Tag um Tag verbrachte Elisabeth in ihrem Verlies. Inzwischen hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Da ihr Gefängnis nicht einmal ein Fenster hatte, konnte sie auch nicht sagen, ob es Tag oder Nacht war. Ihr Tagesablauf wurde nur unterbrochen, wenn eine Magd ihr eine Mahlzeit brachte. Oft hatte sie versucht, mit der Hausangestellten ein Gespräch zu beginnen. Doch die schwieg beharrlich und wich ihr aus. Ansonsten saß sie nichts tuend und gelangweilt auf ihrem Strohlager und versuchte, die Zeit tot zu schlagen.
Nach einiger Zeit wurde Elisabeths Verzweiflung so groß, dass sie sich vornahm, die Kleine, die ihr immer das Essen brachte, zu überwältigen und einen Fluchtversuch zu wagen. Jedoch genau an dem Tag, an dem sie ihren Plan in die Tat umsetzen wollte, wurde das Mädchen von einem Knecht begleitet. Seitdem war Elisabeth vorsichtig und versuchte immer wieder herauszufinden, wo sich ihre Bewacher befanden. Sie nahm an, bisher hatten die sich im Hintergrund gehalten, damit sie nichts bemerken konnte. Wahrscheinlich hatte die Magd Verdacht geschöpft und diesen Herrn von Einsiedel mitgeteilt.
Nachdem Elisabeth noch sehr viele einsame Tage in völliger Dunkelheit verbracht hatte, wurde ihr eine Laterne gebracht. Sofort hatte sie eine Idee, ihr Strohlager mit Hilfe der Laterne anzuzünden. Das aufkommende Chaos wollte sie zur Flucht nutzen. Doch als hätte jemand ihre Gedanken lesen können, wurde die Leuchte an der höchsten Stelle der Decke angebracht. Nur wenn das Talglicht erneuert werden musste, wurde die Lampe heruntergenommen. Auch wenn sich Elisabeth streckte und sprang, gelang es ihr nicht, die Laterne zu erreichen. Sogar wenn sie sich auf den Eimer stellte, den sie für ihre Notdurft verwendete, konnte sie ihr Ziel nicht erreichen. Nun hatte sie zwar Licht, aber immer noch keine Möglichkeit zur Flucht. So vegetierte sie vor sich hin, ohne die Aussicht zu haben, jemals wieder die Freiheit zu erlangen.
Es mochten vielleicht zwei Wochen vergangen sein. Elisabeth durfte in dieser Zeit keinerlei Besuch empfangen, geschweige denn ein Wort mit ihren Bewachern wechseln. Nun endlich hatte Herr von Einsiedel beschlossen, seiner Gefangenen einen Besuch abzustatten, um zu erfahren, wie weich sie in der Zeit der Gefangenschaft geworden war. Seine Devise war: Steter Tropfen höhlt den Stein. Dies erhoffte er sich auch von Elisabeth. Johann, der Gerichtsdiener sollte ihn begleiten.
Etwas unwirsch über die zusätzliche Aufgabe stieg Johann mit einer Laterne in der Hand vor seinem Dienstherrn die Treppe in den Keller hinab.
„Öffne Er die Tür“, befahl von Einsiedel dem Gerichtsdiener und wies auf den klobigen Riegel, der die Tür des Gefängnisses verschloss.
Nachdem Johann dies getan hatte, betrat von Einsiedel das Kellerverlies.
Elisabeth saß aufrecht im Stroh und blickte ihm trotzig entgegen. Sie dachte nicht daran, sich zu erheben. Ihr Haar stand wirr von ihrem Kopf ab, ihr Gesicht war schmutzig. Die unzähligen vergossenen Tränen hatten helle Streifen in ihrem vor Dreck starrenden Antlitz hinterlassen. Doch hinter dieser Maskerade war immer noch der ungebrochene Stolz der jungen Frau zu erkennen.
„Stehe Sie auf!“, befahl von Einsiedel dem Mädchen. Das jedoch reagierte nicht, sondern starrte ihn weiterhin nur hasserfüllt an.
