Greiz, im Reußischen um 1781
Nachdenklich stand Elisabeth am Herd. Wie immer, wenn sie allein war, kamen die Erinnerungen an ihre Eltern und ihre Heimat über sie wie ein Orkan, der alles in ihrem Kopf durcheinanderwirbelte und sie ganz kirre machte. Elisabeth war schon so viele Jahre von zu Hause weg. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, dabei waren es gerade mal sechszehn Jahre. Trotzdem hatte sie immer noch Sehnsucht nach ihren Eltern und auch ihrem Kind, das sie aufgrund ihrer kopflosen Flucht nicht aufwachsen sehen konnte. Doch bleiben konnte sie in diesem kleinen Dorf im Altenburgischen auch nicht. Zu groß war die Scham über ihre Unzucht, zu sehr ärgerte sie sich über das Gerede der Leute.
Obwohl im Badehaus recht viel Betrieb war, konnte sie sich oft genug zurückziehen, ohne dass es Peter, der Bader bemerkte. Speisen und Getränke servierte eine weitere Magd, während es Elisabeths Aufgabe war, die Bottiche mit genügend heißem Wasser zu befüllen, neue Tücher zum Abtrocken bereitzulegen und diese nach Benutzung am Abend zu waschen.
Allerdings gab es da noch etwas, für das Elisabeth verantwortlich war. Einige Herren beanspruchten einen besonderen Dienst, bei denen sich die anderen Mägde im Badehaus weigerten. Dann musste Elisabeth ran und die Herren bedienen. Das gab zwar mehr Geld, das sie von Anfang an sparte, doch gern tat sie es trotzdem nicht. Inzwischen hatte sie einiges zusammengekratzt, was sie für ihre Zukunft verwenden wollte. Wenn nur der schlechte Ruf nicht wäre, der ihr durch diese Tätigkeit anhaftete. Oft genug wurde sie von den Weibern in der Stadt als Metze beschimpft, obwohl sie es eigentlich nicht war. Sie arbeitete nicht in einem Hurenhaus, sondern im Badehaus. Doch das war für viele Leute in der Stadt das Gleiche.
Elisabeth erinnerte sich an ihre Kindheit in Lumpzig, viele Meilen von Greiz entfernt. Wie lange war das nur her? Sie rechnete nach. Sechszehn Jahre. Ob Hans Schumann, der Vater ihres Kindes, noch lebte? Was war aus dem Kind geworden, das sie ihm in ihrer Not vor die Tür legte, danach spurlos verschwand und ihn dadurch zwang, das ungewollte Kind aufzunehmen und sich darum zu kümmern. Im Dorf pfiffen es zuletzt die Spatzen vom Dach, dass der vermählte Müllermeister der Vater von Elisabeths Bastard war. Die Scham, unverheiratet schwanger zu gehen, lastete schwer auf ihren Schultern. Gottlob blieb sie seitdem von weiteren Schwangerschaften verschont.
Dann Elisabeths Eltern, die Schefflers. An sie dachte die inzwischen gereifte Frau sehr oft. Ob Vater und Mutter den Schmerz über den Verlust der Tochter verwunden hatten? Sie wusste es nicht. Hatten sie womöglich das Enkelkind bei sich aufgenommen und großgezogen, falls Hans sich geweigert haben sollte, selbiges zu tun? Auch dies entzog sich Elisabeths Kenntnis. Sie hatte auch nie Erkundigungen gemacht oder machen lassen, um etwas darüber zu erfahren. Zu sehr nagte die Scham, aber auch das Leid über den Verlust ihrer Heimat und ihrer Lieben an ihr.
Plötzlich schoss der Bademagd eine Idee durch den Kopf. Was wäre, wenn sie aus Greiz fortging und in ihr Heimatdorf zurückkehrte? Wäre sie willkommen oder würde sie in Schimpf und Schande davongejagt werden? „Mehr als schiefgehen kann es nicht“, machte sie Selbstgespräche.
Es wäre wohl besser für sie, wenn sie Greiz verließe und ganz neu anfing. Sollte sie bei ihren Eltern nicht mehr willkommen sein, würde sie einfach weiterziehen und woanders ihr Glück suchen.
