Siobhan mochte kein Training. Zumindest nicht mit Zuschauern. Die halbdurchsichtigen Wände des Trainingsbereiches boten keine Privatsphäre vor den neugierigen Blicken der anderen Dämonenjäger. Aber der Lightwood hatte darauf bestanden, dass sie wie die anderen am Training teilnahm. Wahrscheinlich, um sie zu testen, sie zu analysieren. Was auch immer. Es war eine äußerst unglückliche Fügung, dass sie ausgerechnet Schattenjägern in die Arme gestolpert war. Sie hatte gar keine Zeit gehabt zu planen oder sich zu orientieren.
»Wann hast du das letzte Mal trainiert?«, riss Isabelle zu aus ihren Gedanken. »Wir können ganz langsam beginnen, wenn du möchtest. Was ist deine Waffe?«
Siobhan sah zum Waffenständer. Keine der Waffen dort würde sie als ihre Waffe bezeichnen. Doch ihr Blick fiel auf die kurzen Kampfstöcke. Sie erinnerte sich an die unermüdliche Härte ihres Vaters, der sie gelehrt hatte, sich damit zu verteidigen. Nicht selten war sie trotzdem mit ein oder zwei gebrochenen Rippen aus dem Training gegangen.
Isabelle ging zur gegenüberliegenden Wand und nahm einen der langen Kampfstöcke von der Halterung. Es war ein leichter Übungsstab. Nichts, womit man sich ernsthaft verletzen konnte. Sie warf Siobhan den Stock zu. Sie hatte erwartet, dass sie ihn nicht fangen würde. Doch sie zeigte die Reflexe einer Nephilim. Nun ja … beinahe, denn gleich darauf fiel er ihr aus der Hand.
Siobhan hob ihn auf. »Ich dachte, er wäre schwerer.« Zu ihrer Zeit waren sie tatsächlich sehr viel schwerer.
»Schon gut«, sagte Isabelle und nahm sich ebenfalls einen der Stöcke. Sie grinste frech, drehte den Stock mehrere Male in der Hand und brachte sich so in Kampfhaltung. »Also los. Greif mich an, Branwell.«
Siobhan näherte sich Isabelle, machte jedoch keine Anstalten, sie anzugreifen. Isabelle konnte sehen, dass Siobhan sehr wohl wusste, wie man diesen Stock hielt, also beschloss sie, den ersten Schritt zu machen. Isabelles erster Schlag ging ins Leere. Erstaunt blickte sie zur kleinen Britin, die dort stand, als hätte sie sich keinen Zentimeter bewegt, und die sie immer noch mit großen Augen anblickte, als würde sie auf den ersten Schlag warten.
»Okay. Gar nicht schlecht«, gab Isabelle zu und holte zu einem zweiten Angriff aus. Diesmal war es eine schnelle Folge von mehreren Schlägen. Nur ein einziger davon traf Siobhans Stab, alle anderen gingen ins Leere. Isabelle hob anerkennend die Augenbrauen. »Du bist verdammt schnell, Branwell.« Erneut ließ sie eine Salve Schläge auf Siobhan niederprasseln. Und diesmal hielt sie sich auch nicht mehr zurück.
Doch Siobhan parierte jeden ihrer Schläge. Geradezu mühelos.
Inzwischen waren auch Jace, Clary und Jonathan im Trainingsraum eingetroffen und beobachteten Isabelles Versuche, die neue Schattenjägerin wenigstens ein einziges Mal zu treffen. Es wäre nur ein Schlag in die Kniekehlen nötig, um Siobhan zu Fall zu bringen, doch egal, wie sehr Isabelle sich abmühte. Siobhans Verteidigung war undurchdringbar. Und das ohne eine Schnelligkeits- oder Geschicklichkeitsrune.
Clary sah erstaunt zu Jace.
Jace hingegen schien unbeeindruckt. »Sie ist schnell, na und? Bisher hat sie noch kein einziges Mal angegriffen. Ist ja nicht so, als würde ein Dämon sich nur wegen ihres hübschen Gesichts in Luft auflösen.«
Jonathan und Clary sahen Jace mit der gleichen Mischung aus Überraschung und Unbehagen an.
»Also, was ich sagen will«, versuchte Jace, seine Worte etwas abzuschwächen. »Wenn wir sie so einer Gefahr aussetzen, sollte sie kämpfen können. Bisher sehe ich nur einen Schatten, aber keinen Jäger.«
Er sagte es, ging zum Waffenständer, nahm sich eines der Schwerter und gab Isabelle mit einem Blick zu verstehen, dass er jetzt übernahm. Isabelle nickte und räumte das Feld.