„Erhebe Sie sich!“, sagte von Einsiedel noch einmal, dieses Mal ein wenig fordernder. Als Elisabeth nicht reagierte, wurde er zornig. Er machte einen Schritt auf die Frau zu und riss sie grob auf die Füße. „Gehorche Sie gefälligst“, brüllte der sonst so bedächtig wirkende Herr. Sein Gesicht näherte sich dem Elisabeths, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Obwohl von Elisabeth ein unangenehmer Geruch ausging, sie hatte sich schon mindestens zwei Wochen nicht waschen können, verzog von Einsiedel keine Miene. „Tue Sie gefälligst, was ich befehle“, herrschte er sie noch einmal an.
Elisabeth tat, als würde sie nichts verstehen. Doch dann regte sie sich. Sie verzog den Mund und spuckte von Einsiedel ins Gesicht. „Gar nichts werde ich tun“, erwiderte sie mit vor Ekel verzerrtem Gesicht. „Ihr habt mir gar nichts zu sagen“, setzte sie noch hintenan.
Als von Einsiedel die Spucke traf, fuhr er erschrocken zurück. Er holte aus und schlug Elisabeth ins Gesicht. „Weib, du wagst es, mir zu widersprechen“, knurrte er die junge Frau an.
Vom Aufprall getroffen, torkelte Elisabeth zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach rücklings auf den Boden. Ihr Kopf knallte auf den Steinboden. Sie sah Sterne, ihr wurde übel. Aber dann schüttelte sie sich und wollte sich aufraffen.
Sofort war von Einsiedel über ihr. Erst jetzt konnte Elisabeth sehen, er trug eine Reitgerte am Gürtel. Diese zog er nun und schlug damit mit voller Wucht auf das am Boden liegende Mädchen ein. Verzweifelt versuchte Elisabeth, sich vor den auf sie einprasselnden Schlägen zu schützen. Sie schrie gellend um Hilfe, hob die Arme, um ihr Gesicht zu schützen. Von Einsiedel jedoch traf sie mit jedem Hieb. Vor Schmerzen brüllte sie. Ihr Herr brüllte genau wie sie, allerdings vor Wut. „Von wegen, meine Befehle missachten. Ich werde dir schon beibringen, was Respekt ist! Es reicht schon, dass du nicht mal vor deinem Vater welchen hast. Aber an mir wirst du dir die Zähne ausbeißen! Ich werde dir zeigen, wer der Herr im Hause ist und wem du zu gehorchen hast!“
Johann stand wie zur Salzsäule erstarrt in der Tür. Die Schreie der Frau, aber auch das Gebrüll seines Dienstherrn, hallten in seinen Ohren. Nachdem Elisabeths Schreie in ein verzweifeltes Wimmern übergegangen waren, erwachte er aus seiner Starre. Er rannte zu von Einsiedel und hielt ihn am Arm fest. „Herr, Ihr schlagt sie noch tot!“, versuchte er von Einsiedels Raserei zu bremsen. Er konnte es nicht zulassen, dass sein Herr noch mehr auf Elisabeth einprügelte. „Herr, ich bitte Euch!“, machte sich Johann noch lauter bemerkbar.
Von Einsiedel ließ die vor Schmerzen wimmernde Elisabeth los. Aufgebracht drehte er sich zu Johann um. „Was willst du?“, schnauzte er ihn an.
„Haltet ein. Ihr schlagt sie noch tot“, wiederholte der Gerichtsdiener, ihm dabei mutig in die Augen blickend.
„Dieses widerspenstige Weib hat es nicht anders verdient“, brüllte von Einsiedel erregt. „Noch nie hat es ein Weib gewagt, mir zu widersprechen. Nicht einmal mein eigenes. Doch dieses da…“ von Einsiedels Gesicht verzog sich zu einer Fratze. „Ihr Vater hat Recht. Sie ist ein widerspenstiges und uneinsichtiges Weib, das es nicht anders verdient hat. Nicht einmal zwei Wochen Haft in tiefster Dunkelheit bringen sie zum Reden.“ Er schüttelte Johanns Arm ab. „Geh mir gefälligst aus dem Weg“, knurrte er. Dann wandte er sich ab und verließ mit langen Schritten den Keller.
Johann stand wie erstarrt und blickte seinem Herrn nach. Erst Elisabeth Wimmern brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.
