahrungsgemäß immer alle Hände voll zu tun. Als dann aber plötzlich Emily vor mir steht, mich prüfend von allen Seiten anschaut und mir erklärt, dass ich vielleicht mal weniger Schokolade essen sollte, weil ich sonst einen noch dickeren Bauch bekomme, bleibt mir nicht nur kurz die Luft weg, sondern auch kaum eine andere Wahl.
"Ach, Mäuschen, weißt du", ich druckse herum und lache gespielt amüsiert, auch wenn mir danach gerade nicht so ganz zumute ist, "Das Leben ist viel zu kurz, um auf Schokolade zu verzichten." Elaine hat natürlich wieder Ohren wie ein Luchs und jubelt sofort, "Dann möchte ich jetzt einen Schokoriegel!" Roman steht grinsend in der Tür und prustet verhalten. "Hätte ich auch nur im Entferntesten etwas in dieser Richtung angedeutet, wäre das Tor zur Hölle längst offen", mutmaßt er und ich ignoriere ihn gekonnt. Eddie ist krebsrot angelaufen und schwankt wohl gerade dazwischen, sich das Lachen verkneifen zu müssen oder seiner Tochter klar zu machen, dass solche Aussagen verletzend sein könnten. Wenn der wüsste. Wenn die alle wüssten!
Den restlichen Tag verschanze ich mich auf meinem Sofa. Meine Kopfschmerzen sind zwar lang nicht so schlimm wie ich vorgebe, aber meine Nerven liegen blank. Adrian kommt kurz vorbei, fragt mich, ob ich seine Powerbank gesehen habe und mein Wurf ist so halbherzig gezielt, dass das gute Stück nur knapp seinen Kopf verfehlt. Roman hat sich freiwillig dazu bereit erklärt, mit den Mädels wieder nach draußen zu gehen. Den Geräuschen nach zu urteilen spielen sie irgendetwas, bei dem man wahnsinnig laut schreien und dabei wie verrückt lachen muss. Bei den Temperaturen vermute ich fast, dass Roman den Gartenschlauch zur Bespaßung der Kinder hinzugezogen hat, aber ich will es gar nicht so genau wissen. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und leide still.
Dass ich eingeschlafen sein muss, bemerke ich in dem Moment, in dem mir reflexartig die Hand ausrutscht, weil mich jemand an der Schulter berührt. Ich möchte eigentlich nicht behaupten, dass ich so erschrocken bin, dass ich meinem besorgten Lebensgefährten meine Faust auf die Nase geschlagen habe, aber ich kann auch nicht reinen Gewissens sagen, dass ich es nicht getan habe. "Bloody Hell", flucht das arme Ding und weicht vor mir zurück. Ich brabbele verwirrt eine Entschuldigung und mummele mich dann wieder in die Decke. Auch wenn ich gern ein bisschen kuscheln würde, ist Ed gleichzeitig auch die Person, die ich in diesem Moment am wenigsten gebrauchen kann. Mir ist klar, dass es da etwas gibt, was er wissen sollte. Aber es ihm zu sagen, bringe ich in diesem Zustand nicht über's Herz.
Wir einigen uns darauf, dass er mich in einer Stunde wecken darf - am besten mit Sicherheitsabstand, falls ich wieder so tief einschlafe - dann gibt er mir noch einen kleinen Kuss und lässt mich wissen, dass er mit Roman den Pool für die Kinder aufgebaut hat. Es ist mir im selben Maße egal wie es mich auch kurz nachdem er weg ist in Tränen ausbrechen lässt. Letzten Endes schaffe ich es nicht einmal in den Halbschlaf, ehe mir jemand unsanft die Decke wegzieht. Diesmal rutscht mir nicht aus Versehen die Hand aus, aber mein sehr wohl geplanter und gut gezielter Schlag geht ins Leere, weil mein Bruder mich und meinen Kampfstil schon einige Zeit lang kennt. "Was zum Geier ist mit dir los?", stellt er mich mit vor der Brust verschränkten Armen zu Rede. "Du hast dich so auf die Mädels und das Wochenende gefreut. Jetzt könnte man meinen, dass du fünf Jahre alt bist und dein Hamster gestorben ist."
Mit einem beleidigten Schmollmund wende ich mich ab, aber Adrian lässt nicht locker, "Und damit nicht genug, die letzten Wochen bist du schon unausstehlich. Ich will jetzt nicht behaupten, dass du ein grundsätzlich angenehmer Mensch wärst, aber so kenne ich dich echt nicht. Was auch immer dich belastet, wir reden jetzt darüber, ob du willst oder nicht. Ich ertrage das nämlich nicht länger." Damit quetscht er sich zu mir aufs Sofa und lässt mir gar keine andere Wahl, als mich genervt aufzusetzen. Einige Momente versuche ich noch, die Haarsträhnen zu richten, die aus meinem nachlässig gebundenen Dutt gerutscht sind, dann gebe ich auf und lasse verzweifelt die Hände sinken. "Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, hast du mich gefälligst zu ertragen", maule ich ihn an. "Ich will nicht reden, weder über was auch immer, noch mit dir und vor allem nicht jetzt!"
