Sago bremste ihr Paki vor dem Schloss und saß ab. Cizikuni erwartete sie bereits. Der General wurde von nervösen Gardisten umschwärmt, was Sago verriet, dass man sie nicht umsonst von der Patrouille herbeordert hatte.
„Was ist passiert?“, fragte sie.
„Die Proteste sind eskaliert“, erklärte Cizikuni kurz angebunden. Er wandte sich wieder an die Wachen. „Worauf wartet ihr noch? Holt die Pakis!“
Sago trat zum General, während die elfischen Wächter loseilten.
„Die Zwerge bleiben am Schloss“, entschied Cizikuni mit lauter Stimme.
„Sie können doch zu Fuß mithalten“, warf Sago ein. Es war bereits ein Problem, dass die Zwerge nicht auf den Pakis reiten konnten. Sie wollte sie nicht auch noch zurücklassen, gerade jetzt, wo es so wichtig war, dass die neuen Gardisten Präsenz zeigten.
Doch Cizikuni schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Die protestierenden Elfen haben begonnen, die Läden von Zwergenhandwerkern zu demolieren. Ich fürchte, wenn wir jetzt Zwerge mitnehmen, um sie zu verhaften, sendet das die falschen Signale.“
Sago schluckte entsetzt, dann sah sie zur Stadt. „Was geht dort nur vor sich?“
„Eine explosive Mischung aufgestauten Frusts, würde ich sagen.“ Cizikuni drehte sich um, als ihm einige Wächter sein großes, goldenes Paki brachten. „Sammeln!“, brüllte er und die Gardisten saßen auf. Sago schloss sich an und wenig später galoppierten sie vom Palastberg herunter in die Stadt.
Auf halbem Weg kam ihnen allerdings Tili auf einem rostroten Paki entgegen. Verwundert bremste sie das Tier und auch General Cizikuni ließ die Wachen stoppen.
„Habt ihr es bereits gehört?“, fragte Tili.
„Wir sind gerade unterwegs, um sie zu verhaften, bevor noch mehr kaputtgeht“, antwortete Sago.
„Kaputt?“ Tili runzelte die Stirn. „Wovon redest du?“
„Wovon redest du?“
„Die Blockade auf der Brücke.“ Tili deutete nach hinten, obwohl das Elfentor vom Palast heute nicht zu sehen war. Die Luft war diesig, erfüllt von leichtem Nieselregen.
„Was für eine Blockade?“
„Ein paar Elfen sitzen auf den Schienen, sie lassen den Versorgungszug nicht durch. Ich dachte, ihr kommt, um sie zu vertreiben.“
Sago schüttelte den Kopf. „Das geht jetzt nicht. In der Stadt gibt es Unruhen, die sich gegen die Zwerge richten.“
„Aber der Zug …“
„Es tut mir leid, Tili“, unterbrach Sago ihre Zwillingsschwester. „Wir erledigen das, sobald die momentane Situation unter Kontrolle ist.“
Mit finsterem Blick machte Tili ihnen Platz. Sago spürte ihren Nacken den ganzen Weg bis in die Hauptstraße unter Tilis zornigem Starren prickeln.
Als sie dem Lärm folgten, veränderte sich das Pflaster und glitzerte wie nach einer frostigen Nacht. Doch es waren Scherben, die unter den Hufen der Pakis knirschten.
Dann übertönten zornige Stimmen das Knirschen.
„Kauft nicht bei Zwergen!“
„Dreckiges Bartpack!“
„Die nehmen uns unsere Arbeit weg!“
„Sie wollen Akijama!“
Sago zog ihren Harpunenspeer und legte ihn an. Sie bogen um die Ecke und standen einer Meute Elfen gegenüber, die mit Knüppeln und Steinen bewaffnet war. Geschosse flogen durch die Luft, gegen die Wände eines Ladens, dessen Glasfront bereits zerbrochen war. Allein der finanzielle Schaden durch den Verlust von so viel Glas würde den Handwerker ruinieren.
Die donnernden Hufe der vielen Pakis waren endlich so laut, dass sich die Elfenmeute umdrehte. Sago schluckte und packte ihren Harpunenspeer fester.
⁂
Aikas Blick, als Tili ohne die Palastgarde zum Zug zurückkehrte, sprach Bände. Die Blockade auf der Straße hatte sich immer noch nicht aufgelöst.
Geschlagen ließ Tili die Schultern hängen, während ihr Paki an den Sitzenden vorbei trottete. Beide, Reittier und Reiterin, waren müde. Jedes Mal hatten die Kontrollen am Elfentor sie aufgehalten, und hinzu kam, dass Sago ihnen nicht geholfen hatte.