„Du armes Ding“, sagte er zu ihr. Er beugte sich zu der Frau hinunter und half ihr auf.
Stöhnend lehnte sich Elisabeth an die Wand. Beinahe jede Stelle ihres Körpers schmerzte. Ihr Gesicht war geschwollen, breite, rot gefärbte Striemen zierten es. Sie fühlte sich so wund wie noch nie in ihrem jungen Leben. Vor Schmerz versagten ihr die Beine und sie rutschte mit dem Rücken an der Wand entlang schabend, zurück auf ihr Strohlager.
Johann setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. Das Mädchen tat ihm leid. Sie war ein hübsches Ding, das ihm gefallen könnte. „Warum sagst du nicht, wer der Vater deines Kindes ist“, begann er nach einer Weile zu sprechen. „Du hast doch gehört. Der Herr will ihn zwingen, dich zu ehelichen. Willst du ewig in Schande leben?“
Elisabeth schluchzte. „Ich kann nicht“, erwiderte sie.
„Aber warum nicht. Ich verstehe es nicht. Du hättest es als verheiratete Frau um Einiges leichter. Niemand würde mit dem Finger auf dich zeigen“, hakte Johann nach.
„Es geht trotzdem nicht.“ Elisabeth zog die Nase hoch. „Er ist verheiratet. Du weißt, was auf Ehebruch steht.“
„Oh Gott, Kindchen! Was sagst du da!“ Obwohl Johann entsetzt über Elisabeths Beichte war, blieb er sitzen und hielt weiterhin ihre Hand. „Ich kenne das Strafmaß für solch ein Vergehen sehr wohl. Immerhin bin ich Gerichtsdiener“, sagte er nach einer Weile. „Nur wie soll ich dir helfen, wenn du nicht die Wahrheit sagst. Der Herr wird den Mann bestimmt zwingen, für das Kind zu sorgen. Es könnte bei ihm aufwachsen und du könntest irgendwo ein neues Leben beginnen. Unser Herr ist ein guter Mann, das kannst du mir glauben.“
„Ich will es trotzdem nicht preisgeben“, erwiderte Elisabeth. „Ohne mein Kind möchte ich nicht leben. Lieber weiß ich es tot, als diesem Kerl zu übergeben. Er hat mich mit süßen Worten dazu gebracht, ihm meine Jungfräulichkeit zu opfern. Nun tritt er meine Liebe mit Füßen und stößt mich von sich wie ein Stück Dreck.“ Inzwischen hatte sie sich ein wenig beruhigt. Ihr Stolz war zurückgekehrt.
„Lasst es gut sein“, sagte sie noch, als Johann erneut ansetzen wollte, sie zu einer Aussage zu bringen. „Mit einem Weib wie mir solltet Ihr Euch nicht abgeben. Das bringt Euch nur in Verruf. Geht lieber, ehe der Herr noch denkt, Ihr wäret der Vater meines Kindes.“ Von einem zum anderen Moment wandte sie die Anrede, die einer höher gestellten Person zustanden, an. Dann drehte sie ihr Gesicht zur Wand und tat so, als wäre Johann unsichtbar.
Der junge Mann sah ein, sein Versuch, Elisabeth umzustimmen, war gescheitert. Spontan fiel ihm eine Lösung ein, die er in die Tat umsetzen wollte. Irgendwie musste diese Frau doch zu retten sein. Seufzend erhob er sich und ging nach draußen. Als er den Riegel vorschob, brach Elisabeth in Tränen aus.
Nachdem Johann Elisabeth verlassen hatte, begab er sich an seine Arbeit. Nachdenklich saß er vor den Zahlen, die er ins Rechnungsbuch übertragen musste. Immer wieder musste er an Elisabeth denken, die im Kellerverlies saß und der Dinge harrte, die kommen sollten. Seine Idee ging ihm nicht aus dem Kopf. So sehr er sich auch zwang, Elisabeth schwirrte durch seine Gedanken und nahm von ihm Besitz. „Ich muss ihr helfen“, führte er Selbstgespräche. Er stand auf, um zu seinem Dienstherrn zu gehen und ihm sein Anliegen zu unterbreiten.