Siobhan beäugte Jace misstrauisch.
Einer seiner Mundwinkel zuckte kurz, bevor er zuschlug. Die Wucht des Aufschlags war so heftig, dass ihr Stock in der Mitte zerbrach, und beide Enden noch kurz in Siobhans Händen vibrierten. Jace trat wieder einen Schritt zurück, neigte seinen Kopf leicht zur Seite und grinste sie selbstgefällig an. »Komm schon, greif mich an.«
»Sie hat keine Chance gegen ihn«, sagte Clary leise.
Jonathan war sich da nicht so sicher. Er beobachtete jede von Siobhans Bewegungen. In ihrem Gesicht war nicht viel zu lesen, doch er ahnte, was hinter diesen klugen, blassblauen Augen schlummerte. Und es gefiel ihm.
Zunehmend.
Da Siobhan immer noch keine Anstalten machte, Jace anzugreifen, attackierte er sie erneut. Diesmal erwischte er sie am Oberarm.
Isabelle hielt kurz die Luft an. Siobhan schien selbst etwas erstaunt über den blutenden Schnitt an ihrem Arm. Im selben Moment holte Jace erneut aus, doch bevor sein Schwert auch nur in ihre Nähe kam, spürte er zwei, drei, vier heftige Schläge gegen seinen Oberkörper. Das passierte so schnell, dass er kurz die Orientierung verlor. Vielleicht war es auch wegen des lähmenden Schmerzes, der sich gerade durch jede Faser seines Körpers fraß. Nicht zu vergessen, die Atemnot.
Sternum, Milz, Leber, Nieren – wie konnte er nur diese einfache Lektion vergessen. Wenn der Gegner dir an Stärke und Größe überlegen ist, musst du äußerst präzise sein und dafür sorgen, dass du nicht in einen langen Kampf verwickelt wirst, sondern den Gegner stattdessen schnell und überraschend ausschaltest. Genau das hatte sie gerade getan.
Jace wand sich am Boden. Siobhan stand mit schuldbewusster Miene über ihm. Isabelle lachte hinter vorgehaltener Hand, Clary biss sich amüsiert auf die Unterlippe und Jonathan lächelte verschlagen. Sein Blick fiel auf den blutenden Schnitt an Siobhans rechtem Arm. Er ging zu ihr und untersuchte die Wunde. Der Schnitt war nicht tief. Jace hatte sich zurückgehalten. Hätte er das nicht getan, hätte sie ihren Arm verloren. In einem echten Kampf wäre das Ganze sicher anders ausgegangen.
Siobhan bemerkte Jonathans besorgten Blick auf ihre Wunde. »Ist halb so wild«, sagte sie.
Jace hatte sich allmählich wieder beisammen und nickte Siobhan anerkennend zu. »Na, geht doch.«
Allerdings wusste auch er, in einem echten Kampf wäre es gar nicht so weit gekommen. Als er an Isabelle vorbeiging, sagte er leise: »Dort draußen ist sie Dämonenfutter. Wir müssen uns vielleicht etwas anderes überlegen.«
Isabelle nickte und sah nun genauso besorgt zu Siobhan.
Jonathan nahm seine Stele, um ihre Verletzung zu heilen. Dafür musste er ihr jedoch erst einmal wieder eine Heilrune auf ihren Körper zeichnen.
»Darf ich?«, fragte er höflich.
Sie nickte und verlor sich kurz in seinem sanften Lächeln.
Er entschied sich für runenfreie Seite ihres Halses. Als er begann, merkte er, wie sie die Zähne zusammenbiss und sich plötzlich mit schmerzverzerrter Miene an sein Shirt krallte. Es schien sie mehr zu schmerzen, als es sollte. Schlimmer noch. Das, was er tat, hinterließ eine üble Verbrennung. Aber keine Rune.
Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte den Raum und erregte jetzt auch die Aufmerksamkeit der anderen.
»Was zur Hölle …«, raunte Jonathan und sah Siobhan befremdet an.
Jace, Clary und Isabelle starrten ebenfalls auf die Brandwunde an Siobhans Hals. Plötzlich wurde Siobhan aschfahl. Jonathan konnte sie gerade noch auffangen, kurz bevor sie das Bewusstsein verlor.