Schlimmer als hier in Greiz konnte es nicht mehr werden. Geld hatte sie genug, um irgendwo neu anfangen zu können. So viel Streit, wie es in den letzten Monaten mit Peter gab, konnte sie fast nicht mehr aushalten. Obwohl sie gewissenhaft und sehr viel mehr als die anderen Mägde arbeitete, hatte der Badehausbesitzer immer etwas an ihr auszusetzen. Sie sprang sogar für die anderen ein, wenn diese dem Nichtstun frönten, und verriet sie nicht an den Bader. So hatte sie ihnen oft genug eine Tracht Prügel von Peter erspart, denn der Bader schwang gerne die Peitsche, wenn ihm etwas zuwiderlief oder jemand nicht nach seiner Pfeife tanzte. Sie selbst konnte ihm nichts recht machen. Es verging fast kein Tag, an dem er sie nicht schlug oder demütigte. Es kam außerdem bereits mehrmals vor, dass er sie gegen ihren Willen nahm. Ihr Gezeter und die Gegenwehr nützte nichts, Peter tat es trotzdem. Sie ersann schon, ihn bei der Obrigkeit anzuzeigen. Aber wer mochte schon einer Bademagd Glauben schenken, die auch Männern für Geld zu Diensten war.
„Stehst du schon wieder untätig herum und stierst Löcher in die Luft?“, polterte der Badehausbesitzer Peter lautstark, als er von der Badestube in die Küche herüberkam. Er erhob die Hand, um Elisabeth zu ohrfeigen.
Während sie in sich ging und überlegte, wollte Elisabeth den nächsten Eimer heißes Wasser aus dem riesigen Kessel schöpfen. Beinahe hätte sie den Eimer fallen lassen. Sie stellte ihn ab und stemmte erbost die Hände in die Hüften. Grimmig schaute sie Peter an. „Ich habe immer was zu tun und schwerhörig bin ich auch nicht, dass du schreien musst“, blaffte sie zurück. „Geh mir aus dem Weg. Ein Gast verlangt nach mehr heißem Wasser.“ Sie schubste Peter beiseite, nahm den Eimer wieder auf und wollte die Küche in Richtung Badestube verlassen.
„Musst du immer das letzte Wort haben!“, schrie der Bader Elisabeth an. Seine Hand landete in ihrem Gesicht, wo sie auf der Wange der Frau einen roten Abdruck hinterließ. Sie torkelte und wäre fast gestürzt. Im letzten Moment konnte sie sich fangen, geriet aber mit einer Hand an die glühend heiße Herdplatte. Schmerzgeplagt aufschreiend ging Elisabeth auf Peter los. Sie ließ den Eimer fallen und trat in ihrer Not mit voller Wucht in sein Gemächt.
„Du Schwein!“, schrie sie ihn an. „Frauen schlagen kannst du gut! Kein Wunder, dass es keine Magd lange bei dir aushält!“
„Weib! Elendes!“, jaulte der Badehausbesitzer auf und griff nach Elisabeths Bein. Er zerrte wie wild, dass nun auch diese zu Fall kam.
Peter hatte Kraft, sehr viel Kraft. Für eine zarte Frau wie Elisabeth zu viel. Er riss sie zu Boden und wälzte sich über sie. „Dir werde ich es zeigen, wer der Herr im Hause ist!“, knurrte er sie an und bleckte die Zähne. Während er mit einer Hand Elisabeth zu bändigen versuchte, nestelte er mit der anderen an seinem Hosenlatz.
„Mich zu quälen, macht dich wohl an, du Hurenbock!“, keifte Elisabeth ihn an. Sie versuchte, mit den Beinen zu strampeln und den schweren Mann von sich zu stoßen. Leider verhedderte sie sich in ihren Röcken und war daher wie gefesselt.
„Halt still, du Metze!“, befahl ihr Peter und befreite sein Gemächt endlich aus seiner Hose. Er war bereits erigiert.