Auf Johanns Klopfen hieß ihm Herr von Einsiedel, dass er eintreten möge. „Was will Er?“, schnauzte von Einsiedel seinen Sekretär an. Seine Laune war immer noch mies. Er ärgerte sich, vor einem Bediensteten so ausgerastet zu sein.
„Ich habe mir Gedanken gemacht“, begann Johann mutig.
„Weswegen?“, unterbrach von Einsiedel ihn barsch. „Vergeude Er meine Zeit nicht! Ich habe anderes zu tun, als zuzuhören, um was Er sich Gedanken macht.“ Er zeigte auf die unzähligen Papiere, die kreuz und quer auf dem großen Tisch verstreut lagen.
Johann sah aber auch die beinahe geleerte Karaffe Wein, die inmitten der Papiere stand. Von Einsiedel selbst hatte ein Glas in der Hand und nippte daran. Seine Augen wirkten glasig, als hätte er bereits zu viel von dem Wein genossen. Auch kamen die Worte eher lallend über seine Lippen.
„Ihr mögt die Störung verzeihen“, sprach Johann unbeirrt weiter. „Elisabeth tut mir leid und ich möchte sie gerne aus dieser Misere, in die sie geraten ist, befreien.“
„Wie hat Er sich das vorgestellt`“, fragte von Einsiedel, nun auf Johanns Plan neugierig geworden. Wie konnte ein niederer Angestellter es wagen, sich in seine Angelegenheiten zu mischen. Die widerspenstige Elisabeth zum Reden zu bringen, war seine Aufgabe. Doch die Neugier über Johanns Plan überwog.
„Wenn Ihr erlaubt, werde ich sie um ihre Hand bitten. Damit hätte ich zwar ein Kuckuckskind aufzuziehen. Doch Elisabeth und ihre Familie wären frei von jedweder Schande.“
„Johann! Er ist ein Tausendsassa!“ Von Einsiedel fuhr hoch und prustete vor Lachen, dass kleine Speicheltröpfchen umherflogen und Johanns Wams trafen. „Seine Idee hätte gut und gerne die meine sein können.“ Johanns Dienstherr wurde ernst. „Wie stellt Er sich vor, dieses aufsässige Weib zu freien? Noch sitzt es im Keller fest.“
„Ich werde Elisabeth einfach fragen. Natürlich erst, nachdem ich mit ihrem Vater gesprochen habe. Immerhin ist er ihr Vormund, ohne dessen Einverständnis ich nicht agieren möchte.“
„Wenn er sich stur stellt, befehle ich es ihm einfach, Ihm Seine Tochter zur Frau zu geben“, versprach von Einsiedel frei heraus. Er fand Johanns Idee vom Feinsten. Ein wenig neidisch war er zwar, nicht selbst darauf gekommen zu sein, sie dem Bediensteten als Gattin anzubieten. Jedoch gönnte er es seinem Sekretär, die schöne Elisabeth zu ehelichen. Sie war keine Jungfer mehr, aber das schien Johann nichts auszumachen. Von Einsiedel spielte bereits mit dem Gedanken, das Mädchen mit einem seiner Hörigen zu vermählen, doch die weit fortgeschrittene Schwangerschaft hielt ihn davon ab. Dass sich Johann nun freiwillig als Gatte anbot, kam ihn gerade recht. „Gut, dann gehe Er zum Böttcher und unterbreite diesem Sein Vorhaben. Ich hoffe, Er ist Ihm wohlgesonnen.“
Froh, die Zustimmung seines Dienstherrn erhalten zu haben, machte sich Johann sofort auf den Weg ins Dorf. Ein wenig mulmig war es ihm zumute, den Mann um die Hand seiner Tochter zu bitten. Doch nun, wo er von Einsiedel mit dieser Idee regelrecht überrannt hatte, musste er sein Wort halten. Er kannte Elisabeth kaum. Nur ein paar Mal hatte er sie gesehen, wenn sie ihre Mutter von der Arbeit im Gutshof abholte. Elisabeth war ein hübsches Mädchen, das er sich gerne an seiner Seite als Gattin vorstellen konnte. Dass sie etwas umtriebig war, störte ihn kaum. War sie erst einmal seine Ehegattin, würde er ihr schon die Flausen austreiben und sie dazu bringen, ihm treu zu sein.