Alle sahen sich erschrocken an. Keiner konnte sich erklären, was hier gerade geschehen war. Isabelle war die Erste, die ihre Fassung wiedererlangte.
»Sebastian, bring sie zur Krankenstation. Ich … wir …«, sie verstummte und sah hilflos zu Jace.
Jonathan nickte.
Jace bemerkte ihren hilflosen Blick. »Sieh nicht mich an, Izzy, ich weiß auch nicht, was hier los ist.«
»Vielleicht ist sie kein Shadowhunter mehr?«, grübelte Clary.
»Eine Irdische ist sie aber auch nicht, sonst wäre das Ganze viel übler ausgegangen«, sagte Isabelle.
»Was ist sie dann?«
»Woher soll ich das wissen?«, antwortete Jace schroff, strich sich die Haare nach hinten und stampfte zur Tür raus.
ᛟ
Siobhan war bereits wieder bei Bewusstsein, als Jace auf der Krankenstation eintraf. Sie saß auf der Behandlungsliege und wurde von einer Schwester mit Wundpflastern versorgt. Eines für ihren Hals und eines für ihren Oberarm. Jace blickte sich suchend nach Sebastian um, doch außer der Schwester, Siobhan und dem Arzt war niemand anwesend. Er fand das merkwürdig, da er den Eindruck hatte, dass Sebastian ein gewisses Interesse an Branwell gezeigt hatte.
»Das sind keine ernsthaften Verletzungen«, sagte der Arzt. »Es wird schnell heilen.«
»Wird es?«, zweifelte Jace.
»Nun«, der Arzt deutete Jace näherzukommen, ließ die Schwester das Mullpflaster an Siobhans Hals anheben und sagte: »Das ist eine schwerwiegende Verbrennung dritten Grades gewesen. So etwas benötigt Wochen, manchmal Monate, um abzuheilen. Und auch dann bleiben Narben zurück.«
Jace trat näher und betrachtet die Brandwunde genauer. »So schlimm sieht das gar nicht aus.«
»Eben«, antwortete der Arzt und ließ den Verband wieder schließen. »In ihrem Fall, wird in ein bis zwei Tagen nichts mehr davon zu sehen sein.«
»Hm«, machte Jace und sah Siobhan ratlos an. »Ich nehme an, du hast keine Erklärung für deine Runen-Allergie, Branwell?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber?«, fragte er.
»Vielleicht …«, sagte sie und sprang von der Liege, »… bin ich einfach kein Shadowhunter mehr.« Sie ging zu dem Spiegel an der Wand und betrachtete die Schattenrune an ihrem Hals. Sie fand diese Erklärung so gut wie jede andere. »Ich war in einer Höllendimension gefangen. Gebunden an einen Dämon. Vielleicht wollen die Engel nicht mehr, dass ich ihre Kräfte benutze.«
Siobhan wandte sich ihm wieder zu und sah in das verärgerte Gesicht von Jace. Er stand dort mit verschränkten Armen und knurrte sie regelrecht an. »Bullshit.«
»Wie bitte?«
»Das ist Schwachsinn. Warum sollten sie dich dafür bestrafen, dass du deine Leute vor einem beschissenen Erzdämon gerettet hast?«
Sie hob kurz die Schultern. »Keine Ahnung? Der Zweck heiligt wohl doch nicht alle Mittel, oder so.«
»Das ist Bullshit. Magnus muss das in Ordnung bringen. Ich gehe auf keinen Fall mit jemandem auf die Jagd, der weder kämpfen noch sich mit Iratze heilen kann. Du kannst dich ja nicht einmal mehr vor den Irdischen verbergen.«
»Aber ich bin die Einzige, die weiß, wie Beleth aussieht«, widersprach sie ihm. »Außerdem heile ich doch.«
»Das reicht mir nicht.«
Sebastian und Alec standen plötzlich im Krankenzimmer.
»Du weißt, wie Beleth aussieht?«, fragte Alec ungläubig. »Aber er ist ein Dämon, er kann jede Gestalt annehmen. Wie willst du da …?«
»Er ist anders«, unterbrach sie.
»Inwiefern?«
»Er manifestiert sich ausschließlich in zwei Formen. Entweder im Angesicht seines früheren Selbst – dem Engel Bethiel oder in der Form seines jetzigen Selbst – dem Dämon Beleth.«
»Und du kennst beide«, schlussfolgerte Alec.
Sie nickte.
Jace rieb sich das Kinn. »Bist du sicher? Für mich sehen alle Dämonen gleich aus.«
»Für mich nicht«, sagte sie.
