"Wenn ihr schon so lange zusammen seid, wie konntest du dann diese wichtige, prägende Phase nutzen, dich zu der Person zu entwickeln, die du bist?", fragte mich Mona. Wir hatten uns wieder auf unserer Couch eingefunden.
"Naja, ich habe auch studiert und eine Weile alleine gewohnt und ich habe auch Freunde. Also hatte ich durchaus Möglichkeiten meine Prägungsphase auch zu nutzen.", antwortete ich. "Zum Beispiel war ich auch im Ausland. Er hat mich sogar dazu ermutigt. Sonst wäre ich vielleicht immer noch ein Schisser."
Mona lachte.
"Also es ist wirklich nicht so unmöglich wie es klingt", sagte ich. "Aber wie kann man eine Fernbeziehung als tpe Beziehung gestalten?", fragte Mona.
Ich dachte an die Zeiten zurück, in denen wir nicht zusammen gewohnt hatten.
"Nun, wenn man zusammen wohnt, dann geschieht die Kontrolle automatisch. Es ist viel, was einfach nebenbei passiert. Man hat sich eingespielt, kennt seine Gewohnheiten, seinen Platz. Es gibt auch einige direkte Anweisungen, die einem das gehorchen noch leichter machen.
In der Ferne funktioniert vieles durch Rituale und Routine. Während ich im Ausland war, hat Nathan meinen Tagesablauf anders strukturiert. Er hat meine wache Zeit seiner angepasst, so dass ich immer zur gleichen Zeit aufgestanden bin, wie er.
Und dann war ich wach und für seine Befehle bereit. Er hat mir fest vorgeschrieben, wie viele Schritte ich am Tag gehen soll, welchen Sport ich mache und an welchen Tag. Also habe ich immer im Gym an ihn gedacht und wenn ich spazieren war, habe ich eine größere Runde genommen, als ich gewählt hätte, wenn es kein Schrittziel samt kontrollierender App gegeben hätte. Das tat mir sehr gut. Sonst hat er mich gezwungen zur Orientierungswoche zu gehen und mich mit meinen Freunden zu treffen. Ich war immer schüchtern, aber durch seine Ermutigung, hatte ich selbst 1500 Kilometer entfernt von Zuhause Anschluss. Ich habe dort viele Erfahrungen auch selbst treffen können und er hat mir recht viel freie Hand gegeben, solange ich mich an unsere Routinen und Regeln gehalten habe. Manche Menschen aus der Szene haben gesagt, dass es gar keine richtige tpe Beziehung war, weil ich viele Entscheidungen selbst getroffen habe. Aber er hat entschieden welche. Theoretisch hatte er noch immer die Kontrolle über jeden meiner Lebensbereiche. Er hat nicht jede kleine Entscheidung für mich getroffen, aber er hat den Rahmen vorgegeben, in dem ich machen konnte, was ich wollte und was mir guttat.
Ich würde also schon sagen, dass es geklappt hat, eine tpe Beziehung zu führen und eigene Erfahrungen zu sammeln und sich zum positiven zu entwickeln."
Mona lächelte. "Das klingt wunderbar", seufzte sie dann. "ich beneide euch beide schon manchmal um all die Jahre, die ihr schon geschafft habt und all die Hürden, die ihr beseitigen konntet."
Ich warf einen Blick rüber zu Nathan.
Ja, er machte mich glücklich. Dann sagte ich leise, so leise, dass ich nicht einmal wusste, ob Mona mich gehört hatte: "Aber dafür werden wir nie wieder richtig verliebt sein. Es wird keinen ersten Kuss mehr in meinem Leben geben und nie wieder einen anderen Mann. Ich liebe ihn. Ich will ihn für immer. Und ich bedauere es nicht. Aber genieß, dass du wieder Schmetterlinge im Bauch haben wirst."
Eine Weile beobachteten wir einfach die anderen Menschen. Dann sagte Mona: "Immer wenn du von eurer Beziehungspraxis erzählst, weiß ich, dass meine Beziehung Müll ist. Aber ich weiß auch, dass ich das auch will, was ihr habt."
"Die meisten Doms sind Arschlöcher, ich kanns nicht empfehlen.", ernüchterte ich sie. Sie lachte. Ich mochte, dass sie trotz all dem, was sie durchgemacht hatte und auch noch machte, immer noch ein fröhlicher Mensch war.
"Du hast mal erwähnt, dass du als Hobby schreibst, stimmt das?", fragte Mona dann. "Ja, das stimmt", sagte ich. "Wieso?", fragte sie weiter. "Weil es auch mal sehr einsame Zeiten gab, in denen meine Charaktere meine einzigen Freunde waren. Außerdem bin dann ich mal sowas wie Gott. Ich entscheide, was sie tun und wie sie handeln und was sie sagen. Es ist ein gutes Gefühl. Sowas wie Macht, aber irgendwie mit keiner Verantwortung." Mona lachte. Dann sagte sie: "Ein bisschen Psycho bist du ja schon, oder?" "Klar, sonst würde ich das hier ja auch nicht machen, oder?"
