„Aufmachen!“, verlangte der Gardist und hämmerte gegen die Tür. „Sofort!“
Nichts rührte sich in der Bar.
„Wir wissen, dass ihr da drin seid!“, brüllte nun auch Sago.
Sie hörte ein gedämpftes Kratzen, als würden Stühle über den Boden gezogen. Offenbar wollten die Zwerge das Haus leise von innen verbarrikadieren.
„Eintreten!“, befahl Sago und der Gardist trat gegen die Tür. Splitternd fiel das dünne Holz aus dem Rahmen und offenbarte dem Blick der Wachen einen kräftig gebauten Zwerg, der sich halb hinter den Stuhl duckte, den er offenbar über den Boden geschoben hatte, und ängstlich zu den Elfen aufsah.
„Durchsucht das Haus!“, rief Sago, während ihre Gruppe bereits an ihr vorbei ins Gebäude strömte. „Nehmt alle fest.“
„Das könnt ihr nicht machen!“, beschwerte sich der Zwerg, den zwei Gardisten an Armen und Beinen ergriffen. „Lasst mich sofort los! Und die Tür müsst ihr mir bezahlen!“
„Klappe“, grollte einer der Gardisten und stieß dem Zwerg eine Faust in den Magen.
Sago zuckte zusammen, doch sie sagte nichts. Der Widerstand des Wirts erlahmte, das war alles, was zählte. Sie musste die Terrorzelle ausheben, bevor noch jemand starb. Chiaos war bereits ein Elf zu viel gewesen.
„Mit welchem Recht macht ihr das?“, ächzte der Zwerg.
„Du bist der Besitzer?“, fragte Sago ihn.
Der Zwerg nickte. „Xailos Kerzenzieher.“
„Es heißt, in deiner Bar sammeln sich Verschwörer gegen die Krone.“
Für einen Moment weiteten sich die Augen des Zwergs. „Diese andere Elfe war eine Spionin! Ich wusste, ich hätte sie nicht reinlassen dürfen.“
Sagos Leute kamen zurück. Die Bar war nicht sehr groß – es gab den Schankraum, die Küche und das Nebenzimmer.
„Niemand“, berichtete einer der Gardisten.
Sago nickte zum Xailos. „Nehmt ihn mit. Er kennt die Leute und kann uns mehr sagen.“
„Ich sage kein Wort!“, knurrte der Wirt.
⁂
„Pradiya!“ Tili war überrascht, als ihre jüngere Schwester in der großen Halle auftauchte und sich einen Platz an der langen Tafel suchte, an der die Gardisten und Arbeiter des Schlosses speisten.
„Hallo.“ Pradiya lächelte schüchtern und quetschte sich zu Tili auf die lange Holzbank.
Tili schob ihr einen Teller zu und sah sich um, doch Sago war nirgendwo zu sehen. Vermutlich war sie mit einem der frühen Trupps aufgebrochen.
„Ich habe nachgedacht …“, setzte Pradiya an und nahm ein winziges Bisschen vom Reis, so als wollte sie nur aus Höflichkeit ihren Teller füllen, aber nicht wirklich etwas essen. „Über die aktuelle Lage.“ Wie Tili erwartet hatte, ignorierte Pradiya ihren Reis vollkommen. „Ich habe vielleicht eine Lösung.“
„Sag mir zuerst, von welcher Lage du sprichst: Xpiakane oder die Stadt?“
„Die Stadt. Wir müssen etwas gegen die Unruhen unternehmen. Eine Zwergin hat mich darauf gebracht. Sie meinte, ich wäre nicht wie die anderen Elfen. Und da hat sie recht! Wir sind aufgeschlossener als die meisten Bewohner von Akijama.“
„So was in der Art habe ich auch zu hören bekommen“, murmelte Tili.
„Es ist so.“ Pradiya ergriff ihre Hände, was auch Tili von ihrem gut gefüllten Teller abhielt. „Weil wir selbst jahrelang Ausgestoßene waren. Du hattest immer mit Zwergen zu tun, also kommst du auch mit ihnen zurecht.“
Mehrere der Essenden in der Nähe starrten sie neugierig an, Zwerge wie Elfen.
