Kapitel 11-
„Findest du auch, dass Damian in letzter Zeit oft mit dieser Evelyn rumhängt?“ Kiran richtete seine Krawatte und schaute sich dabei im Spiegel an. Seine Haare waren mit der Zeit gewachsen und schmeichelten seinem Gesicht nur umso mehr.
„Ja, sie hängt ziemlich an ihm.“ Ich suchte mir gerade die passenden Ohrringe zu meinem Kleid.
„Sie an ihm? Meinst du nicht, es ist eher andersrum?“ Kiran gab das Krawatte binden auf und versuchte sich an einer anständigen Fliege.
„Er ist dein bester Freund.“ Warf ich ein.
„Ja schon… Und das macht mir sorgen, verstehst du?“ Ich kam zu ihm in den Flur und sah ihn ungläubig an.
„Sorgen darum, dass er bald keine Zeit mehr für dich hat, weil es bald offiziell zwischen den beiden werden könnte?“
„Was! Nein, niemals. Ganz und gar nicht.“ Kiran schüttelte den Kopf und ließ sich nicht anmerken, dass er zwei linke Hände hatte.
„Ist das so abwegig?“ Fragte ich ihn, drehte ihn zu mir und begann seine Fliege zu binden.
„Das ist mir peinlich.“ Kiran wurde rot.
„Was? Dass du eifersüchtig auf Evelyn bist?“
„Quatsch! Dass ich nach so vielen Leben, noch immer keine Fliege binden kann.“ Ich hob meine Augenbraue und sah ihn an.
„Wahrscheinlich hattest du Hofdamen und Angestellte, die das für dich gemacht haben.“ Zog ich ihn auf und klopfte ihm auf die Brust.
„Perfekt! Haha, soo lange reichen meine Leben auch nicht zurück.“
„Wann bist du das erste Mal geboren?“ Schoss die Frage aus mir heraus.
„Mein erstes Leben, lebte ich in England, zur viktorianischen Zeit. Ich wurde im selben Jahr, wie die damalige Queen geboren. Weißt du wann das war?“ Ich passte, lächelte stattdessen interessiert.
„1819. Ich wurde am 3.Mai 1819 geboren.“ Kirans Augen schauten in weite Ferne.
„Kanntest du Victoria?“
„Queen Victoria, wenn ich bitten darf. Ruhe sie in Frieden.“ Kiran schwieg kurz, als würde er ein Gebet in seinem Kopf sprechen. „Nein, ich kannte die Queen nicht. Aber ich habe mich immer sehr verbunden mit ihr gefühlt. Wie alle anderen eigentlich auch, die im selben Jahr wie sie geboren waren.“
„Wie war das so, damals meine ich?“
„England wurde erst unter Queen Victorias Heerschaft zu dem, was es heute ist. Die Queen hat unser Land zur führenden Weltmacht gemacht. England ist zu ihrer Zeit, in seiner Blüte gewesen.“ Kiran schien viel von seiner damaligen Königin zu halten.
„Die Queen war bezaubernd, ich würde nur zu gern wissen, wer aus ihr geworden ist.“ Er zupfte an seinem dunkelblauen Anzug herum und richtete das Revers. Die Graue Fliege, passte perfekt zu meinem Kleid. Als wir so nebeneinander standen, sahen wir aus wie ein Team, als würden wir zusammen gehören.
„Wer aus ihr geworden ist?“ Ich hob meine Augenbraue und legte den Kopf in den Nacken. Hatte ich richtig verstanden?
„Ja, die Jäger gehen davon aus, dass alle Menschen wiedergeboren werden. Nur mit dem Unterschied, dass nicht alle sich erinnern und das macht uns besonders.“ Ich nickte.
„Und wer entscheidet das?“
„Es passiert einfach.“ Seine Grübchen tauchten wieder auf. „Miss Saterlee, lass dich ansehen.“ Kiran nahm meine Hand und wirbelte mich einmal quer durch den Flur. Mein Graues, Knielanges Kleid, weitete sich unter meinen Drehungen. Der Traum jedes kleinen Mädchens .
Es hatte einen Tüllrock und eine mit Spitze verzierte Korsage. Die ¾ Ärmel bestanden aus Tattospitze und ich trug dezente, ebenfalls Graue High Heels dazu.
„Du siehst aus, wie nicht aus dieser Welt.“ Ich lachte und Kiran zog mich nahe an seine Brust. Ich konnte sein Herz schlagen fühlen. Mir stieg die Hitze durch den Körper und mein Atem stockte. Seine Augen sahen auf mich runter und seine Hände umfassten meine Taille. Ich schluckte, sah ihn an und er presste mich noch näher an sich. Unsere Nasen berührten sich und seine Lippen legten sich auf meine. Er küsste mich zärtlich und ich liebkostete jede einzelne Sekunde. Es kam nicht oft vor, dass er mich küsste, deswegen fühlte es sich immer wieder an, wie das allererste Mal.