„Also gut“, sagte sie zu der Menge. „Ihr könnt die geladene Fracht haben.“
Sie gab Aika ein Zeichen, den Güterwagen zu öffnen, und die alte Zwergin gehorchte ohne Widerspruch.
Die Elfen strömten zum Wagen, öffneten Fässer und Kisten und rafften die Vorräte zusammen. Fisch, Holz zersplitterter Bretter und Stein verteilten sich auf der Straße, wenn jemand etwas fallenließ und andere unachtsam darüber trampelten.
„Was machen wir, wenn sie das jetzt immer tun?“, fragte Aika leise.
„Nächstes Mal kann uns Sago bestimmt helfen.“ Tili wich Aikas Blick aus. Sie würde der Zugführerin gerne Hoffnung machen, doch im Moment war sie selbst viel zu wütend, um jemand anderen zu trösten.
Sago hatte sie einfach stehen gelassen! Das würde Tili ihr nicht so leicht vergeben können.
⁂
In einer langen Linie führte man die verhafteten Elfen in den Kerker. Es waren viel zu viele, das wusste jeder – die Palastgarde genauso wie die Elfen. Noch vor dem Abend würde man die meisten von ihnen freilassen müssen.
Entsprechend selbstbewusst traten die meisten Aufrührer ihre Strafe an.
„Das kann so nicht weitergehen“, murrte Sago.
„Wir haben verhindert, dass Schlimmeres geschieht“, tröstete Cizikuni sie sanft. „Und wie ich hörte, ist deine Schwester alleine mit der Blockade fertig geworden. Ein Glück, muss ich sagen. Die Garde ist viel zu müde, um jetzt noch länger zu arbeiten.“
„Schon, aber es sollte nicht so laufen. Wir können solche Leute nicht ungeschoren davonkommen lassen, nur weil wir nicht genug Gardisten haben.“
„Ich weiß, was du meinst“, gab Cizikuni zu. „Ich habe vielleicht eine Idee, was wir tun können.“
Sago sah auf. „Ja?“
„Es gibt in der Stadt noch einige Veteranen der vergangenen Kriege. Das sind gute Elfen, dem Kaiserreich treu ergeben und kampferprobt. Ich kann mit ihnen sprechen, vielleicht schließen sie sich der Garde an.“
Sago überlegte. „Von wie vielen Veteranen reden wir denn?“
„Einige hundert vielleicht?“ Cizikuni zuckte die Schultern. „Ich weiß natürlich nicht, ob sie alle Lust haben, erneut Soldat zu spielen.“
„Hundert!“ Sago ächzte. „Das wäre mehr als hilfreich – das würde uns retten!“ Vor allem würde es die Kopfstärke der Palastgarde verdoppeln.
Cizikuni nickte. „Dann werde ich mit ihnen reden.“
⁂
Der Zug wurde in der Hauptstraße schon sehnsüchtig erwartet, obwohl bei weitem nicht alle Handwerker gekommen waren. Von den Krawallen war direkt an der Schienenstrecke nichts zu hören oder sehen, aber offenbar wagten sich viele Zwergenhändler noch nicht wieder auf die Straße.
Tili ließ Aika halten und öffnete die Türen der Waggons selbst. Eine Handvoll Reisende war ebenfalls an Bord gewesen und betrat die Stadt nun weit weniger begeistert, als sie am Fuß des Gebirges wohl aufgebrochen waren. Eine hochgewachsene Waldelfe verlangte schimpfend ihr Geld zurück, doch Tili ignorierte sie.
Die Händler seufzten synchron auf, als Tili das geplünderte Lager öffnete.
„Es tut mir sehr leid“, sagte sie zu den Wartenden. „Was wir noch haben, werde ich so gerecht wie möglich verteilen. Ansonsten müsst ihr leider bis nächste Woche warten.“
„So lange können wir nicht warten!“, rief ein silberhaariger Elf. „Wir müssen die Steuern zahlen, die die Kaiserin – deine Tante – so dreist erhöht hat.“
Tili strich sich über die Stirn. „Die Wiederaufbau-Steuer kann vielleicht für diese Woche gesenkt werden. Ich werde mit der Kaiserin reden.“ Sie war müde. Und eigentlich hätte sie längst im Palast sein sollen und die dortigen Arbeiten überwachen sollen. Sie hatte viel zu viel Zeit verloren!
Vielleicht stimmte es, was Sago gesagt hatte: Zwei solch gewaltige Projekte auf einmal waren zu viel für sie.
