Mit einem Schrei wachte Maxi aus dem Schlaf. Er keuchte, als er an den tiefen Blick des Fisches dachte. War er jetzt verrückt geworden?
Maxi griff nach dem Wecker, drückte eine Taste.
„Es ist Sieben Uhr zwanzig.“, meldete die monotone Radiostimme. Er hatte die ganze Nacht geschlafen. Kopfschüttelnd achtete er nicht weiter auf die Worte des Fisches. Ausgeruht und munter sprang er vom Bett auf, fühlte sich mit ausgestreckten Armen zum Kleiderschrank und wühlte nach frischen Sachen. Da seine Kleidung hauptsächlich grau, schwarz oder dunkelblau war, konnte er bei der Farbauswahl nicht viel falsch machen. Er machte sich nicht Mühe, das Gerät zur Farbauswahl zu aktivieren.
Er trat langsam aus dem Zimmer und hörte alles nach seiner Schwester ab. Der Fernseher lief leise, also war sie wohl auf dem Sofa eingeschlafen. Es kamen keine typischen Schlafgeräusche aus der restlichen Wohnung, als er mit dem Blindenstock aus dem Haus trat und sich wieder auf den Weg machte.
Seine Beine trugen ihn direkt wieder zu dem nahe liegenden Spielplatz. Diesmal schaffte er es sogar, mit keinem zusammenzustoßen. Irgendwie fand er es witzig, dass ausgerechnet seine Schwester ihn aus der Wohnung trieb. Er würde lieber in der Eiseskälte frieren, als mit seiner Schwester in der warmen Wohnung zu sitzen. Seine Zähne klapperten, als ein Windhauch seine Wangen berührte. Ohne Schal war es wirklich kühler als gedacht. Maxi suchte nach der Bank von gestern und war mehr als überrascht, die kratzige Stimme zu hören.
„Irigion? Du hier?“, fragte Angy vor ihm. Es war zu kalt und zu früh, als dass Kinder auf dem Platz spielten, also schienen sie die Einzigen zu sein. Er begrüßte seine Fantasiegefährtin ebenfalls und setzte sich an das andere Ende der Bank. Die ersten Minuten schwieg er, doch Angy stöhnte leise.
„Alles in Ordnung?“, fragte er. Seine Frage war diesmal ernst gemeint, doch Angy antwortete ihm in ihrer Sprache.
„Hat ein weiser Mann einen Rat für eine junge Kochgehilfin?“, fragte sie traurig. Er nickte.
„Wenn ich dir helfen kann.“ Maxi wartete ab, bis Angy ihren Hustanfall unter Kontrolle bekam.
„Ich habe gestern einen Fehler gemacht und jemanden angemeckert, obwohl er eigentlich nichts dafür konnte.“ Maxi wusste, worauf das hinauslief, doch er schwieg.
„Ich meine, ich war wütend, aber dann habe ich meine Wut an jemand anderen ausgelassen.“, ihre Stimme bekam einen belegten Klang, als Maxi wie ein alter Mann nickte und in ihre Richtung schaute.
„Hast du dich bei diesem jemand entschuldigt?“, fragte er. „Wenn du ihm nicht böse bist, dann kannst du ihn um Verzeihung bitten.“
Angy schwieg eine Weile, doch Maxi horchte auf.
„Irigion?“
„Ja, Angy?“
„Ich muss mich …“, bevor ihr Satz ausgesprochen war, hörte Maxi Reifen quietschen. Ein Schrei ertönte, ein Krachen erklang. Maxi war starr vor Schreck, doch bewegte sich nicht vom Fleck. Er hörte noch ein Knirschen auf dem Kies. Angy schien weggelaufen zu sein, denn die wütenden Stimme richtete sich nur an ihn.
„Hier bist du!“, rief Lisa von Weitem. Sie klang zerstreut und ängstlich. Maxi atmete langsam aus.
„Du bist nicht meine Mutter. Ich kann ja wohl noch allein einen Spaziergang machen.“, seine Stimme war ruhig, anders als bei seiner Schwester.
„Du kannst doch nicht einfach...!“, hörte er sie außer Puste sprechen. Es klang eher einem Röcheln. Sein Magen hob sich, als er ihren Laufstil mit ihrer Stimme verglich. Etwas stimmte nicht.
„Was ist passiert?“, fragte er noch, bevor Lisa mit ihrer Hysterie fertig war. Seine Schwester kam mit Stresssituationen nie wirklich klar. Maxi dagegen wurde immer ruhiger.
„Komm, ich erzähle es dir unterwegs!“, sie wollte ihn wegzerren und schnappte sich schon seinen Oberarm. Maxi wand sich ab und stand von allein auf. Lisa trottete ungeduldig hinter ihm her, als sich Maxi mit seinem Blindenstock bis zum Auto orientierte. Nervös öffnete Lisa die Beifahrertür und ließ ihn einsteigen. Noch bevor er etwas sagen konnte, trat Lisa aufs Gas und fuhr los.
„Was ist denn jetzt?“, fragte Maxi voller Ungeduld. Der Wind zischte durch das halb geöffnete Fenster und wehte ihm die kühle Luft ins Gesicht. Seine Haare flogen in alle Richtungen. Er krallte sich an seinen Stock, sein Mageninhalt hob sich wieder. Diese Stille kannte er.
„Hannah hatte einen Autounfall!“, erklärte Lisa leise. Ihr Flüstern strich ihm über den Nacken und hinterließ eine Gänsehaut. Ein bitterer Nachgeschmack nach dem Schlucken. Er wollte nicht nachfragen, doch er musste.
„Was ist passiert?“, wiederholte er.
„Hannah und Manuel geht es gut. Ich weiß nur, dass Manuel kurz abgelenkt war, so jedenfalls Hannah am Telefon. Aber Luna.....“
„Was ist mit ihr?“, seine Stimme wurde ein Flüstern, die Worte nicht mehr als ein Hauchen. Der Wind trug seine Worte nach außen. Ihm wurde kalt. Er zitterte. Die Gänsehaut breitete sich aus, bis der Kopf zu pochen anfing.
Lisa schluckte einmal laut.
„Sie wacht nicht mehr auf!“