Nach dem Prompt "Magische Worte" vom 26.02.2020
Geschrieben am 01.12.2020 von 03:30 bis 04:30 Uhr
Anschließend aufgrund von Überlänge noch beendet
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ROMAN
Es klingelt frühmorgens an der Tür. Sofort bin ich hellwach, ausnahmsweise, denn ich habe die ganze Nacht schon sehnsüchtig davon geträumt. Hastig springe ich auf und verheddere mich dabei mit den Füßen in der Bettdecke, um den Teppich zu knutschen. Adrian lacht mich aus, ich rappele mich nach meiner Bekanntschaft mit dem Fußboden wieder auf die Beine. Bevor ich beleidigt einen Schmollmund ziehen und ihn beleidigt zur Rede stellen kann, fällt mir wieder der Grund für meine Hektik ein und ich sprinte glücklicherweise ohne weitere Zwischenfälle die Treppe hinunter. Freudestrahlend reiße ich die Tür auf- davor steht nicht wie in meinem Traum endlich der Paketbote, sondern die bittere Realität in Form von zwei Kindern und dem zugehörigen Vater. "Roman!", begrüßen mich zwei Kinderstimmchen fröhlich wie aus einem Mund. Wieso zur Hölle denkt nicht einmal der Erziehungsberechtigte in diesem Trio Infernale an einen Schlüssel? Jetzt bin ich beleidigt. Kein Paket. Kein neues Handy. Ich knalle ihnen wortlos die Tür wieder vor der Nase zu.
"Roman?" Ein schüchternes Stimmchen lässt mich von meinem Notebook aufblicken. Es war eine ganz und gar dämliche Idee, mich statt im Büro auf dem Sofa zum Arbeiten breit zu machen. Ein kleines Mädchen steht neben mir und zuppelt an meinem Hemdärmel, während ich gerade immer noch sehr beschäftigt bin. "Spielst du mit mir Pony?", bettelt sie. "Vielleicht später", brumme ich geistesabwesend. "Lass mich erst mal in Ruhe hier fertig arbeiten." Elaine schaut mich ihrem zuckersüßen Dackelblick an. "Nur ganz kurz?", versucht sie auszuhandeln. "Nein", murre ich. "Lass mich in Ruhe! Ich warte noch auf ein Päckchen." Kurze Zeit herrscht Stille, ich höre förmlich, wie sich die Rädchen in ihrem kleinen blonden Kopf drehen. "Wieso brauchst du dafür deine Ruhe? Wenn man spielt, vergeht die Zeit doch viel schneller!" Dann eine kurze Pause. "Geh ich dir auf die Nerven? Soll ich dich wirklich in Ruhe lassen?", fragt sie grinsend. An der Sache ist doch etwas faul! "Mhm", grummele ich zustimmend und habe ihr damit wohl die perfekte Vorlage geliefert. "Wie heißt dafür das Zauberwort?", quietscht Elaine nämlich fröhlich. Ich sehe den Triumph in ihren Augen, wahrscheinlich ist sie stolz wie Bolle, dass sie diese Frage zum ersten Mal in ihrem Leben selbst stellen kann und nicht nur beantworten soll. Ich schnaube verächtlich. "Ach, geh schaukeln", murre ich genervt, aber sie packt mich am Handgelenk und rüttelt ungeduldig daran. "Nein", belehrt sie mich altklug, "Ich meine das, wo zweimal ein T drin vorkommt!" Ein bisschen gehässig bin ich ja schon, aber ich kann es mir nicht verkneifen. "Aber flott?", frage ich also scheinheilig. Elaine kugelt mir fast den Arm aus, ich bin mir nicht ganz sicher, was sie damit bezweckt, daran zu ziehen wie eine Blöde. Als wäre ich ein Bäumchen und sie müsste nur am Ast schütteln, damit statt eines Apfels endlich das von ihr erwünschte Zauberwort hinunterpurzelte. "Nehein! Nur ein einziges Wort", beschwert sie sich schmollend, "Hat dir dein Papa das nicht beigebracht? Bitte heißt es, wenn man etwas möchte. Und danke, wenn man es bekommt!" Ich seufze ergeben und lasse mich zu einem Abenteuer mit Pinkypony und ihren Gefährtinnen überreden.