„Wozu nimmt sie überhaupt noch die Steuer? Momentan wird doch eh nichts wiederaufgebaut. Und die Zwerge lungern weiter in unseren Straßen herum!“
„Uns wurde versprochen, dass die Steuer nur von jenen abgezogen wird, die es sich leisten können. Aber wir können es uns nicht mehr leisten.“
„Das ist mir egal!“, brüllte Tili. Die Elfen verstummten entsetzt. „Verflucht noch eins, dann trägt euch das Große Rad eben heute nach unten. So geht es den meisten hier.“ Tili fuhr sich durch das Haar und senkte ihre Stimme. „Ich kann das Schicksalsrad nicht aufhalten. Aber ich kann die Vorräte hier verteilen, die wir noch haben.“
Sie schob eine Kiste an die Seite, während die Händler eine lange Schlange bildeten.
„Was ist mit den Fässern dort?“, fragte einer und deutete auf mehrere an die Seite gebrachte Behälter.
Tili seufzte. „Das sind die Vorräte für die Zwergenhändler.“
„Die sind aber jetzt nicht hier, oder?“
„Eben. Sie sollen aber trotzdem ihren Anteil erhalten.“
„So viel?“ Immer mehr kritische Blicke äugten ins Wageninnere.
„Ja, so viel! Das ist der gerechte Anteil.“
„Sie sind aber nur halb so groß wie wir und …“
„Es reicht! Wenn ich noch ein Wort höre, lade ich alles wieder ein und bringe es den Zwergen!“, schrie Tili. Ihre Geduld war überstrapaziert.
Die Elfen schwiegen glücklicherweise, aus Angst, dass Tili ihre Drohung wahrmachte.
⁂
Nachdenklich sah Pradiya aus dem Fenster und lauschte den wütenden Stimmen. Betrunkene, die durch das Amethystviertel strichen und wüste Beleidigungen gegen Zwerge oder Elfen brüllten – je nachdem, was sie selbst waren.
Ihre Schicht war zu Ende und sie wartete nur darauf, dass Sayas sich umgezogen haben würde und übernahm. Eigentlich würde sie jetzt draußen etwas frische Luft schnappen wollen – doch sie wagte es nicht.
„Ist Morimori immer noch nicht zurück?“, fragte der Arzt, als er zu ihr trat.
„Der Zug wurde überfallen und konnte nicht liefern“, antwortete Pradiya.
„Oh. Dann kann es noch eine Weile dauern.“
„Wir schaffen das.“ Pradiya drehte sich um und bemühte sich um ein hoffnungsvolles Lächeln. „Allerdings wirst du heute Nacht viel zu tun haben. Es gab einige Verletzte. Die schlimmeren Fälle habe ich schon versorgt, aber …“ Sie musste nicht weitersprechen. Sayas konnte sich denken, wie es im Spital aussah.
„Verdammte Demonstranten“, murmelte der Elf düster. Kopfschüttelnd sah er durch die gleiche Fensteröffnung wie Pradiya zuvor. „Akijama steht wahrlich an einem Wendepunkt.“
„Es ist nur die Finsternis vor dem Morgen einer besseren Welt“, sagte Pradiya zuversichtlich.
Sayas drückte ihre Schulter. „Das glaube ich auch. Und am Ende wird sich die Feuertaufe lohnen.“
„Weißt du …“, begann Pradiya. „Ich habe überlegt, ob dieses Bergfest wirklich eine gute Idee ist. Bei allem, was passiert.“
„Gerade deshalb müssen wir es machen!“, rief Sayas aus. „Wenn wir es nicht tun, spielen wir denen, die die Zwerge hassen, doch in die Hände.“
„Genau das habe ich mir auch gedacht.“ Pradiya sah den Mooselfen an. „Ich fürchte nur, unser Treffen zum Tee müssen wir bis nach dem Fest verschieben. Es sind nur noch zwei Tage und ich muss noch so viel machen.“
„Lass dir alle Zeit der Welt.“
Sacht strich Sayas über ihre Hand, doch Pradiya zog sie zurück. Es erinnerte sie zu sehr an die stummen Händedrücke, die sie mit Morimori ausgetauscht hatte.
„Und vor allem, Pradiya: Pass auf dich auf. Du arbeitest viel, und jetzt noch die Organisation. Übernimm dich nicht.“
„Ich habe auch früher oft nächtelang studiert.“ Sie grinste wehmütig bei der Erinnerung. Das alles hatte sie getan, um ihrer Mutter zu helfen. Leider ohne Erfolg. „Ich kenne meine Grenzen.“