"Und, wo feiern wir Weihnachten?", fragte mich Nathan. "Bei meinen Eltern, bei deiner Mutter, bei deinem Vater oder alleine?"
"Entscheide ich oder gebe ich Präferenzen an?", fragte ich, während ich den Keksteig zu kneten begann. Die Butter flutschte durch meine Finger.
"Präferenzen natürlich", sagte Nathan, der sich nun hinter mich stellte, ich fühlte seine Wärme hinter mir, seine Hände an meiner Hüfte. Ich hatte selbst entscheiden dürfen, welche Kekse ich backen wollte und jetzt war er ungeduldig und konnte er kaum erwarten, meine Kreation zu kosten. Es war einer dieser Samstage Ende November an denen man anfängt Kekse zu backen. Und draußen war es ekelig nebelig und kalt und die Freude auf Weihnachten ließ mich diese dunklen Tage durchstehen.
"Meine Mama", sagte ich. Ich hatte seit ich in der Grundschule war kein Weihnachten mehr mit meinem Vater gefeiert. Als er uns verlassen hatte, war seine Freundin bereits von ihm schwanger gewesen und er hatte uns die ganze Zeit verschwiegen, dass es da diese andere Frau gab.
Meine Mutter war am Boden zerstört gewesen und es hatte Jahre gedauert, bis sie neu geheiratet hatte. Ich mochte meine Stiefgeschwister aber sehr, wir hatten früher viele Partys zusammen gefeiert und einander sehr unterstützt. Es fühlte sich an, als hätte ich Geschwister und ich mochte auch das Haus, in dem meine Mutter jetzt wohnte. Ich fand es toll, dass ich eine kleine Kammer auf dem Dachboden hatte, die noch immer mein Zimmer war, obwohl ich schon lange nicht mehr zuhause wohnte, hatte ich noch immer ein Zimmer, in das ich zurückkehren konnte.
"Haben wir nicht letztes Jahr bei deiner Familie gefeiert?", fragte Nathan. Ich überlegte, wann ich sie zuletzt gesehen hatte. Es war Monate her, während wir einmal in der Woche mit Nathans Eltern zu Abend aßen. Ich schluckte meinen Frust darüber runter. Ich wollte meine Familie wirklich dringend wieder sehen. "Du entscheidest das", sagte ich nur, auf einmal wollte ich nicht mehr weiter backen. Mittlerweile hatten sich Ei, Butter, Mandelmehl und Zucker vermischt. Ich war froh, dass es jetzt eh erstmal eine Kühlschrankpause geben musste. Ich deckte den Teig ab und wand mich aus seinem Griff, um den Teig zu kühlen. Dann sagte ich, ohne den Blick vom Boden zu wenden: "Ich würd dann gern bisschen alleine hochgehen. Ist das okay?"
Nath sah mich aufmerksam an. Ich wusste, dass gerade in seinem Kopf ein kleines Fehlersuchprogramm ablief.
"Okay", sagte er dann, ich ging an ihm vorbei, die Treppe hoch.
Ich durfte keine Türen abschließen und hatte auch keinen Rückzugsort. Manchmal war das etwas viel für mich und ich wäre gern nach Hause zu meiner Mama gegangen um mich in den Arm nehmen zu lassen. Vor Weihnachten war eben eine anstrengende Zeit und ich mochte es nicht, dass ich in dieser Zeit kaum Geheimnisse haben konnte.
Auf der Arbeit war viel los und ich kam schlecht runter, wenn ich das Gefühl hatte, keine Magie zu verbreiten.
Normalerweise gab es mir Geborgenheit, dass Nath alles von mir wusste, aber gerade fühlte es sich so schwer an, weil ich Heimweh hatte. Heimweh nach Mama und nach zuhause sein. Nach zu lauter Musik tanzen und nach meinen Geschwistern.
Nath mochte es nicht, wenn ich laute Musik hörte. Deswegen tat ich es nicht. Seine Meinung zählte nun mal am allermeisten. Jetzt saß ich also im Schrank, eingekuschelt in eine Decke und umgeben von Dunkelheit und konzentrierte mich ganz genau auf meine Atmung.
Es war alles in Ordnung. Ich wollte das Leben so und es war gut, dass ich es auf diese Weise führen durfte. Aber Weihnachten - wenigstens Weihnachten wollte ich auch mal was selbst entscheiden.
Ich kannte diese Zweifel an unserem Lebensstil nur ganz sporadisch. Normalerweise stand ich da echt hinter. Für uns wars einfach das Richtige.
Ich seufzte.
