Lisa fuhr sie und ihren Bruder vorerst in Hannahs Wohnung. Laut seiner Schwester würde man die Eltern der kleinen Luna sowieso nicht an den Hörer bekommen, denn sie waren entweder zu aufgewühlt oder noch selbst in Behandlung. Maxi konnte sich vorstellen, wie Hannah und Manuel sich Sorgen machten. Maxi verstand auch, wie aufgewühlt auch Lisa war, doch er selbst wirkte wie die Ruhe selbst. Auch wenn in seinem Inneren das Gegenteil der Fall war.
Lisa gab zu verstehen, dass ein Kaffee für beide wohl das Richtige sei. Im Laufschritt lief sie zur Maschine und füllte den Filter mit Kaffeepulver auf. Maxi setzte sich aufs Sofa und spürte die noch zerwühlte Decke auf dem Leder. Lisa war wohl direkt aufgestanden, als sie die Nachricht gehört und ihn nicht gefunden hatte. Deswegen war sie wohl auch so zerstreut. Wie er.
Er kramte nach der Fernbedienung, die natürlich nicht an der gewohnten Stelle lag. Er stand auf und wollte zur Küche gehen, um Lisa danach zu fragen. Seine Gedanken rasten und er brauchte dringend Ablenkung. Selbst wenn Schlager den ganzen Tag in seinem Hirn dröhnten und auch seine Ohren deswegen bluteten, er wollte sich nicht daran klammern, dass Luna etwas Schlimmes zugestoßen war. Er bereute es automatisch, wieso er nicht netter zu Luna gewesen war. Die Vierjährige konnte am allerwenigsten für seine Gefühlsausbrüche. Selbst wenn sie verstand, wie er drauf war und auch warum, verdiente sie einen solchen grausamen Cousin nicht. Komplett in Gedanken lief er gegen die Kommode im Gang. Er fluchte und hielt sich die stechende Seite. Das Festnetztelefon klapperte von der Ladestation.
„Ich kann das nicht!“, flüsterte Lisa, als Maxi stoppte. Sprach er mir ihr? Nein, denn eine andere Stimme drang in sein Ohr. Es war ein männlicher tiefer Ton mit einem Akzent. Mehr hörte er nicht, denn Lisa sprach zu leise in das Mikrofon des Handys.
„Ich weiß einfach nicht, warum.“, sagte Lisa weiter. „Er ist einfach...dumm.“
Jetzt war Maxi beleidigt. Es würde ihn nicht wundern, wenn Lisa über ihn sprach. Aus purer Neugier lauschte er weiter. Die Person sagte wohl etwas lustiges, denn Lisa lachte auf.
„Ja, nicht? Wie ein kleiner Trottel. Manchmal denke ich, er ist zurückgeblieben.“ Maxi schnaubte wütend. Wenn die wüsste.
„Schatz, ich muss Schluss machen. Der Kaffee läuft. Ja...ich habe dich auch lieb. Bussi.“, das letzte i zog sie so in die Länge, dass man meinen könnte, Lisa hätte einen Anfall. Sie legte auf. In einer Mischung aus Entrüstung, Wut und Zwiespalt wegen dem Gespräch seiner Schwester und Trauer und Resignation wegen dem Unfall seiner Tante, Onkel und vor allem auch Luna trat Maxi vor und setzte sich an den nächsten freien Platz.
Das Porzellan klapperte, als der Duft von Kaffee ihm in die Nase drang. Maxi hob die Tasse an, roch ein weiteres Mal dran. Eine Ruhe breitete sich in ihm aus, als er sich dem bitteren Geschmack im Mundraum Zeit gab, sich zu entfalten. Wegen des Eigengeschmacks des Kaffees fokussierten sich seine wirren Gedanken. Mit kleinen Brötchen backen, riet er sich. Erst müsste er wissen, wie es Luna ging, dann würde er das Problem mit dem Nagetier lösen. Lisa würde nur die drei Tage bleiben, also arbeitete er insgeheim schon an Plänen für die nächsten freien Tage. Negativ war natürlich, dass keiner wusste, wie Luna genesen würde. Wenn sie überhaupt aufwachte. Ein roter Blitz durchzuckte die Schwärze. Er stellte die Tasse ab und massierte sich die Schläfen.
Lisa setzte sich neben ihn hin. Sie schien nach dem Telefonat stiller zu sein. Unruhig rutschte sie auf dem Stuhl Hin und Her, nahm ein Tempo aus der knisternden Packung und schnäuzte sich die Nase. Maxi war gar nicht aufgefallen, dass Lisa Schnupfen hatte. Das bekannte erleichterte Aufatmen der freien Nase kam direkt danach.
Beide schwiegen sich an. Maxi massierte stetig die schmerzen Stellen am Kopf und unterdrückte die aufkommenden Bilder. Je mehr er sich anstrengte, desto eher drang wieder das Martinshorn in seine Ohren oder das Blaue und Rote durch die Schwärze seines Blickfelds und ließen diesen leblosen Arm seiner Mutter erkennen.
Ein Zusammenstoß von Porzellan auf Boden ertönte.
„Sorry. Hab die Kaffeetasse umgeworfen.“, murmelte Lisa und hob direkt die Scherben auf. Maxi konzentrierte sich auf das gläserne Geräusch, um von dem inneren Drang abzukommen, schreiend ins Freie zu rennen. Die Luft im Raum wurde dicker, er konnte kaum Atmen. Er wollte aufstehen, als plötzlich sein Fuß warm wurde. Er war direkt in die Pfütze voller Kaffee getreten.
Stöhnend zog er die Socken aus, gab sie auf Anweisung Lisa, die immer noch die Scherben zusammensuchte.
Maxi ging barfuß auf den kalten Fliesen zu seinem Zimmer. Kaum war er auf dem Bett und zog sich Wollsocken über, als Lisa auftauchte. Sie fing keinen Streit an, vielmehr überraschte ihn ihr Angebot.
„Frieden? Kaffee trinken und mal runterkommen. Meiner schmeckt wie Spülmittel und du brauchst wohl auch frische Luft.“
Maxi fand es äußerst seltsam. Aber zur gegebenen Situation gab es wohl nicht weiter ungewöhnlich. Er nickte und beide verließen die Wohnung.