Heute war der Sommerball. Die Schule veranstaltete zu jedem Jahreswechsel einen. Ich war gerademal bisschen mehr als 3 Monaten auf der Schule und schon musste ich mich dazu überwinden, an diesen oberflächlichen Veranstaltungen Teil zu nehmen.
Kiran und ich gingen als Paar dorthin. Es war schnell rum gegangen, dass wir bereits zusammen wohnten und damit fingen auch die Gerüchte an. Aber ich hatte mich damit abgefunden, dass Kiran nun mal zu „Der Elite“ an der Schule gehörte und sich die Welt, wirklich um ihn drehte. Und ich war ein Teil davon, Teil von seiner Welt.
Wir stiegen aus dem Auto aus. Es fühlte sich noch immer komisch an, von allen Seiten beobachtet zu werden. Meine Mitschülerinnen beneideten mich um mein Leben, aber sie sahen nur das, was wir sie sehen ließen. Sie hatten keine Ahnung, wie ich an Kirans Seite gelandet war und sie wussten auch nicht, was da zwischen uns war. Im Grunde genommen wusste ich das auch nicht. Wir spielten das perfekte Paar, aber im Grunde waren wir nichts als Schauspieler, die sich an ein Drehbuch hielten und langsam, reichte mir das nicht mehr. Ich wollte, dass es echt war. Aber hatte das überhaupt Platz in unseren Leben? Kiran wurde von dem Bund der Dämonenjäger pausiert, um sich ganz auf mich zu konzentrieren und um rauszufinden, weshalb ich doch so anders war, als sie alle. Doch noch immer ohne Erfolg. Ich spürte, dass ihm das zusetzte nicht weiter zu kommen und ich merkte, dass er seinen „Job“ vermisste.
„Damian!“ Rief Kiran über den halben Parkplatz und winkte ihn aufgeregt zu uns her. Er sah in unsere Richtung und wirkte etwas angespannter als sonst. Allerdings schien Kiran das gar nicht zu bemerken.
Damians Schritte waren Bestimmter als sonst, er hatte einen überaus stolzen Gang und sein Blick war steif auf uns gerichtet.
Auf halben Weg blieb er allerdings stehen und begrüßte ein Mädchen, das sich bei ihm unterhakte. Als sie näher auf uns zukamen, erkannte ich die kupferfarbenden Haare sofort wieder und auch Kiran entging das nicht. Damian war tatsächlich mit Evelyn gekommen. Kirans Schultern verloren etwas an Spannung, doch er hielt sich aufrecht. Er hatte mir erzählt, dass Damian noch nie mit Begleitung zum Jahreswechselfest gekommen war. Das waren auch die einzigen Feste, an denen er teilnahm.
Wow, mir blieb der Atem weg. Evelyn war wunderschön und unter dem Licht des Mondes, strahlte ihre blasse Haut. Sie sah aus, wie ein Kunstwerk aus Porzellan aber keinesfalls so zerbrechlich.
Auch Kirans Augen hefteten sich an Evelyns perfekte Figur, die in einem Kirschroten, Knielangem Kleid steckte. Der Tüll funkelte und überall waren verspielte Verzierungen und kleine, rote und schwarze Perlen. Sie war umwerfend und das setzte mir zu. Kiran sah sie länger an als mich und das versetzte mir einen Stich, mitten ins Herz.
„Wie ich sehe, hältst du nicht an alten Gebräuchen fest, alter Freund.“ Endlich sah er in Damians Augen.
„Nein, ein kleiner, ungeplanter Zwischenfall zwang mich dazu, diese Tradition zu unterbrechen.“ Damian sagte das mit so einer ernsten Stimme, dass ich keinerlei Sarkasmus darin erkennen konnte. Im Gegensatz zu Kiran, er lachte lauthals los.
„Na gut Damian, ich lass das mal so stehen. Aber in Sachen Romantik, musst du dich noch etwas ausbauen.“ Kiran nahm meine Hand, aber das knistern blieb weg. Wieso?
Er bemerkte das, aber meine volle Aufmerksamkeit galt Damian und Evelyn.
Ich entschied mich für Grau, weil ich nicht auffallen wollte. Ich war das einzige Mädchen, das nicht eine Farbe des Regenbogens vertritt und fiel in der Menge deshalb auf, wie ein bunter Hund.
Ich setzte mich an den Tisch, den Kiran für uns reserviert hatte und fasste mir an die Schläfen. Ich saß allein dort, bis Damian auf mysteriöse Weise mit einem Glas Whisky vor mir stand. Sein Anzug war sehr schlich. Schwarz weiß und unauffällig. Außer die Krawatte, die passte perfekt zu Evelyns Kleid.