Jonathan hob überrascht seinen Kopf und ein kaum merkliches Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Okay«, sagte Alec. Wir bleiben bei unserem Plan. »Sie geht mit. Ob nun mit oder ohne Runen.«
»Alec!«, wollte Jace dem gerade widersprechen, doch der hob die Hand und sagte mit ernster Miene: »Jace, wir haben keine Wahl und wir haben keine Zeit, uns etwas anderes auszudenken. Wir müssen schnell handeln. Wenn Beleth sich erst einmal hinter seinen Legionen versteckt, haben wir keine Chance mehr an ihn heranzukommen.«
Jonathan sah zu Siobhan. »Was wir ihm antun, betrifft vielleicht auch sie«, sagte er. Zum ersten Mal konnte er in ihren Augen etwas lesen. Angst. Wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.
Alec verneinte kopfschüttelnd. »Magnus sagte, ihre Schattenrune sei inaktiv. Er spürte keinerlei Verbindung.«
»Vielleicht. Aber was ist mit Edom?«
Alec sah ihn fragend an.
»Es könnte doch sein, dass diese Rune durch Höllenfeuer aktiviert wird. Und sobald Beleth in der Hölle ist, egal für wie lange ...«
»Zieht es Branwell mit in den Abgrund«, beendete Alec den Satz.
»Wollen wir uns wirklich auf diese Art Zeit verschaffen?«, fragte Jonathan.
Alec seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
Plötzlich entfachte eine aufgebrachte Diskussion darüber, was eventuell passieren könnte oder würde und wieso man es trotzdem riskieren sollte oder nicht.
Siobhan fühlte, wie aus anfänglichem Ärger, Wut wurde. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Handflächen und das heftige Pochen hinter ihren Schläfen erklärte den ebenso steigenden Druck hinter ihren Augen. Nicht einer von denen kam auf die Idee, sie zu fragen. Stattdessen behandelte sie hier jeder wie ein Kind, nannte sie Kleines oder ignorierte den Fakt, dass Siobhan ihn schon einmal besiegt hatte.
»Ich hätte da eine Idee«, sagte sie leise. Zu leise.
Niemand beachtete sie.
»For fucks sake!«, brüllte sie.
ᛟ
Beleth betrat die Bar des Vergessens und blieb im Eingang stehen. Dieser Ort war zu jeder Tageszeit gut gefüllt. Was daran lag, dass sich hier alles herumtrieb, was keinen anderen Ort sein Zuhause nennen konnte. Sollte sich hier tatsächlich mal ein Irdischer hineinverirren, war es unwahrscheinlich, dass er lange genug lebte, um ›Hallo!‹ zu sagen.
Beleth spürte zahlreiche Blicke von abtrünnigen Unterweltlern und – wenn er sich nicht täuschte – auch den, des ein oder anderen Dämons auf sich gerichtet. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. Die Rune an seinem Hals schien den falschen Eindruck zu vermitteln. Die Frau hinter der Bar, eine hübsche Seelie, musterte ihn und rief: »Falsche Bar, Shadowhunter!«
Er lachte leise und trat näher. »Gin Tonic. Viel Gin, wenig Tonic.«
Sie lächelte abfällig und stützte sich mit ausgestreckten Armen auf den Tresen. »Hör zu, Süßer. Nimm deinen attraktiven Arsch von meinem Barhocker. Die fressen dich lebendigen Leibes, wenn du nicht sofort die Fliege machst, Shadowhunter.«
»Die Fliege machen«, wiederholte er und lachte wieder leise. »Was für eine interessante Idee. Wie ist dein Name, Seelie?«
»Arya«, antwortete sie, ohne es zu wollen.
»Arya«, wiederholte er leise. Er genoss das langsam steigende Entsetzen in ihrem Gesicht, als sie begriff, dass sie hilflos seinem Willen ausgesetzt war. »Was ist jetzt mit meinem Gin-Tonic?«
Sie konnte nichts dagegen tun, dass sich ihre Hände daran machten, zur Gin-Flasche zu greifen …
»Den guten, nicht den billigen Fusel«, ergänzte er.
… zur Flasche mit dem teuren Gin zu greifen, ihn in ein Glas zu gießen, mit Tonicwasser aufzufüllen und auf den Tresen zu stellen.
»Vielen Dank, Arya. Das hast du gut gemacht. Vielleicht werde ich dich nicht töten.«
Aryas Hände zitterten.
