„Ich schwöre dir, seit ich meine Augen habe machen lassen“, Schwiegermama meint Lasern oder so was, so ganz blicke ich da nicht durch, „sehe ich viel besser.“ Na, das sollte auch so sein, nehme ich an. „Meine Gardinen sind gar nicht Grau.“ Echt? Ich lache, nicht mal übertrieben oder gekünstelt. „Die sind Weiß.“
„Was du nicht sagst. Und ich wette, du hast sie immer gewaschen und dir gedacht: wieso sind die schon wieder dreckig.“
„Nee, das habe ich den Vadder machen lassen. Waschen ist viel zu anstrengend“, sagt die Frau, die zwischen den Fensterrahmen so ne Klemmgardine stecken hat, darüber eine Ziergardine: zweigeteilt oben und unten (die mit so kleinen Nägelchen), darüber dann die Leiste in der Decke mit der Übergardine und obendrauf die Vorhänge. Wenn man bei Schwiegereltern zu Besuch ist, trägt man Zwiebel-Look in mindestens genauso vielen Schichten wie am Fenster hängen. Allein, damit man jede Stunde ein Teil ausziehen kann.
Beliebtester Spruch zur Weihnachtszeit: „Kind, zieh dir was an, mir ist kalt.“
Könnte sein, dass sich das jetzt ändert in: „Kind, ich schwöre dir, die Gardinen sind gar nicht Grau.“ Oder so.
Ich führe an, dass ihr werter Herr Sohn auch schon so eine Augen-Laser-Sache hinter sich hat. Aber von dem Thema kommen wir schnell ab. Wenn wir reden, reden wir nie lange und schon gar nicht über mich oder ihren Sohn. Lieber über den Enkel. Den man viel zu selten sieht, aber im Hintergrund hören kann und der jetzt gerade „Tata“ mit Begeisterung ruft. Von wegen: Tatü-Tata.
Oma hört: „Ja, genau mein Schatz hier ist deine Oma Tata“. Wo genau in Gertrude kommt ein Tata vor? Inzwischen reden wir über eines der anderen Enkelkinder. Sie redet, ich nicke, hmmhe und warte ab. In der Regel verstehen wir uns gut, weil wir eben nie lange reden. Sie ist nicht so der Quatsch-Typ. Jedenfalls nicht mit mir oder ihrem Sohn.
Und da passiert es, wir sprechen über Regensburg. Warum mussten wir auch sooo weit wegziehen. ich schlage vor man könne sich ja auf halbem Weg treffen. Aber das ist ja auch doof. Schön, noch versteckte Vorwürfe unterbringen. Ich lass das mal abperlen und schaue dem zu Boden tropfendem schlechten Gewissen nach.
„Also ich war ja Montag da, hab mir die Augen machen lassen.“ Hm, sagtest du schon, macht ja nichts. „Und was soll ich dir sagen, Liebes. Ich schwöre dir, ich sehe jetzt viel besser, aber nur mit dem einen Auge, das andere kommt erst noch dran. Und du glaubst es nicht.“ Doch doch, Schwiegermama ich ahne es. Geht es zufällig um die Wahrnehmung von Farbintensitäten und Grauschleiern? „Meine Gardinen, die sind gar nicht Grau.“
„Nein.“
„Die sind Weiß.“
Das ist so hart, ich weiss grad nicht, ob ich sie darauf aufmerksam machen soll, oder nicht. Entscheide mich aber für ein nonchalantes: „Hattest du erwähnt. Freut mich total, dass das bei dir mit der Augen OP so gut verlaufen ist.“ Und wir drehen uns im Kreis. Zwanzig Minuten dauert es diesmal. Ich bin kurz davor meinem Kind das „Tata“ wegzunehmen, weil ich weiss, dass er dann anfängt zu kreischen. Dann könnte ich mich elegant aus der Affäre ziehen. Ich bin doch kein schlechter Mensch, ich weiss nur nicht was ich mit ihre reden soll. Wenn sie das gleich noch mal sagt, leiste ich den Schwur ihr zu Weihnachten Dr. Beckmann’s Gardinenweiß zu schenken.
Aber sie muss jetzt eh los. Puh Glück gehabt. Sie legt in einem Satz auf: „Also bestell liebe Grüße und drück den Kleinen von uns, wir hören uns und Danke und Tschüss.“ Dieses „und Danke“ ist schon vorausahnend ausgesprochen auf mein: „Mach ich, du auch, grüß den Schwiegervadder und so…“ Aber das braucht sie nicht, das impliziert sie wie eh und je und es tutet schon. Mein Kind hält das Spielzeugauto hoch: „Tata.“ Jap: das ist Oma Gertata.