"Hast du wieder dieses Zeug dabei?", flüsterte ein Mädchen kichernd zu einem anderen. Hinter Maxi müsste es drei Meter weiter noch Holzbänke geben, wenn er den Abstand zum Gespräch richtig einordnete. Ein Dritter gesellte sich hinzu und die Bank knarzte unter dessen Gewicht.
Vermutlich bejahte die Angesprochene die Frage und kramte eine Plastiktüte aus einer Tasche. Das typische Knistern des Plastik zusammen mit dem Geräusch der dicken Daunenjacke. Das stetige Kichern der Beteiligten lies Maxi vermuten, dass der Alkohol schon zu wirken begonnen hatte. Die laute Musik verhinderte, dass er alles mitbekam, wenn die E-Gitarre mit unterlegtem Bass und Schlagzeug ihre Rockmusik spielte. Maxi würde gerne der Musik zuhören, würde es ihn nicht zum Zuhören treiben. Er meinte, es sei wichtig zu wissen, was gesprochen wurde.
"Das Zeug is wahnsinnnn...", lallte einer, vermutlich der Dritte zu den anderen. "Ich bekomm davon imma vollll den Kick..", das Lallen wurde deutlicher und Maxis Kopf schien zu platzen. Er konzentrierte sich so sehr auf das Zuhören, dass er Maria erst wahrnahm, als seine Bank unter ihrem Gewicht nachließ.
Sie hielt ihm eine Flasche Cola hin und er nah sie dankend entgegen.
"Ist das hier eine Klassenparty?", fragte Maxi Maria nach einer Weile. Er hörte die Drei nicht mehr, höchstens das umliegende Kichern samt Knarzen der aufgestellten Holzbänke.
"Ja, es sind einige hier. Thorsten, Tim und du müsst die Ältesten sein.", antwortete Maria und nahm einen Schluck. Wenn er als Sechszehnjähriger schon der Älteste war, dann durfte hier doch kein Alkohol ausgeschenkt werden. Er verschwieg die Tatsache, denn er war in diesem Alter auch nicht besser gewesen. Dennoch nahm das stechende Gefühl im Magen zu.
"Gibt´s hier nur Bier?", fragte Maxi und Maria sagte nichts. Er wartete einige Zeit und stellte seine Frage erneut.
"Oh, Verzeihung.", nuschelte sie ein wenig benommen. "Ich hab den Kopf geschüttelt. Ich hab vergessen, dass du..", sie wollte die Tatsache nicht aussprechen, weil es ihm wohl unangenehm wäre.
"Ich bin blind, das ist eine Tatsache. Das muss dir nicht peinlich sein.", sagte er mit fester Stimme. Er bekam das Gefühl nicht los, dass Maria ihm etwas vorenthielt.
"Nein, das meine ich nicht.", sagte sie und lehnte sich plötzlich an ihn. Sie schmiegte sich wie früher mit ihrem Kopf an seine Schulter und kuschelte mit ihm. Maxis Muskeln spannten sich an und er krampfte schier. Seine Fäuste versteckte er zum einen in der warmen Jackentasche als auch hinter seiner Gestalt, als seine Rechte den Blindenstock härter griff. .
"Ich meine, du musstest ganz allein durch diese Zeit und ich habe dich im Stich gelassen. Wir waren damals so glücklich zusammen und dann..", Maxi rührte es, dass Maria ihm ihre Sorge zu Teil werden wollte. Sie schmiegte sich wie früher an ihn und er dachte an ihre Liebe damals, an ihre Küsse. Sie liebte ihn immer noch. Das wurde ihm bewusst, so wie sie leicht alkoholisiert auf einmal sehr zutraulich wurde.
Für einen kurzen Augenblick fühlte er sich wieder wie Maxime, der Fünfzehnjährige. Mit gut aussehender Freundin, guten Kumpels, geilem Leben.
Ein Knall ertönte, als eine Bierflasche zu Bruch ging. Maxi zuckte zusammen. Fluchend und gleichzeitig lachend amüsierte sich der Dritte aus dem vorherigen Gespräch über seine Situation.
Maxis Geist wurde klarer.
Doch er war Maxi, der Blinde, der mehr Freunde in dem einen Jahr gewonnen hatte, als er sich je zu Träumen gewagt hatte. Obwohl er seine Klassenkameraden und Schulfreunde nicht mehr gesehen hatte, hatte er noch nie einen so guten Kontakt zu Lisa gehabt wie jetzt. Ohne Luna würde er immer noch vor der Hexe weglaufen und ohne Hannah und Manuel würde er ohne Bleibe dastehen. Und das verstand er erst jetzt.
