Als ich an diesem kalten Februartag von der Arbeit kam, war ich so aufgeregt, dass mir der schwarze Matschschnee nichts ausmachte, vor dem ich sonst immer Angst gehabt hatte. Er war ja auch einfach nur ekelig. Ich schloss unsere Haustür auf. Es roch nach frisch gebackenem Brot. Aber Nathan war nicht in der Küche. Ich fand ihn im Wohnzimmer, er brütete über seinem Laptap und sagte nur kurz: "Ah da bist du ja, mein Schatz", er sah mich nicht mal an. Sonst wäre ihm aufgefallen, dass ich über alle vier Ohren grinste. "Meine Chefin hat mir einen interessanten Job vorgeschlagen. Es ist die Leitungsposition des Schulungszentrums. Allerdings muss ich dafür eine Weile auf jeden Fall vor Ort arbeiten." Nathan sah auf.
"Wo ist es denn?", fragte er. Ich schloss die Augen.
Dann sagte ich: "In Berlin." Nathan klappte den Laptop zu. Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.
"Und du willst das?", fragte er.
"Naja", sagte ich. "Ich habe darüber nachgedacht. Es wäre schon sehr cool. Ich kann das machen, was ich am liebsten mache - unterrichten, aber ich bekomme richtig viel Geld dafür und es ist eine tolle Chance mich auf der Führungsebene ein wenig umzuschauen und bekanntzumachen. Du weißt ja, dass ich, bevor wir eine tpe Beziehung hatten, immer an der Uni bleiben wollte. Ich hab das Zeug dazu. Ich liebe Innovationen. Aber ich habe ihr gesagt, dass ich darüber nachdenken muss. Ich weiß, dass du nein sagen wirst. Und das ist okay, wirklich."
Nathan legte den Kopf schief und betrachtete mich. Mein Herz blutete, aber das hier gehörte nun mal dazu. Und ich liebte Nathan so sehr, dass meine Karriere hinten an stand.
"Du denkst, ich sage nein, ohne darüber nachzudenken?", fragte er. Seine Stimme hatte sich verändert. Es war keine Spur von Zorn in ihr, eher eine ganz weiche Verwunderung.
"Nach Berlin brauchst du sieben Stunden", sagte er dann. Ich nickte.
"ich liebe dich, aber willst du wirklich eine Weile eine so krasse Fernbeziehung führen?", fragte er.
Ich war ein bisschen böse auf ihn, weil er nicht mal darüber nachdachte, sich einen neuen Job zu suchen, um mit nach Berlin zu kommen. Aber seine Frage hatte ein Kribbeln in meinen Oberschenkeln und hinter meinen Ohren verursacht, so dass ich mir nicht sicher war, ob ich gleich kotzen oder weinen müsste. Aber kombiniert mit der in mir aufsteigenden Kälte, hatte es wohl wenig mit meinem Mageninhalt zu tun.
"Nein", sagte ich.
"Das ist schon okay.", fügte ich dann hinzu. "ich wollte es dir einfach erzählen, aber es ist okay, dass es nicht geht."
Er nickte und betrachtete mich so eindringlich, dass ich so nervös wurde, wie das erste Mal, als er mich so angesehen hatte.
"Ich werde dir nicht im Weg stehen", sagte er dann, so unfassbar ruhig, dass ich mich unwohl fühlte, weil ich seine Emotionen nicht erraten konnte. "Ich denke, du solltest das Angebot annehmen und nach Berlin gehen. An den Wochenenden kommst du einfach her. Ich liebe das Haus. Ich kann hier nicht weg. Aber wir besuchen einander."
Nun war ich es, die nickte.
"Du wirst da hin gehen", sagte er nun, so als wäre ihm wieder eingefallen, dass er die Entscheidungen traf, nicht ich.
"Das ist gut für dich. Für uns." Aber er zögerte etwas. "Ich werde dich jeden Abend vermissen", gab er dann zu, seine Stimme war wieder weich, fast zittrig.
Ich werde ihn doch auch vermissen.