Sie lachte wieder.
Ich mochte Monas Lachen. Es war wie ein Schwarm Vögel, der sich gleichzeitig zwitschernd zum Himmel erhob.
"Und gibt es irgendwas an dir, was nicht perfekt ist?", fragte sie. "Oh vieles", sagte ich. "Irgendwas geheimes?" Sie wackelte mit den Augenbrauen.
"ich habe einen Freund, den ich kenne, seit wir beide 17 waren. Ich kannte ihn sogar schon, als ich noch mit meinem Ex zusammen war. Er war damals noch Jungfrau und er war jahrelang Jungfrau", sagte ich. Mona sah aus, als würde sie den Atem anhalten. Mir war durchaus bewusst, welche Wendung sie erwartete.
"Er stand immer auf mich. Nathan wusste das auch immer aber er hat mir trotzdem erlaubt, diese Freundschaft aufrecht zu erhalten. Ich würde Nath nie betrügen. Ich bin ein treues Seelchen." Ich seufzte. Es stimmte ja auch.
"Trotzdem habe ich mir irgendwie immer ausgemalt, dass ich ihn eines Tages entjungfern würde, dass ich mal seine erste bin." Ich sah zu Nathan rüber, wieder. Ich liebte ihn so sehr. Ich hatte nicht gelogen. Ich würde sowas nie in einer Beziehung machen. "Wir hatten immer den Deal, dass wir einander heiraten, wenn wir 40 sind und niemanden anderen gefunden haben. Wir wollten heiraten und uns beeilen und zwei süße kleine Kinder machen. Vielleicht auch drei, wenn meine Uhr nicht zu schnell tickt." Mona wirkte noch immer gespannt. "Naja und ich habe das alles auch Nathan gesagt und er hatte damit kein Problem, natürlich nicht. Nathan ist nicht eifersüchtig. Aber ich bin nicht frei von Eifersucht. Nun und wir haben kürzliche wieder telefoniert - besagter Freund und ich. Und er erzählte mir von drei Frauen mit denen er im Wechsel was hatte. Und immer noch hat. Und ich war so eifersüchtig, dass mein Herz wehtat. Ich weiß nicht wieso, ich habe eine Beziehung mit einem wunderbaren Mann, denn ich sehr liebe und mit dem ich für immer zusammen sein will, deswegen wäre niemals der Zeitpunkt gekommen, an dem er hätte mit mir schlafen können. Niemals. Und ich freue mich ja auch für ihn. Also sind diese Gefühle sowas von unnötig. Aber ich kann mir nicht helfen und hatte sie trotzdem." Mona war sprachlos. Mir würde auch nicht einleuchten, wie sowas geht, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.
"Naja und ich habe auch irgendwie keine Gefühle für ihn. Es war einfach nur so, dass einmal im Leben ich die Macht und die Kontrolle hatte, weil er so lange auf mich stand. Ich hätte richtig was besonderes für ihn sein können, aber ich bin es nicht. Und ich glaube, dass das so wehgetan hat. Es ging nicht um ihn, sondern um meinen Kontrollverlust über ihn. Und das ist super böse und ich hasse mich dafür, aber diese Gefühle gehören nun mal zu mir dazu."
Mona sah auf mein blinkendes Armband. Nathan war im Gespräch, deswegen wusste ich, dass er nicht mithörte. Aber er könnte, wenn er das wollen würde.
Er könnte immer alles hören und das Gerät zeichnete sogar auf. Ich hatte dem zugestimmt.
"Weiß er auch von deinen Gefühlen zu der Sache?", fragte Mona dann.
Ich schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht. Er würde nicht verstehen, dass ich besagten Freund nicht liebe und deswegen eifersüchtig war, sondern dass ich einfach ein schlechter Mensch bin, der auch mal was für sich haben wollte. Aber da kann der Freund ja nichts dafür." Mona nickte. Dann sagte sie: "ich verstehe dich. Deine Gefühle sind absolut valide und es ist wirklich in Ordnung auch mal was zu fühlen, für das man sich schämt." Und sie umarmte mich und ich lehnte meinen Kopf an ihrer Schulter und fühlte mich erleichtert, es endlich mal jemandem gesagt zu haben. Nathan war mein bester Freund und ich hatte niemals ein Geheimnis vor ihm. Außer diesen einen kleinen Moment, in dem mein Herz gestochen hat, als würde ich einen Infarkt bekommen.