Maxi erwachte mit einem großartigen Gefühl in der Magengegend. Keine Sorge wallte ihm durch den Geist und kein Bedürfnis, jemanden nicht zu mögen, drang ihm in den Verstand oder gar einem unheilvollen Gefühl schnitt ihm die Kehle zu. Zum ersten Mal überhaupt, seit er denken könnte, erwachte er mit klarem und sorglosem Kopf. Als er die Radiostimme anmachte, hörte er die zehnte Stunde. Und ausgeschlafen war er auch noch.
Glücklich pfeifend verschwand er im Badezimmer und duschte. Mit dem Lieblingslied seiner Mutter, Thriller von Michael Jackson, sang er mit und kam mit einem frischen heiteren Gefühl in die Küche.
Manuel war bereits weg, doch Hannah begrüßte ihn freundlich.
"Spiegelei?", fragte sie und er nickte eifrig.
Es stand bereits ein Kaffee an seinem üblichen Platz. Er wollte danach greifen und sein Finger erwischten einen hölzernen Gegenstand. Hannah entschuldigte sich sofort.
"Lisa hat Vanillesirup gekauft, ich dachte es besser, es in eine Haltung zu machen, damit Luna es nicht umstößt." Überrascht hörte Maxi zu, wie Hannah das Frühstück vor ihn hinstellte und meldete, dass Gabel und Messer um üblichen Platz in der Schublade seien. Damit verschwand seine Tante und telefonierte im Schlafzimmer.
Maxi stand auf, holte das nötige Besteck und wurde von Luna in den Arm genommen. Er freute sich, ging in die Knie und strich ihr über die Haare. Der Verband war weg und er konnte sich vorstellen, dass lediglich ein Pflaster an der wunden Stelle klebte. Auch wenn das eine Auge nun trüber wirkte als das andere, hatte Luna nichts von ihrem aufgeregten Charakter eingebüßt. Ganz im Gegenteil. Sie meldete stolz, heute Nacht allein aufs Klo gegangen zu sein und dass sie nicht mehr Maxi wecken müsse. Lisa kam gähnend in die Küche und murrte, dass sie diesmal mit Kloaufsicht dran gewesen war. Sie füllte sich Kaffee in die Tasse, setzte sich träge an den Tisch. Mit zwei Klicks auf ihrem Handy sprang Lisa dennoch wieder erneut auf. Ein Quieken lies Maxi aufschrecken und beinahe fiel ihm Messer und Gabel aus der Hand.
"Ich hab’s!", schrie sie und lachte auf.
"Dein Hirn?", fragte Maxi während dem Setzen mit einem Grinsen und griff nach der Sirupflasche.
"Meinen Ausbildungsplatz!", freute sie sich und ihre Stimme wurde höher. Luna klatschte aufgeregt, wohl aber wissend, dass sie ebenfalls keine Ahnung hatte, weshalb Lisa ein solchen Tumult veranstaltete.
Hannah kam wieder heran gehuscht und freute sich für Lisa. Beide redeten von Köln und einer Ausbildung, bevor Maxi irgendwann zischend beide unterbrach.
"Ich habe das Studium abgebrochen.", erklärte Lisa. Maxi zögerte und hörte genauer hin.
"Irgendwie fand ich BWL nicht so spannend, also habe ich mich für einen Platz als Krankenschwester beworben.", sagte sie glücklich. Irgendwie wusste er, welche Worte als nächstes kamen.
"Du hast mich dazu inspiriert.", er dachte an Maria zurück und schüttelte den Kopf. Alles nur Verrückte hier.
"Und warum grade in Köln?", fragte er.
"Weil ich eine neue Stelle als Chefköchin angenommen habe!", sagte Hannah etwas ruhiger und zögerlicher. Maxi stellte jetzt endgültig die Tasse ab und versuche beide anzusehen. Sein Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben.
"Warum glaubst du waren wir ohne dich im Urlaub?", fragte Hannah mit einem Schnauben. "Du hättest dich locker zurechtfinden können. Wir wollten dir ein neues Leben ermöglichen. Und wir wollten uns meinen neuen Job ansehen, wie gut ich verdiene und wie die Küche ausgestattet ist und so weiter. Außerdem damit du eventuell dort auf die Blindenschule wechseln könntest. Die bilden nämlich auch Blinde aus, damit du selbst in einen Job gehen könntest."
Bevor Maxi Einwände erheben konnte, fiel ihm seine Schwester ins Wort.
"Maxi weiß noch nicht mal, was er werden will!", meldete Lisa und tippte wie verrückt auf ihrem Handy.
"Koch.", meldete er und überraschte sich selbst. Lisa hörte auf zu schreiben und legte das Handy lautstark auf den Tisch.
Hannah lachte auf, freute sich wohl über Zuwachs in ihrer Branche.
"Aber mit einer Sehbehinderung...?", fing sie an und zögerte.
"Habe ich einen besseren Geschmacksinn als du.", behauptete er. Hannah schnaubte entrüstet.
"Das glaube ich kaum.", sagte sie und Maxi musste grinsen.
"Dann lass mich das mit einem neuen Rezept heute Abend beweisen!", sagte er lachend.
Abends, nachdem er Reis mit Hähnchenschenkel und einer Paprikasoße und gekochte Banane mit Schokodipp serviert hatte, staunten alle nicht schlecht. Maxi brauchte Hilfe bei dem Umgang mit dem Herd und den Küchengeräten, doch abschmecken und schneiden wollte er selbst. Hannah zeigte ihm ein paar gekonnte Tricks und half ihm nur auf Aufforderung. Als sie dann den ersten Bissen nahm, schwelgte sie und träumte davon. Maxi würde eines Tages Starkoch werden. Auch wenn das nicht seine Absicht war, war er dennoch sehr zufrieden mit sich selbst.
Nachdem sein Smartphone während des einstündigen Kochens die ganze Zeit vibriert hatte, zog er es nach dem Essen in seinem Zimmer aus der Tasche und ließ sich von Lisa alle Nachrichten laut vorlesen. Es waren Maria und Thorsten, sie sich für den Abend entschuldigten.
Tim war nicht unter ihnen.
Doch es war Maxi egal.
Er ignorierte die Nachrichten mit kalter Härte und ließ sie löschen.
Dieser Abend war zu unheilvoll für ihn gewesen. Und er würde ihn zwar nie vergessen, aber dennoch auch nicht in seinen Verstand trüben lassen.
Mit diesen Gedanken schlief er ein und träumte automatisch von einem Gericht aus Rigastreis, Winterbananen und Juliuisbeeren mit ganzer Banane.