Beleth lächelte zufrieden, stand wieder auf, und sagte nun laut in den Raum: »Ich suche jemanden.« Er hob seine Hand auf Kinnhöhe. »Etwa so groß, hinreißend silberblaue Augen, britischer Akzent, etwas störrisch und zuweilen ziemlich gemein. Ach ja, und sie hat auch so etwas.« Er tippte auf die Rune an seinem Hals und studierte die Gesichter der Anwesenden. Außer starrer Angst konnte er darin jedoch nichts entdecken. »Ach, kommt schon, Leute. Die Kleine ist so auffällig wie ein roter Luftballon über einem Taliban-Versteck in der afghanischen Wüste.«
Immer noch Schweigen. Keiner der Anwesenden rührte sich. Nicht, dass sie das gekonnt hätten. Beleth schlenderte entspannt durch den Raum und seufzte: »Schade. Wirklich schade.« Er wandte sich wieder zu Arya, der eine Schweißperle die Schläfe hinunterlief. »Möchtest du noch etwas zu sagen, bevor wir beginnen? Soll ich die Fliege machen?«
Selbst, wenn sie gewollt hätte, wäre das nicht möglich gewesen.
»Ach ja«, sagt er, klatschte sich mit der flachen Hand an die Stirn und bewegte dann seinen Zeigefinger kurz in der Luft. Diese absichtlich übertriebene Geste eines drittklassigen Hinterhofmagiers war purer Spott.
»So, jetzt darfst du reden, Seelie.«
»Was bist du?«, brachte Arya mühsam zwischen klappernden Zähnen hervor. Ihr Körper bebte vor unheilvoller Anspannung.
Er lächelte freundlich und machte mit der Hand eine beiläufige Geste. »Ach, ich bin nur ein sentimentaler Narr. Und ein wenig wütend.« Er verstummte und schien zu grübeln. »Sonst nichts. Zumindest nichts, was dich etwas angeht.« Unvermittelt löste Beleth sich in einen Schwarm Fliegen auf und manifestierte sich vor einem der Anwesenden, um ihm wortlos die Gedärme aus dem Leib zu reißen.
Dieses Spiel wiederholte er, bis es niemanden mehr gab, der nicht entweder geköpft, zerfetzt oder aufgespießt war. All das, bekam Arya nur gedämpft mit, reglos musste sie alles mit ansehen. Obwohl ihr Körper danach schrie, die Flucht zu ergreifen. Es war eine Sinfonie des Grauens aus Blut, Hirn und Eingeweiden. Das Schlimmste daran war jedoch die Stille.
Da waren keine Schreie oder Gebettel um Gnade. Dafür ging das alles zu schnell. Nur das Reißen von Haut, das Klatschen von herausfallendem, dampfendem Gedärm auf blankem Boden, das Knirschen und Knacken von Knochen.
Arya kämpfte mit heftigen Würgereiz. Doch nicht einmal kotzen konnte sie. Plötzlich stand er wieder vor ihr, wischte sich mit einem weißen Taschentuch Blut von den Händen und sogar ein paar Spritzer aus ihrem Gesicht. Dann setzte er wieder dieses unheilvoll freundliche Lächeln auf und raunte in ihr Ohr: »Ich habe die Fliege gemacht, wie du wolltest. Ach, und sag ihnen, ich werde das von nun an in jeder Bar dieser Stadt machen. Solange, bis sie mir geben, was ich will. Ich weiß, dass sie sie vor mir verstecken. Und das macht mich ein ganz klein wenig wütend. Ich muss mit ihr reden, weißt du? Sie hat immer sehr gern mit mir geredet. Nicht zu Beginn. Aber am Ende schon.« Sein Blick ging für einen Moment gespielt verträumt ins Leere. »Und wie wir zwei geredet haben. Oh, sehr intensive Gespräche haben wir geführt. Falls du verstehst?« Er wackelte kurz zweideutig mit den Augenbrauen, lachte kurz und dann veränderte sich sein Blick schlagartig.
Noch nie hatte Arya so etwas Kaltes und Furchterregendes gespürt, wie in diesem Moment. »Also, sag ihnen das!« Bevor sie darauf reagieren konnte, löste Beleth sich in einen flatternden Schwarm Nachtfalter auf und verschwand durch die geöffnete Luke über dem Fenster.
Stille.
Stille und bestialischer Gestank füllten den eben noch geselligen, feuchtfröhlichen Raum. Erst jetzt konnte Arya sich wieder rühren. Und übergab sich auf den Tresen.