Emily gesellt sich zu uns. "Was ist eigentlich in deinem Päckchen drin?", stellt sie mich argwöhnisch zur Rede. Das rosarote Ponypferd schaut sie entrüstet an und flüstert mit meiner Stimme, "Wer weiß, wer weiß... Vielleicht ist es gar nicht für mich?" Elaine bekommt große Augen und kreischt wie die Frau aus der Zalando-Werbung, "Ein Geschenk? Für uns?" Emily verdreht die Augen. Dass die beiden jedes Wochenende gefühlt drei Meter wachsen, habe ich mittlerweile akzeptiert, doch gerade heute fällt mir extrem auf, dass sie offensichtlich schon in einem fast pubertären Rebellionszustand ist, den sie eigentlich erst in ein paar Jahren erreichen sollte. Denke ich. Hoffe ich! Ich muss Edgar unbedingt nochmal heimlich fragen, wie alt genau die beiden jetzt sind, bevor ich mich vor den Gören als vergesslich bloßstelle. "Nein", raunze ich dem kleinen Mädchen zu, während der zu kurz geratene, neunmalkluge Teenager tadelnd den Kopf schüttelt. "Du könntest dir ruhig neue Socken bestellen", belehrt sie mich. "Deine linke hat immer noch ein Loch." Elaine schaut begeistert auf den Boden und jubelt, "Und der große Zeh schaut raus!" Johlen, Lachen, Gröhlen, ich verstehe die Pointe nicht ganz, aber da tönt schon Barbaras Stimme aus dem Wohnzimmer. "Könnt ihr bitte ein bisschen leiser schreien?", brüllt sie gegen die Geräuschkulisse an und lässt den Tumult verstummen. Ich schaue in zwei betretene Gesichter. Elaine schaut ein bisschen unglücklich drein. Emily verschränkt die Arme vor der Brust und erklärt mir ganz sachlich, "Weißt du, sie hat uns eigentlich gar nichts zu sagen. Sie ist nämlich nicht unsere Mutter!" Ich schweige, da will ich mich nun wirklich nicht einmischen. Trotzdem werde ich nun Zeuge eines wohl schon länger schwelenden Unmutes und bin nun entweder vertrauenswürdiger Eingeweihter oder werde endlich auch als Teil der nächsten Generation Quälgeister akzeptiert. Ausgerechnet ich bekomme also nun mit, was diese beiden kleinen Damen zu sagen haben. "Aber Papa hat versprochen, dass er uns immer mehr lieb haben wird", versucht Elaine ihre große Schwester zu beruhigen. "Sogar immer zweimal mehr! Selbst wenn er sie also irgendwann doch ein bisschen lieber hat, sind es dann nochmal zweimal mehr und egal wie lange das so weiter geht, da kommen jedes Mal immer noch zweimal mehr drauf." Emily ist nicht so leicht zu besänftigen. Sie seufzt und starrt ein paar Momente lang auf den Boden, dann setzt sie sich neben mich aufs Sofa und schaut mich ernst an. "Roman?", fragt sie. "Jaaa?", mache ich aufmerksam, nachdem ich merke, dass das kein rhetorischer Satzbeginn war, sondern sie wirklich auf eine Antwort wartet. Doch noch kein Teenager. Gott sei Dank!
"Weißt du was noch viel schlimmer ist, als etwas zu bestellen und es dann nicht zu bekommen?", fragt sie leise. Ich verschlucke mich fast an meiner Zunge und wünsche mir, im nächsten Augenblick tot umzufallen, damit ich diese Frage in diesem Zusammenhang nicht beantworten muss. Sie wird es mir sicherlich trotzdem erzählen. Tut sie nicht, aber mir fällt schnell ein, was sie von mir erwartet. "Nein, was denn?", gehorche ich also brav den Regeln der Kommunikation. Elaine stampft mit dem Fuß auf den Boden und empört sich, noch bevor Emily zu Wort kommt, "Wenn man Pony spielen will, aber alle immer nur reden und reden und reden!" Ich versuche, mich in zwei zu teilen, aber wir einigen uns auf einen Kompromiss. Elaine klettert hinter mich und spielt Pferderennen auf meinem Rücken, Emily rückt schließlich aufgebracht mit der Sprache heraus: "Wenn man etwas bekommt, was man gar nicht bestellt hat!" Mir wird ganz anders. Ich kann erahnen, welchen Umstand sie damit umschreiben möchte und mir wird ganz anders. Ich stöhne leidend auf. Nicht nur, weil Elaine mir gerade Plastikhufe zwischen die Rippen rammt, weil es ein Springturniert ist, sondern vor allem, weil ich gerade nicht in meiner eigenen Haut stecken will. Wieso soll ich mich damit auseinandersetzen, was meine Exfrau und ihr beeindruckend reproduktiver Lebensgefährte da verbockt haben? "Wollt ihr denn kein kleines süßes Geschwisterlein, das mit euch spielen kann?", frage ich händeringend. "Nein!", teilen mir beide wie aus einem Mund sehr entschlossen und einstimmig mit. Elaine fügt noch hinzu, "Ich hätte lieber ein Pony. Also ein echtes natürlich!"