Und erinnerte mich an meine Weihnachtsfeste als Kind bei meiner Mutter. Daran, wie sie gesungen hatte, wenn wir gebacken hatten und wenn sie den Text eines Weihnachtsliedes nicht mehr kannte, hat sie immer irgendwas über kleine Hirtenkinder erfunden oder über die Schafe bei der Herde oder Engel.
Sie hatte viele Weihnachtsgeschichten in wenige Liedzeilen quetschen können. Das war ihre Superkraft. Aus einem Tag im Jahr den magischsten überhaupt zu machen.
Wir hatten getanzt und gejubelt.
Mein Zuhause war schon nicht leise gewesen, als wir phasenweise zu zweit dort gewohnt hatten.
Es war nur eben noch lauter geworden, als andere Jugendliche auch da waren und langsam zu meiner Familie wurden.
Sie sangen mit uns und beschwerten sich nicht über unsere Textänderung in den lustigsten Liedern.
Sie brachten neue Rezepte mit und neue Traditionen.
Aber leise wurde es nie.
Hier war es ganz still manchmal. Grundsätzlich hatte ich deswegen auch kaum Kopfschmerzen und all die Reize, die ich nicht hatte, machten mich zufrieden.
Aber ich vermisste wenigstens Weihnachten meine chaotische Familie.
Meinen Stiefvater, der in den Wald ging um einen Baum zu holen und am Ende immer doch nur einen kleinen ausbuddelte, weil er es nicht übers Herz brachte, einen ausgewachsenen, faszinierenden Baum zu fällen.
Ich liebte es, wie es trotzdem nach Nadeln roch und wie sie die Lichterkette aufhängten, die viel zu groß für den kleinen Baum im Topf war.
Der ganze Christbaumschmuck hing dann an den Wänden und alle trugen diese Flauschsocken, die wir Nikolaus jedes Jahr von meiner Mutter bekamen.
Auch wenn ich Nathan liebte und gern mitnahm, brauchte ich diese Form der Wärme und des Vertrauens auch mal.
Ich starrte in die Dunkelheit und überlegte, ob es in Ordnung sei, wenn ich wenigstens bei diesem Thema meine Meinung durchsetzen würde.
Es war Nathans Entscheidung und ich hatte mich ihr zu beugen.
Aber ich könnte es mir zu Weihnachten wünschen. Das wäre doch fair.
Oder ich könnte ihm sagen, wie wichtig es mir wichtig sei.
Vielleicht würde er es verstehen.
Ich fing mich wieder und merkte erst jetzt, dass ich bei all den Erinnerungen geschluchzt hatte.
Ich versuchte eine zeit festzuhalten, die schon lange aus meinen Fingern geronnen war.
Wir waren nun mal keine Kinder mehr und das war auch in Ordnung.
Wir waren erwachsen geworden und kannten mittlerweile den Text der Weihnachtlieder. Vielleicht war es besser so, wenn ich nicht nach Hause kam, dann würde das Bild der wilden, jungen Weihnacht einfach anhalten und nicht überspielt werden, mit der langweiligen Erwachsenenversion davon.
Ich nickte, als würde ich meine Gedanken bestätigen wollen. Wieder und wieder. Ich hörte nicht mehr auf zu nicken, bis sich die Tür sanft öffnete und Nathan sich vor den Kleiderschrank setzte. "Darf ich einen Moment bei dir bleiben?", fragte er sanft und stellte die Taschentuchbox auf meine Knie.
"Natürlich", schniefte ich.
Als ob ich mich dagegen wehren könnte.
"Ich habe über Weihnachten nachgedacht", sagte er dann. "Ich liebe meine Familie, ich feiere gerne Weihnachten mit ihnen."
"Aber alle deine Brüder sind Anwälte und haben einen Stock im Arsch", sagte ich und musste mich zusammenreißen, nicht wieder zu schluchzen.
"Ich weiß", sagte er. "Und ich weiß auch, wie viel es dir bedeutet, bei deiner Familie zu feiern. Deswegen fahren wir Weihnachten zu deinen Eltern. Ist das in Ordnung, für dich?"
"Jaaa", sagte ich.
"Und wir bleiben dort bis Neujahr. Aber wir müssen meine Familie trotzdem im Advent sehen und du wirst dich benehmen wie die perfekte Schwiegertochter. Ist das ein Deal?"
"Ja!", freute ich mich.
Nathan lächelte und nahm mich in den Arm.
"Ich treffe die Entscheidungen, aber ich will auch, dass du trotzdem glücklich bist."