Mit dem Versprechen, dass er Lisa alles erklären würde, hatte er sie soweit beschwichtet, dass sie ihm seine Ruhe gönnte. Da Hannah, Manuel und Luna morgen kommen würden, mussten sie noch einkaufen gehen. Es war so gut wie nichts mehr im Haus. Jelly war versorgt, also gab Lisa schweren Herzens nach und fuhr allein in die Stadt.
Maxi hatte also Zeit, sich aktiv gegen Angy zu wehren. Er konnte es sich nicht leisten, dass noch jemand von seinen komischen, fast schon paranoiden Tagträumen erfahren sollte.
Er lag auf dem Bett, schloss die Realität aus und tauchte sofort hinab in die Tiefen seines Verstandes.
Er sah sich sofort wieder im Kampf gegen Angy, die Hexe.
Auf der Anhöhe des Außenpfostens stand Maxi alias Irigion. Sein Bart wehte im Wind, wie auch sein Mantel zerrte an der großen Gestalt. Die Kälte entwich der Anstrengung. Schweiß stand auf seiner Stirn, als der Abwehrzauber, den er mit dem erhobenen Stab erschaffen hatte, in der Luft zerbarst. Das stetige kehlige wie auch krächzende Lachen der Hexe vor ihm nahm seine komplette Umgebung ein. Er hasste die Hexe nicht nur, er wollte sie vernichten. Für immer.
„Lass mich endlich in Frieden!“, schrie er in den tosenden Wind. Die leeren Straßen sorgten wenigstens dafür, dass keine Menschen zu Schaden kämen, wenn sie auch nicht bildlich betroffen wären. Maxi wollte sich nicht wegen solchen Sachen ablenken lassen müssen.
Er erhob den Stab ein zweites Mal und klopfte auf das Gestein, auf dem er stand. Sofort umschloss seine Gestalt eine weitere Barriere und die wuchtigen Holzlatten der Marktstände schlugen dagegen. Die Holzsplitter flogen noch umher, als Irigion die Barriere auflöste und der rothaarigen Verrückten entgegen schrie.
„Lass mich endlich in Frieden!“
Es hätte kein düstereres Abbild seines Verstandes sein können. Die Wolken hingen sowohl tief als auch dunkel im Hintergrund. Donnergrollen und Blitze zerschlugen im Sturm und den stetige Regen, der sich auf Maxis Haut wie Säure anfühlte. Sein Mantel wies die kleinen Tropfen vorerst ab, doch auch die grauen Haare klebten an der durchs Alter zerfurchte Haut. Er sah wieder die knochige Hand, die den massigen Eichenholzstab festhielt. Mit dem anderen Arm versuchte er, Gleichgewicht zu halten.
Maxi wand den Blick nach unten. Auf der leeren Straße flogen die Gegenstände umher, die nicht am Boden verwachsen waren. So flogen Holzteile, Steine oder gar Tiere durch die Luft. Und alles nur wegen ihm und seiner nicht vorhandenen Selbstkontrolle. Seiner Unfähigkeit, seine Gefühle zu kontrollieren. Er war schwach. Zu schwach.
„Ich bin ein Teil von dir!“, schrie die Hexe ihm entgegen. "Solange du bist, lebe ich! Versuche es doch! Versuche mich davon abzuhalten! Ich habe dir deine Freiheit geschenkt. Also sei auch so fair und zahle den Preis!“
„Ich werde mich niemals ergeben!“, schrie Irgion durch die zusammengebissenen Zähnen und hob energisch den Stab. Ein Leuchten der Stabspitze erhellte die dunkle Umgebung. Die Hexe, die ihre Arme bedrohlich erhoben hatte, schaute mit diesen leeren Augen entgegen. Die krummen und schiefen Zähne sollten mit den rissigen Lippen wohl ein Lächeln darstellen, für Maxi eher ein Zähnefletschen.
„Ich habe es dir doch schon vor einem Jahr gesagt. Und ich habe dir damals die Freiheit geschenkt. Die Möglichkeit, es dir so leicht zu machen! Und du stößt mich weg! Wenn dein innerer Panzer keine Risse bekommen hätte, wäre ich immer noch auf der Suche nach dir.“, schrie sie ihm schier entgegen, als weitere Gegenstände auf ihm geschleudert wurden. Die Hexe flog wie von Zauberhand auf ihrem Hexenbesen in der Luft herum und ergab das Zentrum der Schwärze in seinem Verstand. Wenn er sie erledigen würde, würde er endlich Ruhe haben. Er würde sich um Luna kümmern können. Er würde Lisa einen guten Bruder abgeben. Und er würde Hannah endlich so behandeln, wie sie es verdient hatte.
Die Hexe lachte auf.
„Du glaubst mich besiegen zu können?“, raunte ihre Stimme in seinem Verstand. Mit angespanntem Kiefer hielt Irigion dem tosenden Wind stand, der immer mehr zu einem Sturm heranwuchs. Ein kleiner Mensch wie er würde sie niemals besiegen können. Zweifel huschte durch seinen Verstand wie eine Maus durch die Küche eines belebten Restaurants.
„Nein!“, dachte er. Er war ein großer Zauberer, der sich dieser Hexe zum Kampf stellte.
Und doch war er schwach.
Irigion lachte auf und gab mehr Kraft in die Barriere. Augenblicklich wurde diese dichter. Er atmete erleichtert auf.
Und wusste sofort um seinen Fehler.
Er hatte sich zu sehr auf die Front konzentriert. Irigion schrie auf, als er den Schlag von hinten abbekam. Die Schmerzen im Rücken wurden stärker, zwangen ihn in die Knie. Das stetige hohe Lachen Angys brachten ihn um den Verstand, als sich Maxi wieder aufsetzen wollte.
„Du sitzt in der Falle!“, nuschelte die Hexe, als Maxi den plötzlichen Druck am Kopf spürte und bewusstlos zu Boden sank.