Mit einem leidvollen Seufzen lasse ich mich auf dem Sofapolster nach hinten fallen und breite die Arme aus. Ich bin hierfür nicht zuständig. Ich kann nichts dafür! Die Mädels aber kuscheln sich rechts und links in meine Armbeugen und irgendwie erreicht es mich nicht mehr ganz, dass sie nicht einmal im Spiel und nicht einmal ein ganz kleines Bisschen meine Töchter sind. "Hört mal zu, ihr beiden", beginne ich ernst, aber so sanft wie möglich. "Das Leben ist kein Ponyhof, auch wenn wir das manchmal vergessen, wenn alles Spaß macht. Veränderungen sind normal und gehören dazu!" Die beiden heben die Köpfe und werfen einander kritische Blicke zu, als hätten sie ihr Urteil über den Unsinn, den ich da gerade quatsche, längst gefällt und würden nur bleiben, damit ich nicht in Tränen ausbreche. Emily dreht mit dem Zeigefinger Kreise an ihrer Schläfe. Elaine nickt heftig und macht eine Wischbewegung vor ihrer Stirn. Vielleicht muss ich das alles anders formulieren. Ob mir Ed mal das Handbuch für den Umgang mit solchen Gören leihen kann? "Na gut, anders", beginne ich von vorn. "Es ist das natürlichste auf der Welt! Wenn zwei Menschen sich wirklich lieb haben-" Emily unterbricht mich, indem sie mir grob die Hand vor den Mund schlägt. "Pscht!", macht sie zornig. "Elaine ist noch zu klein für sowas." "Bin ich nicht", empört sich diese, lässt dann aber mutlos den Kopf sinken. "Aber ich will nicht, dass sich zwei Menschen so lieb haben, dass sie sich ein kleines Baby anschaffen, das sie dann zusammen lieb haben wollen", erklärt sie verdrossen und rechnet angestrengt mit ihren kleinen Fingerchen. "Weil schau. Eine einfache Rechenaufgabe!", sie deutet mit der einen auf die andere Hand, an der sie abzählt. "Wenn Papa uns lieb hat, dann sind wir zwei. Also zwei Kinder, Papa ist nämlich gar kein Kind mehr. Wenn er Barbara aber auch noch lieb hat, sind wir drei und aber er hat uns noch zweimal mehr lieb. Aber jetzt schau, wenn Papa das neue Baby auch lieb hat, dann ist immer zweimal mehr gar nicht mehr so richtig viel, weil eins und zwei gibt fast doppelt mal zwei und wenn Barbara das Baby auch lieb hat, dann ist es nicht mehr zweimal mehr, sondern eins und drei macht- keine Ahnung, ich hab noch kein Rechnen im Kindergarten, aber es ist weniger und deswegen gleich ganz- Also ich meine ganz, ganz-", sie schaut konzentriert auf ihren kleinen Finger, stockt und lässt die Hände sinken. "Ganz doof!", beendet sie ihren Satz traurig.
Es klingelt an der Tür. "Pony!", schreit Elaine und springt auf, "Endlich kommt das Pony, das Roman für uns bestellt hat!" So entstehen Gerüchte, denke ich noch im Stillen, dann veranstalten wir ein wahres Wettrennen bis zur Haustür. Kichernd und lachend kommen die beiden Mädchen vor mir an und öffnen dem schockierten Paketdienstmitarbeiter. "Da passt kein Pony rein", stellt Emily kritisch fest, als sie die Verpackung von meinem nigelnagelneuen Geschäftshandy erblickt. "Vielleicht ja ein ganz kleines?", fragt Elaine hoffnungsvoll. "Hier, bitte schön", stammelt der Postbeamte. Ich nehme das Päckchen entgegen, danke freundlich und erkläre den mit meinen guten Manieren samt allen erdenklichen Zauberwörtern zufriedenen Mädels, dass darin mein neues Telefon ist. "Was? Nur ein Telefon statt einem Pony?", wiederholt Elaine fast angewidert und schüttelt seufzend den Kopf. "Pfff. Wie langweilig. Dann doch lieber noch ein kleines Geschwisterchen!" Kurze Zeit später spielen die beiden Reiterhof auf meinem Bauch, während ich das Smartphone ordnungsgemäß einrichte. Ich schreibe mir eine mentale Notiz, selbst eine Gebrauchsanweisung für Kinder zu verfassen und sie dem Vater der beiden zu Weihnachten zu schenken. Nur falls er noch nicht mitbekommen hat, wie sowas geht und weil ich das alles wahnsinnig gut im Griff habe.