Johann fand den Böttcher bei der Arbeit vor. Er war eben dabei, eiserne Ringe an einem Fass zu befestigen. Das Klopfen des Hammers war weithin zu hören.
Als Georg Scheffler Johann bemerkte, wie dieser in seine Werkstatt kam, legte er seinen Hammer beiseite.
„Gott zum Gruße“, sagte Johann zu Scheffler und verbeugte sich leicht.
„Euch auch“, erwiderte Scheffler den Gruß. „Gibt es Neues von meiner Tochter, dass Ihr höchstpersönlich bei mir vorsprecht?“, fragte der Böttcher besorgt. Obwohl ihm seine Tochter Schande gemacht hatte, sorgte er sich sehr um sie. Seit Herr von Einsiedel sie zur Räson bringen wollte, durfte er sie nicht einmal besuchen. Auch seiner Frau verbot er jedweden Kontakt.
„Nein, Meister Scheffler. Eurer Tochter geht es gut. Soweit man das so sagen kann, seit sie in diesem finsteren Loch sitzt. Ich habe etwas mit Euch zu besprechen.“
Scheffler sah den jungen Mann fragend an. „Dann gehen wir hinein in die Küche. Dort ist es etwas gemütlicher als hier und wir können, ohne belauscht zu werden, miteinander sprechen“, sagte er zu Johann und ging voran ins Haus.
Johann betrat zum ersten Mal das Haus des Böttchers. Von außen sah es ein wenig ärmlich aus. Innen jedoch war es blitzeblank sauber und gepflegt. Man sah die kundige Hand einer eifrigen und auf Sauberkeit achtenden Hausfrau. Nur in der Küche stand ein benutzter Becher auf dem großen Tisch.
„Meine Tochter fehlt an allen Ecken und Enden. Sie kümmerte sich vorzüglich um den Haushalt, während meine Gattin im Rittergut in der Küche half“, entschuldigte sich Georg ob der Nachlässigkeit und räumte den Becher beiseite. Dann bot er Johann einen Platz an.
Nachdem der sich gesetzt hatte, nahm er diesem gegenüber Platz. „Ihr macht ein Geheimnis um Euer Anliegen. Sprecht frei von der Leber weg“, begann er das Gespräch. Er war neugierig, was der Gerichtsdiener des Rittergutbesitzers von ihm wollen könnte.
Verlegen räusperte sich Johann. Er wurde sogar rot. „Meister Böttcher. Ich möchte Euch um die Hand Eurer Tochter bitten“, wagte Johann endlich, die Katze aus dem Sack zu lassen.
Scheffler riss erstaunt den Mund auf. Ohne Worte öffneten sich seine Lippen. Es sah aus, als läge ein Fisch auf dem Trockenen und japste nach Luft. „Wie kommt Ihr auf diese absurde Idee?“, brach es endlich aus dem Böttcher heraus. „Meine Tochter ist eine Metze. Sie trägt den Balg eines Unbekannten unter dem Herzen und brachte Schande über uns.“ Georg wollte noch weitersprechen, aber Johann unterbrach ihn.
„Meister Scheffler, das ist mir durchaus bewusst. Ich mag Eure Tochter sehr. Es tut mir unheimlich leid, dass sie Euch so viel Ärger macht. Trotzdem will ich es wagen, sie zu einer ehrbaren Frau zu machen“, erklärte Johann den Grund seines Antrags.
„Es ehrt Euch sehr“, erwiderte Georg. „Die Leute werden reden. Sie werden sich die Mäuler zerreißen, wenn das Kind so kurz nach der Hochzeit zur Welt kommt. Vielleicht wird man es ihm sogar ansehen, dass Ihr nicht der Vater sein könnt.“
„Das ist mir egal. Es ist mir bewusst, ein Kuckuckskind aufzuziehen. Denkt, wer ich bin! Ich bin der Gerichtsdiener und Sekretär des Herrn von Einsiedel. Ich habe Mittel und Wege, die Leute zum Schweigen zu bringen.“
„Wenn Ihr es so sagt, dann soll es so sein. Meinen Segen habt Ihr“, gab Georg Scheffler nun sein Einverständnis.
