Er stockte, als er sich an der Flosse weiter festhielt. Die Strömung riss an seiner Haut, wollte ihn wegzerren, so schnell drangen beide in die Tiefe vor. Das Rauschen wurde von dem Dröhnen in den Ohren betäubt. Der Druck, je länger sie schwammen, nahm überhand. Er wollte sich an die Ohren fassen, um damit dem Schmerz zu entgehen. Doch dann würde er im endlosen Ozean allein versinken. Trotz der Freiheit, die ihm dort blühte, sehnte er sich nach noch mehr.
Der Fisch schwamm und verschwand, als sie eine Barriere durchbrachen. Seine Lungen füllten sich mit Luft, er amtete sie ein. Sonnenstrahlen wärmten seine Haut. Er strich über die knochige Hand, als würde er sie einfangen können.
Seine Füße kamen auf einem Rasen zum Stehen. Seine Lungen füllten sich mit noch mehr. Verschiedenste Düfte drangen ihm in die Nase. Ein süßlicher Geruch, als er sich hinkniete und das Veilchen in die Finger nahm. Die zärtliche Blüte schmiegte sich an seine Haut. Das Gras kitzelte auf der Handinnenfläche, als er darüberstrich.
„Deine Freiheit sei dir geschenkt!“, sagte die Stimme in seinem Kopf. Er nickte und verstand. Der Fisch würde ihn verlassen. Er war ein wenig wehmütig, bedankte sich aber. Seine Stimme kratzte ihm in der Kehle, als er sich räuspern wollte. Doch sie versagte ihren Dienst.
Er nahm einen weiteren angenehmen Duft wahr. Frisch und drängend, wodurch sein Magen knurrte. Er erkannte frisch gebackenes Brot, dass seinen Hunger animierte. Er aß es genüsslich auf, als er im Rasen ein Brot fand. Es war noch warm und er überaß sich. Sein Magen tat ihm weh, doch er rieb ihn sich genüsslich. Voller Freude schlief er ein.
Mit dem Kopf auf den Händen wartete er ab, bis er den Moment gänzlich auskosten konnte. Seine Gedanken schweiften ab, er dachte an seine Vergangenheit, seine Familie, sein Leben. Seine Arbeit. Sein Zuhause. Keine Freiheit. Sein Lächeln erstarb.
Seine Landschaft bröckelte wieder, seine Emotionen rissen ihn auf den Boden der Tatsachen zurück.
Sein Glücksgefühl verschwand. Die bekannte Dunkelheit brach über ihn ein, beängstigte ihn, obwohl sie doch so vertraut war.
Er öffnete seine Augen, die trüb in die Nacht starrten. Von dem Sternenlicht keine Spur mehr, die Nässe war verschwunden, hinterließ nur die trockene Haut. Einzig die Gedanken schwangen wie im weiten Ozean verloren in seinem Kopf.
„Maxi.“, rief seine Tante durch die geschlossene Tür. „Essen ist fertig!“
Er stöhnte auf und stand vom Bett auf. Er kannte sich in seinem Zimmer inzwichen mehr als genug aus, um nicht mit Möbeln zusammen zu stoßen. Maxi schnappte sich die Hausschuhe und nahm sich den Blindenstock zur Hand.
Eine Strähne fiel ihm ins Gesicht, die er genervt aus dem Gesicht blies. Das Kitzeln der zu langen Haarspitzen nervten ihn. Maxi betrat das Wohnzimmer und hielt sich an der Wand, mit der anderen Hand suchte er nach Hindernissen vor ihm. Er kannte den Weg zum Stuhl einigermaßen, doch er fühlte sich mehr als fremd in dieser Wohnung.
Er setzte sich, bekam beim zweiten Griff das Messer zur Hand, beim Dritten die Gabel. Er wusste, was ihm blühte, wenn er sich wieder beschwerte. Also aß er die bereits vorgeschnittenen Stückchen Fleisch und die größeren Nudeln. Nicht mal viel Soße war auf dem Teller. Er aß die trockenen Fusilli auf, kaute mehr, als dass er die Gabel füllte. Hannah würde wieder meckern, wenn er fragte weshalb das Steak mundgerecht auf dem Teller wartete. Und Soße gab es eh nicht so viel. Er könnte ja, wenn er blind war, seine Kleidung dreckig machen, wie an seinem ersten Tag seines Unfalls.
Seine überfürsorgliche Tante Hannah. Der desinteressierte Onkel Manuel. Und seine nervige kleine Cousine Luna im Alter von vier.
Lieber würde er wieder in die Welten eintauchen, die er sich vorstellte. Maxi konnte es kaum erwarten, wieder die Gedanken schweifen zu lassen und dem Fisch begegnen, der ihn in die unendliche Freiheit gezogen hatte. Er lächelte und aß.