"Ich glaube, dass das funktionieren kann", sagte er, aber es klang mehr so, als würde er mit sich sprechen.
Ich sagte meiner Chefin zu. Auch wenn dies eine sehr schwere Entscheidung war, war es doch die richtige.
In den kommenden Wochen packten wir, so dass ich auch was in meinem neuen Zuhause haben könnte. Ich fand auch tatsächlich eine Wohnung, die ich mir leisten konnte. Eine Zweizimmeraltbauwohnung. Ich fand sie schön und Nathan entschied, dass ich mich dort melden sollte. Überraschenderweise bekam ich den Zuschlag. "Gott bin ich froh, dass ich nicht mit muss", seufzte er. "Noch mal in eine Zweizimmer Wohnung ziehen... ich bin doch keine 19 mehr."
Das machte mich ziemlich traurig, denn irgendwie hatte ich gehofft, dass er sich mit mir freuen würde und auch Lust hätte hier ab und zu einen gewissen Zeitraum zu verbringen. Wie soll das denn sonst funktionieren? Aber ich selbst hatte eigentlich kein Problem mit kleinen Wohnungen. Ich konnte auch auf 10 Quadratmetern leben.
Er eben nicht.
Wir kauften zusammen für Berlin ein.
"Die Wohnung ist nur 64 Quadratmeter groß", sagte Nathan. "Du wirst nicht viel brauchen. ich miete einen kleinen Anhänger, wir packen deine Kleidung, besorgen bisschen was für die Küche, ein Bett, einen Kleiderschrank, eine Kommode, einen Schreibtisch, du kannst noch ein paar Fotos ausdrucken und ein paar Sofakissen oder sowas mitnehmen. Dann kaufst du dir in Berlin einfach ein Sofa und alles was du sonst noch brauchst.", sagte Nathan auf dem Weg zum Möbelhaus. "Du brauchst keine Kleiderbügel. Die nimmst du von Zuhause mit." Er wirkte geschäftig, wie er im Kopf Einkaufslisten für unser neues Leben - getrennt - anlegte, aber ich wusste, dass es für ihn ziemlich schwer war, mich wieder gehen zu lassen.
War es für mich doch auch.
Er brachte mich dann auch am Stichtag nach Berlin.
Ich fuhr keinen Tag zu früh, muss ich ehrlich sagen. Keinen einzigen Tag.
Wir fuhren Samstag hin und Montag würde es losgehen. Wir kamen erst spät abends an. Wir trugen alles hoch. Er baute meine Möbel in Rekordgeschwindigkeit auf, dann sah er auf die Uhr: "Oh so spät? Ich muss dringend los."
In mir stieg langsam die Panik hoch. Ich hatte furchtbare Angst, dass er jetzt weggehen würde und mich hier alleine lassen würde, in der kalten Wohnung, in der noch alle Kartons standen. Ich hatte schon damit gerechnet, dass er zumindest die erste Nacht bei mir bleiben würde.
"Kannst du noch hier bleiben?", flehte ich also.
"ich wünschte, ich könnte.", sagte Nathan und zog seine Schultern hoch. Abwehrhaltung kam mir von ihm eigentlich gar nicht bekannt vor.
"Bitte geh nicht", bat ich ihn, ich merkte wie sich Verzweiflung in mir breit machte.
"ich muss meinen Chef morgen früh um neun treffen. Ich muss wirklich los.", wehrte er mich ab.
"Nathan, bitte. Ich habe Angst.", normalerweise wollte ich ihm nicht auf die Nerven gehen. Aber heute schon. Heute brauchte ich ihn doch.
Er gab mir einen innigen Kuss.
Dann sagte er: "Nein, Lil. Ich liebe dich, aber da musst du alleine durch. Ruf mich an, wenn du mich brauchst." Dann nahm er seine Tasche, drehte sich an der Tür noch einmal um und sagte: "Fang schon mal an, auszupacken." Dann war er weg. Und ich war noch da. In einer Wohnung, die viel zu ruhig war. In einer Welt, die viel zu groß war.