„Vielen Dank, ich fühle mich geehrt“, erwiderte Johann. „Ich werde mich nun verabschieden und mich sogleich auf den Weg zu Eurer Tochter machen. Je eher sie in ihrem Zustand aus diesem ungemütlichen Loch herauskommt, desto besser. Ich mag sie nicht gerne noch länger diesem Unbill ausgesetzt sehen.“ Er hob die Hand zum Gruße und wollte gehen.
„Wartet!“, rief Georg Scheffler dem jungen Mann nach. „Was ist mit der Mitgift? Davon haben wir noch gar nicht gesprochen. Herr von Einsiedel sollte auch sein Einverständnis geben. Immerhin lebt meine Tochter derzeit unter seinem Dach.“
Johann lächelte nur. „Vergesst die Mitgift. Ich brauche keine. Mit Herrn von Einsiedel ist bereits alles geklärt. Bevor ich Euch mein Anliegen vortrug, gab er sein Einverständnis.“ Damit verließ Johann endgültig das Haus des Böttchers.
„War Er erfolgreich?“, wollte Herr von Einsiedel wissen, nachdem Johann in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt war.
„Die Zustimmung von Elisabeths Vater habe ich“, erzählte der junge Mann. „Er schien sogar recht froh gewesen zu sein, dass sich jemand seiner Tochter annehmen möchte.“
„Was bei dieser Kratzbürste wohl kein leichtes Unterfangen sein wird“, erwiderte von Einsiedel lachend. „Seit über zwei Wochen sitzt sie hier fest. Aber den Namen des Vaters ihres Kindes hat sie immer noch nicht ausgeplaudert. Nicht einmal Schläge haben geholfen. Ein stures Weib ist sie, fürchterlich. Dabei wächst ihr Leib von Tag zu Tag mehr. Das Kind müsste bald geboren werden, wenn ich mich recht entsinne.“
„Vielleicht löst es ihre Zunge, wenn sie erfährt, durch die Heirat mit mir von der Schande befreit zu sein“, entgegnete Johann. „Ihr Kind in Sicherheit zu wissen, wird ihren Stolz hoffentlich ebenso brechen.“
„Wenn ihre Zunge genauso spitz ist wie ihre Fingernägel, dann Gnade Ihm Gott.“ Von Einsiedel lachte schallend. „Entschuldige Er mir“, besann er sich aber. „Ich kann es mir kaum vorstellen, dass Er es vollbringt, dieses Weib zur Räson zu bringen. Es hat Haare auf den Zähnen. Wenn es mir schon nicht gelungen ist, sie zur Einsicht zu bringen. Ich wünsche Ihm aber viel Glück. Und nun gehe Er zu seiner Braut und überbringe ihr die erfreuliche Nachricht.“ Friedrich Heinrich von Einsiedel erlaubte seinem Sekretär, sein Kontor zu verlassen und wandte sich wieder seiner unterbrochenen Arbeit zu.
Bereits zum zweiten Mal an diesem Tag stieg Johann die steile Treppe in den Keller hinab. Dieses Mal war er allein. In einer Hand trug er eine Laterne, die ihm zusätzliches Licht spendete. Johann war aufgeregt. Hinter einer dieser dicken Türen vegetierte seine Braut vor sich hin. Schon bald würde er vor ihr stehen und um ihre Hand anhalten. Wie froh war er, bereits das Einverständnis des Vaters und seines Dienstherrn zu haben. So konnte er Elisabeth wenigstens die Warterei darauf ersparen. Wenn er Glück hatte, würde das Mädchen noch heute in ein Zimmer der Mägde umziehen. Zeit dazu wurde es.
Johann blieb vor der Tür zu Elisabeths Gefängnis stehen. Er holte noch einmal tief Luft, ehe er den schweren Riegel öffnete. Er fand Elisabeth so vor, wie er sie verlassen hatte. Sie schien sich seitdem nicht bewegt zu haben.
„Elisabeth, geht es dir gut?“, stieß er aus, als er ihre verzweifelt blickenden Augen sah.
„Was wollt Ihr schon wieder? Ich habe nicht alles gesagt, was ich sagen wollte. Denkt nicht, Ihr könnt mich umstimmen“, kam es stolz von Elisabeth.