Adrian verdreht stöhnend die Augen, dabei murmelt er irgendetwas von Frauen und ihren Erdbeertagen, dass die aber doch eigentlich nicht so lange anhalten sollten. Als ich ihm für diese Reaktion nun wirklich eine Ohrfeige verpassen will, hält er geistesgegenwärtig meine Hand fest und lässt sie nicht mehr los. Ich will mich wehren, schreie ihn an, breche dabei in Tränen aus und liege schließlich heulend in seinen Armen, während er mir in einer festen Umarmung über den Kopf streichelt. "Jetzt sag schon", flüstert er und streicht mir sanft eine Haarsträhne aus der Stirn. "Musst du nicht arbeiten?", grummele ich ungnädig, "Was ist mit deinem Hoe Office? Zeit ist Geld, verschwende sie lieber nicht!" Er knufft mich zärtlich gegen die Schulter und verzieht den Mund zu diesem schmierigen Grinsen, das Roman mal als sein zuckersüßestes Lächeln bezeichnet hat.
Mir wird speiübel, obwohl es gar nicht am Morgen ist, aber ich schlucke tapfer und lasse mich mit einem Seufzen gegen seine Schulter sinken. "Du solltest eigentlich nicht der Erste sein, der es erfährt", nuschele ich leise, "Aber ich danke dir, dass du mir keine andere Wahl lässt." Adrian grinst triumphierend, "Sieht du, geht doch. Also was ist passiert? Wenn dich diese blöde Trulla jetzt doch aus dem Laden geekelt hat, schicken wir ihr einen Schuhkarton voll Kakerlaken!" Gegen meinen Willen muss ich lachen. "Nein, so schlimm ist es dann doch nicht", ich hole tief Luft, dann schaue ich kurz in Adrians Augen, kann aber seinem neugierigen Blick nicht standhalten. Stattdessen mustere ich meine Fingernägel und erwähne fast beiläufig, "Das mit meinen Erdbeertagen ist ein gutes Stichwort, aber du liegst vollkommen falsch. Die hatte ich nämlich schon erschreckend lange nicht mehr."
Noch während ich mich auf Verwirrung und Aufklärung gefasst mache, starrt Adrian mich einige Momente lang unverwandt an. Statt einem großen Fragezeichen kann ich kurz den Schock in seinen Augen ablesen, dann strahlt er über das ganze Gesicht. "Dein Ernst?", fragt er nur. Ich weiche seinem Blick aus und er zieht mich in eine festere Umarmung. "Wie lange nicht mehr?", erkundigt er sich dann, lässt mich erschrocken los und mustert interessiert meinen Bauch. Ich bin der festen Überzeugung, dass es noch nicht lang genug her sein kann, dass man wirklich etwas anderes sieht als meine Heißhungerattacken und rette meine Speckröllchen vor seinen liebevoll tatschenden Fingern, indem ich ihm einen Klaps auf die Hände gebe. "Schluss jetzt, du bist ja ein richtiger Helikopter-Onkel!", zische ich ihm zu, dann müssen wir beide lachen, wobei mir wieder die Tränen in die Augen steigen.
"Was denkst du?", flüstere ich schließlich leise und starre resigniert Löcher in die Luft, "Ist ein ungeplantes Baby ein Trennungsgrund?" Adrian beißt sich auf die Unterlippe, als würde ihn diese Frage in Verlegenheit bringen. Einen Moment lang stelle ich mein ganzes Leben infrage, dann fliegt die Tür zum Wohnzimmer auf und herein stürmen jauchzend zwei kleine blonde Mädchen mit kunterbunten Badeanzügen, gefolgt von einem ebenso blonden Mann samt Sonnenbrand im Gesicht. In einem tropfnassem Hemd, in der einen Hand eine Wasserpistole und unter dem anderen Arm ein aufblasbarer Ball, schafft er es trotzdem, zwei Eis am Stiel aus dem Gefrierfach zu nehmen, sie den strahlenden Mädels in die Finger und schnell noch beiden einen Kuss auf die Stirn zu drücken, ehe sie wieder nach draußen springen. "Möchtet ihr auch ein Eis?", fragt er uns mit einem strahlenden Lächeln, das nicht nur von einem Ohr bis zum anderen reicht, sondern auch seine Augen freudig funkeln lässt.
Kurze Zeit später knabbere ich meine Eiswaffel und weiß nicht ganz, ob ich lachen oder weinen soll. "Falls deine Frage noch nicht hinreichend beantwortet ist", Adrian zwinkert mir verschwörerisch zu, während er sich vom Sofa bequemt, "Ich schau mal nach den drei Rabauken da draußen und lasse euch kurz allein." Edward schleppt ein Tablett mit drei Tassen Kaffee und einer einsamen Tasse Tee an, Adrian verschwindet zu Roman und den Kindern in den Garten. Ich schnappe mir das Tablett, stelle es achtlos auf den Tisch und ziehe meinen Mann in einen innigen Kuss. Vielleicht sind meine Zweifel doch unbegründet, denke ich mir kurze Zeit später, als ich ein vor Freudentränen schluchzendes Häufchen dreifacher Vater in den Armen halte. Für eine Babyparty ist es trotzdem aber eindeutig noch zu früh.