„Worauf möchtest du hinaus?“
„Die Elfen und Zwerge müssen einander besser kennenlernen. Dann sind sie keine Fremden mehr füreinander.“ Pradiya strahlte förmlich. „Und ich glaube, ich habe eine Idee, wo man anfangen könnte.“
Tili drehte sich auf der Bank leicht, um ihre Schwester besser ansehen zu können. Pradiya stellte sich die Versöhnung von Elfen und Zwergen vielleicht etwas zu leicht vor. Aber sie war auch die Einzige, die konkrete Pläne hatte. „Also gut. Was sollen wir machen?“
„Bald ist das Bergfest der Zwerge. Sie haben es drei Jahre lang im Verborgenen gefeiert, obwohl sie doch inzwischen zu Akijama gehören. Ich möchte, dass wir ein großes, öffentliches Fest daraus machen, und die Elfen einladen.“
„Das Bergfest ist ein Zwergenfest“, murrte ein Arbeiter ihnen gegenüber. „Das geht die Spitzohren nichts an.“
„Ganz im Gegenteil. Ich glaube, wenn ihr euch austauscht, werdet ihr feststellen, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Bergfest und elfischen Festen gibt. Ihr feiert die Edelsteindrachen, alle auf einmal. Wir dagegen feiern jeden Drachen mit einem eigenen Fest. Aber im Grunde sind es die gleichen Drachen!“ Pradiyas Lächeln ließ sogar den griesgrämigen Zwerg verstummen. „Und wenn alle merken, dass es doch keine so großen Unterschiede gibt …“
„Bessert sich vielleicht irgendwas“, ergänzte Tili und spürte, dass Pradiyas Optimismus auf sie übersprang. „Wie organisierten wir das alles?“
⁂
„Ich werde kein Wort sagen“, wiederholte Xailos Kerzenzieher im Kerker. Wütend funkelte der gefesselte Zwerg Sago an.
„Habt ihr den Brandanschlag verübt?“
„Nein!“
„Wer sind die Mitverschwörer? Wie viele gibt es?“
Der Zwerg schwieg.
Sago unterdrückte ein Stöhnen. Xailos war tatsächlich so stur, wie es den Zwergen nachgesagt wurde. Seit Stunden verweigerte er die Zusammenarbeit.
Sie stand auf und klopfte an die eisenverstärkte Tür, die gleich darauf geöffnet wurde.
„Das wird noch dauern. Ich hole mir etwas zu essen“, teilte sie den Gardisten mit. „Wollt ihr auch etwas?“
„Gerne“, bestätigte einer.
„Falls ihr es schafft, ihn in der Zwischenzeit etwas kooperativer zu machen …“ Sago ließ den Satz unvollendet, nickte den Burschen zu und stieg die Treppe hinauf.
Obwohl sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, ertappte sie sich dabei, wie sie die drei Schüsseln eilig mit Suppe füllte und schnell wieder zurückkehrte.
Als sie wieder im Kerker war, stand nur eine der Wachen vor der Tür. Sago reichte ihm zwei Schüsseln und klopfte.
Die dumpfen Schläge und das Stöhnen aus dem Inneren verstummten, bevor sie eintrat. Der zweite Gardist hatte Helm und die schweren Panzerstücke abgelegt, sogar den blauen Wappenrock, und trug nur die einfache, schwarze Unterkleidung der Wächter. Xialos hing schief auf dem Stuhl, teilweise nur noch von den Fesseln aufrecht gehalten, die seine Hände an die Lehne ketteten. Aus seiner Nase lief Blut in seinen Bart.
Es war ein furchtbarer Anblick. Sago wandte den Blick ab, doch sie wusste schon jetzt, dass sie Albträume hiervon haben würde.
Später, sagte sie sich. Später, wenn Akijama gerettet war, könnte sie sich darüber den Kopf zerbrechen.
Mit einer Handbewegung entließ Sago den Gardisten und setzte sich mit ihrer Suppe Xailos gegenüber. „Also, noch mal: Wer gehört alles zum ‚Drachenzahn‘? Was sind eure Pläne?“
„Ich werde nichts sagen.“
„Es tut mir leid, aber … das ist die falsche Antwort.“
Sago merkte, dass die Tür in ihrem Rücken noch immer nicht geschlossen worden war. Der zweite Gardist war geblieben.
„Kommandantin, soll ich …?“
Sie atmete tief durch. Dann nickte sie. „Ich glaube, unser Gast braucht noch ein wenig mehr Überzeugung.“
Der Gardist ließ die Knöchel knacken und trat hinter den Zwerg. Obwohl Xialos sich bemühte, keinen Laut von sich zu geben, stöhnte er bei jedem Treffer auf. Sago tauchte den Löffel in ihre Suppe, aber mit einem Mal hatte sie keinen Appetit mehr. Sie versuchte, die Schmerzlaute auszublenden und schob sich einen Löffel in den Mund. Kleine Blutspritzer regneten auf die Tischplatte des Verhörraums, während der Gardist den Zwerg knurrend bearbeitete.
Das alles hier war für einen guten Zweck, das musste sich Sago immer wieder ins Gedächtnis rufen. Das Feuer des Palastes stand ihr noch vor Augen, obwohl mehrere Wochen vergangen waren. Noch immer hörte sie den entsetzten Schrei der Kaiserin, als wäre keine Stunde vergangen.
Chiaos hatte sterben müssen, weil ein paar Verrückte glaubten, Akijama schaden zu müssen. Und Sago hasste diese Verräter dafür. Jetzt, wo sie ihnen endlich auf der Spur war, war es nur noch ein sturer Zwerg, der sie aufhielt.
Sie sah wieder nach vorne. Xialos‘ Augenlider flatterten, während Fausthiebe seinen Kopf trafen. Es war eine furchtbare Sache.
Aber anders konnte sie ihre Stadt nicht retten. Und als Gardistin war es ihre Pflicht, alles zu versuchen.