Es war doch so einfach.
Auch wenn dieser Moment perfekt sein sollte, wie seine ehemalige Liebe ihre Gefühle offenbarte und seine alten Kumpels ihn wieder bei ihm waren, war es für Maxi nicht mal ansatzweise so.
Seine Gedanken formten den perfekten Moment für sich. Luna im wachen Zustand auf dem Krankenbett. Mit Lisa lachend am See. Mit Hannah in den Armen. Manuels Kumpelhafter Griff an der Schulter.
Seine Stimme wurde fester, als sie sich leicht stöhnend an seine Schulter schmiegte wie eine Katze, aber er selbst klang mehr als resigniert.
"Was verschweigst du mir?", fragte er direkt. Maria stockte in der Bewegung und schaute wohl zu ihm wohl. Er starrte geradeaus und wartete.
Jemand trottete auf die beiden zu.
"Maxiimmmee.", er hörte Tim, den er bisher nicht wahrgenommen hatte. Er drückte sich gegen die Tischlehne, als Maxi der Alkoholgestank in die Nase stieg. Tim klopfte ihm ein wenig zu hart auf die Schulter, sodass Maria Abstand augenblicklich nahm und der Blindenstock aus der Hand fiel.
"Scheiße man, du bist ja immer noch blind.", lallte sein Freund.
"Wie is n das so, einfach nichts zu sehen?", fragte er und trank ausgiebig aus der Bierflasche.
Maxi bückte sich nach den Stock und murrte gleichzeitig.
"Wie soll man das finden? Man sieht halt einfach nichts.", er wusste um Tims ungestüme Art, wenn er zu viel trank, aber diese grobe Ader hatte Maxi bisher nicht gekannt. Er wollte grade nach dem Stock greifen, als Tim diesen weg kickte. Maxi setzte sich langsam, aber vorsichtig wieder. Er würde einen Ausweg suchen müssen, um an seinen Blindenstock zu gelangen.
"Den Scheiß brauchst du nicht!", knurrte er und Maxi hörte das Metall mit stumpfen Geräusch im Gras verschwinden.
"Das hier! Das ist der geilste Scheiß auf Erden!", lachte er lauter als er musste und knallte neben ihm eine kleines Tütchen auf den Tisch. Der ständige Geruch von Bier fraß sich in Maxis Nase.
"Was soll der Mist?", fluchte er und wollte aufstehen, doch wurde durch Tims wuchtiger Gestalt zurückgedrängt. Maria nahm noch mehr Abstand, versuchte aber erfolglos den zugedröhnten Tim die Meinung zu geigen. Aber Marias Piepsen kam nicht gegen das Gröhlen des Trolls vor ihm an. Maxi schmunzelte nicht über den Vergleich.
"Das ist ein Trip, den du so schnell nicht wieder vergisst.", Maxi wurde ein Becher in die Hand gedrückt. Dank seiner massiven Gestalt, konnte Maxi nicht umhin, doch er trank die Flüssigkeit nicht. Nicht nur, weil ihm die Situation zuwider war, sondern vielmehr, weil Maria sich einmischte.
"Tim, das hat damals doch auch nicht geklappt. Also lass ihn doch einfach in Ruhe.", ihre zweifelhafte Stimme ließ Maxi aufschrecken. Maria war ruhig, konzentriert, manchmal gefühlsduselig. Aber Nervosität schwang selten in ihrer Stimme.
"Was meinst du mit damals?", fragte Maxi Maria, die wieder durch ein Keuchen zurückzuschrecken schien.
"Sie meint das Zeug in dem Bier.", nuschelte Tim und rülpste.
"Mann, Tim, lass Maxime in Ruhe!", schrie Thorsten von weitem und zerrte an der massiven Gestalt.
Maxi schnupperte an dem Bier und wagte einen sehr kleinen Schluck, spuckte aber sofort wieder aus.
"Was ist da drin?", fragte er Maria scharf. Die anderen Beiden standen noch in der Nähe, aber Tim war zu voll und Thorsten hatte allehand voll zu tun, sich um den Troll zu kümmern. Maxi stand auf und krallte sich an den Becher. Wutverbrannt schienen die Bilder aufzutauchen, doch diesmal zeugte das Rot durch seinen schwarzen Schleier nicht von Blut, sondern von Wut. Mit einem Kreischen in der Stimme fragte er in die Runde.
"Was meinst du mit damals, Maria? Was zur Hölle wird hier gespielt?"