„Aber nein“, Johann trat zu dem Mädchen und hockte sich neben sie. Lächelnd blickte er Elisabeth an. „Ich bin wegen etwas gang Anderem gekommen und erhoffe mir, ich bekomme eine wohlwollende Antwort von dir.“
Fragend schaute die junge Frau ihn an. Sie konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, was dieser impertinente Kerl, den sie weiß Gott nicht ausstehen konnte, von ihr wollen könnte.
Nun nahm Johann seinen ganzen Mut zusammen. Er musste es wagen. „Elisabeth“, begann er und schluckte den Frosch, der sich in seine Kehle verirrt hatte, hinunter. „Elisabeth, ich weiß, du liebst mich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob du mich magst. Trotzdem möchte ich es wagen, dich um deine Hand zu bitten. Werde meine Frau, lebe an meiner Seite. Ich verspreche dir, immer ein guter Ehemann und auch dem Kind, das unter deinem Herzen heranwächst, ein guter Vater zu sein.“
Erschrocken schaute Elisabeth den Mann an. Hatte sie richtig gehört? Er bat sie, seine Frau zu werden. Sie konnte es nicht verstehen. Und trotzdem wusste sie, ihr Gehör spielte ihr keinen Streich. Sie wollte nicht die Gattin dieses schleimigen Kerls werden. Nein, auf keinen Fall! Aufgebracht sprang sie auf. Wutentbrannt starrte sie Johann an. Sie glaubte es kaum. „Wie könnt Ihr es wagen!“, schrie sie ihn, außer sich vor Zorn, …an. „Niemals werde ich Eure Frau! Ich liebe Euch nicht. Das wisst Ihr genauso gut wie ich. Nein! Nein! Und nochmals Nein!“ Elisabeth atmete schwer. Als sich Johann nicht rührte und sie nur erschreckt über ihren Ausbruch anstarrte, schrie sie ihn nochmals an. „Verschwindet von hier. Lieber will ich in diesem elendigen Loch verrotten, als Eure Frau zu werden!“ Sie zeigte mit dem Finger auf die Tür. „Geht! Ehe ich mich vergesse und Euch in die Nüsse trete!“
Nun sprang Johann auf. „Aber Elisabeth. Nun beruhige dich doch. Ich will dir nichts Böses. Ich will dir nur Gutes tun. Versteh doch!“
„Seid Ihr taub, oder was?“, brüllte Elisabeth nochmals. „Geht! Ich sagte Euch bereits, ich will nicht Eure Frau werden!“
„Aber… bitte, so höre doch…“, weiter kam Johann nicht. Elisabeths Hand klatschte auf seine Wange. Johann schüttelte sich. Die Frau hatte einen Schlag drauf, der es in sich hatte. „Ist das dein letztes Wort?“
„Rede ich eine fremde Sprache oder weswegen versteht Ihr mich nicht?“, knurrte Elisabeth und wandte sich ab. Starr blickte sie auf die Wand und tat so, als wäre Johann Luft. „Was?! Geht endlich!“, zischte sie wie eine Schlange.
Johann hatte begriffen und schlich wie ein geprügelter Hund aus dem Verlies. Nachdem er den Riegel vorgelegt hatte, knickten ihm die Beine weg. Er sank zu Boden. Seufzend lehnte er seinen Kopf gegen die Tür. Was hatte er nur falsch gemacht? Warum nur hasste Elisabeth ihn so sehr, dass sie es nicht ertragen konnte, ihn in ihrer Nähe zu wissen. Dabei war er so sicher, sie würde auf ihn eingehen. Erst heute Morgen, als er sie nach den brutalen Schlägen von Einsiedels tröstete, war er sich sicher, sie war ihm angetan. Aber nun?
„Seid Ihr immer noch da?“, hörte er auf einmal Elisabeth hinter der Tür toben. Sie trat gegen das Holz, dass es bebte. „Verschwindet!“
Johann erhob sich schwerfällig. Er mochte die Stimme der Frau nicht mehr hören. Sollte sie doch in diesem Loch bleiben, bis es dem Herrn einfiel, sie in die Freiheit zu entlassen. Ihm ging es nichts mehr an. Er verstand nur den Grund nicht.