„Die hat Evelyn ausgesucht.“ Als hätte er meine gelesen, setzte er sich zu mir und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Die Halle war riesig, die Musik sehr gut und die Getränke und Speiseauswahl riesig. Aber mir war einfach nicht nach Feiern zumute. Irgendwas zog mich runter.
„Hast du nicht gesagt, du wärst dir nur mal kurz die Nase pudern Ina?“ Damian nahm einen Schluck und sah mich herausfordernd an.
„Ja, ich wollte nur mal kurz…“
„Kurz mal weg von allem?“ Er tat es schon wieder. Aber ich nickte zustimmend. Mir war nicht danach, mich mit ihm zu streiten. Auch wenn ich noch immer ein komisches Gefühl in seiner Nähe hatte, aber Heute war mir das Egal.
„Was machst du hier?“
„Weg von allem. Ich hasse diese Feste.“ Damian sah in die Tanzende Menge.
„Ich dachte, hier gäbe es kein Alkohol.“
„Gibt es auch nicht, ich bringe mir immer meinen eigenen mit. Das ist sonst nicht auszuhalten. Ich bin zu alt, für solche Albernheiten.“
„Du bist gar nicht so viel älter als ich Damian.“
„Ha! Das sagst du. Ich fühle mich so, als würde ich seit dem ersten Sonnenstrahl existieren, den Gott auf die Welt geschossen hat.“
Ich grinste.
„Niemals hätte ich gedacht, dass du Gläubig bist.“
„Wieso?“
„Du wirkst nicht so.“
„Weil ich anders bin, als die, die Gott verehren?“
„Wenn du es so ausdrücken willst, dann Ja. Du wirkst nicht so wie die.“
„Liegt daran, dass ich Gott nicht verehre. Ich verachte ihn.“ Damian leerte das Glas mit einem Schluck. „Bist du Gläubig?“
„Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“ Das hatte ich wirklich noch nie. Ich hab immer nur in den Tag gelebt und war froh, als er vorbei war.
„Interessant.“ Damians Augen funkelten wie zwei rote Rubine. Ich konzentrierte mich darauf, mich nicht in ihnen zu verlieren.
„Wo ist Evelyn?“
„Sie ist mit Kiran, irgendwo auf der anderen Seite des Saals. Soll ich ihn holen?“
„Nein!“ Ich biss mir auf die Zunge. „Nein, schon gut. Lass ihn nur.“
„Dich stört es nicht, dass die beiden vermutlich tanzen?“ Ich schluckte. Damian wusste genau, welche Fragen er stellen musste, um mich aus der Reserve zu locken.
„Ich hab nichts dagegen.“ Versuchte ich überzeugend zu antworten.
„Ich bin nicht überzeugt.“ Damian grinste dreckig und schaute Finster drein.
„Ich kann nicht tanzen und Kiran tanzt gerne. Ich denke, es ist nur fair, ihn mit jemandem tanzen zu lassen, der ihm nicht ganze Zeit auf die Füße tritt.“
„Dann trete mir auf die Füße.“ Damian stellte sein Glas auf den Tisch und stand auf, streckte mir die Hand entgegen und sah mich an. Was war das für ein gefährliches Spiel, das ich bewusst nicht umgehen wollte?
Kurz zögerte ich, für meinen Geschmack, viel zu kurz. Schon lag meine Hand in seiner und er zog mich sanft hinter sich her, mitten auf die Tanzfläche.
Ich erkannte das Lied. Es war die Piano Version meines Lieblingslieds. Damian legte seine Hände um meine Taille und zog mich nahe an sich heran. Es war mir etwas unangenehm und ich zierte mich ein wenig, doch eigentlich rauschte mein Blut so schnell durch meine Adern, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Damian lehnte sich zu meinem Ohr vor. „Er tanzt irgendwo hier mit meiner Begleitung, zu demselben Lied. Du musst dich nicht schlecht fühlen. Du bist ihm nichts schuldig.“ Seine Stimme so dicht an meinem Gesicht, ließ mich eine Gänsehaut bekommen. Damian war gefährlich, aber das Risiko reizte mich.
Und dann tat ich etwas, dass ich von mir selbst nicht erwartete, ich schlang meine Arme um seine Schultern und ließ mich auf das Spiel mit dem Feuer ein.
„Sehr gut, Flämmchen.“
Er presste seinen Körper dicht an mich und seine Hände glitten runter zu meinen Hüften, fast schon etwas zu weit runter. Aber ich konnte nichts dagegen tun, er zog mich in seinen Bann. Damian führte mich ausgesprochen gut, sodass ein Lied, nach dem nächsten verging. Ich vergaß alles um mich herum, alles und jeden und die Konsequenz, die auf mich wartete, wenn ich aus seinen Fängen schaffte.
Doch in diesen Minuten, fühlte ich mich lebendig. Lebendiger als je zuvor und ich wusste, dass ich sündete.