„Hurenbock! Saukerl!“, geiferte Elisabeth und zappelte noch mehr. Endlich gelang es ihr, einen Arm freizubekommen. Sie kratzte und biss. Erwischte Peter sogar unter dem Auge. Blut tropfte in ihren Ausschnitt, als er sich über sie beugte. Er keuchte, mühte sich ab, Elisabeths Röcke hochzuschieben.
In einem unbedachten Moment ergriff sie die Gelegenheit zur Gegenwehr. Genau in dem Augenblick, als er sich zurechtlegen wollte, riss sie ihn am Kragen und stieß ihn von sich.
Peter plumpste wie ein nasser Sack mit heruntergezogenen Hosen zur Seite und knallte mit dem Kopf an den Eimer mit dem heißen Wasser. Der fiel um und ein Teil des Inhalts ergoss sich über das Gesicht des Mannes. Vom Schmerz gepeinigt schrie Peter auf, dass es Elisabeth in den Ohren klingelte.
Während sich Peter voll Pein am Boden wälzte, rappelte sich die Frau auf. Voller Hohn blickte sie auf den Kerl zu ihren Füßen. „Das hast du nun davon, du Schwein!“, sagte sie mit spöttisch klingender Stimme und grinste hämisch. „Jahrelang habe ich mir deine Mätzchen gefallen lassen. Ich habe mich sogar für dich anderen Hurenböcken für Geld hingegeben, nur um mich dafür von dir drangsalieren und demütigen zu lassen. Nicht einmal vor Vergewaltigung schrecktest du zurück!“ Sie stieß den halb ohnmächtigen Mann mit dem Fuß an. Peter wimmerte jetzt nur noch. Ihren eigenen Schmerz spürte Elisabeth vor Aufregung kaum.
„Hilf mir hoch. Ich sehe kaum etwas“, bettelte der Bader herzerweichend.
„Hilf dir selbst, du Hurenbock!“, spie Elisabeth angewidert aus. Sie bückte sich und zerrte an Peters Geldkatze, die er immer an seinem Gürtel trug. „Ich nehme mir nur, was mir zusteht“, kommentierte sie ihr Tun. „Wage es nicht dich zu wehren oder mir mein zustehendes Geld zu verwehren!“, drohte sie Peter, als dieser versuchte, sie abzuwehren. „Du bist mir noch den Lohn für die letzten drei Monate schuldig“, sagte sie und nahm einige Münzen aus dem Beutel. Sie zeigte sie ihrem Peiniger. Auf der flachen Hand lagen sechs Silbermünzen. „Und die sind zur Wiedergutmachung er erlittenen Qualen“, kommentierte sie die weiteren sechs Münzen, die sie nun herausnahm. „Und jetzt. Auf Nimmerwiedersehen“, sagte sie noch und spuckte den Bader vor die Füße. Sie nahm ihr Tuch vom Haken neben der Tür und legte es sich um. „Ein wenig Wegzehrung brauche ich ja auch noch“, fiel ihr gerade noch ein. Flugs verschwanden je ein Laib Brot und Käse, sowie etwas Schinken in einem Beutel.
„Diebin! Ich werde dich von den Stadtwachen verhaften und in den Kerker werfen lassen“, fluchte Peter.
„Ich habe dafür gearbeitet. Kost und Logis waren inbegriffen“, erinnerte ihn Elisabeth. „Es steht mir zu, auch wenn ich gerade gekündigt habe.“ Damit drehte sie sich endgültig und ging zur Tür, die aus der Küche in den Hinterhof führte. „Versuche nicht, mir zu folgen. Du wirst es sonst bereuen“, drohte sie noch einmal, ehe sie die Tür hinter sich zu zog und mit flinken Füßen verschwand.
Zurück blieb der schmerzgepeinigte Bader, der nicht wusste, wie ihm geschah und wie es jetzt ohne die fleißige und willige Elisabeth mit dem Badehaus weitergehen sollte. Vor allen Dingen, wer sollte nun die Herren mit den gewissen Wünschen bedienen? Ein großes Problem, vor dem der Bader nun stand.