Nachdem Dr. Hausmeier sich seine Geschichte angehört hatte, schien Maxis Kehle trockener denn je und bat nach Wasser. Nach dem nächsten Schluck Feuchtigkeit wartete er auf eine Antwort. Und die ließ auf sich warten.
"Sie wollen also wissen, ob Sie verrückt sind?", fragte der Psychologe direkt. Er schien etwas belustigt zu sein, wegen Maxis Sorge und damit wiederholte er letzte Frage nach seinen Erzählungen. Dennoch wurde er ernst genommen und der Arzt fuhr weiter fort.
"Nun, ich würde sagen, dass Sie nicht ausgelastet sind.", fing er an und Maxi wollte schon Einwände erheben, doch der Doktor sprach gleich weiter.
"Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich glaube nicht, dass Sie an einer Krankheit psychischer oder physischer Natur außer ihrer bisheriger Beeinträchtigung des Sehvermögens leiden. Das liegt an folgenden Gründen." Der Ledersessel knarzte und er stemmte die Ellenbogen hörbar auf den Holzschreibtisch.
"Sie haben bis zu Ihrem Unfall ein sehr sorgenloses Leben gehabt, haben gute Zensuren und ein gutes bis sehr soziales Umfeld gehabt. Sie beschreiben ihre Umgebung als sehr fantasiereich und erleben diese Erlebnisse und Gedanken aktiv mit. Durch Ihr Interesse an solche Fantasiewesen und dergleichen kann ich mir gut vorstellen, dass Sie ein sehr empathischer junger Mann sind. Das unterstütze ich auch durch ihre Aussage, dass sie sehr gute Freunde in ihrem Leben hatten." Er hohlte Luft.
"Nebenbei muss man dieses Leben neben Ihrem Jetzigen betrachten." Maxi stellte sich vor, wie die Hände erhoben und eine imaginäre Tabelle ausgefüllt wurde mit jedem einzelnen folgenden Stichwort.
"Ihr jetziges Leben beschreiben Sie als sehr einsam. Ihre Bezugsfamilie ist nicht mehr da und Ihre Tante ist zu überfürsorglich, ihr Onkel spricht nicht wirklich mit Ihnen und ihre Cousine ist zu klein für Ihre Probleme. Ihre Freunde sind nicht mehr da und Sie haben ansonsten keine andere Bezugsperson mehr außer sich selbst. Aufgrund ihrer Ängste, Panik und vorallem dem Neuen, der Blindheit, haben Sie ihre Probleme mit sich selbst ausmachen müssen und haben eine imaginäre Welt aufgebaut. Dadurch helfen Sie sich, mit dem Problemen klar zu kommen."
Das konnte Maxi auch sagen, ohne dafür studiert zu haben. Schnaubend wollte er dem Psychologen antworten.
"Lassen Sie sich von der rothaarigen Dame berühren, die Sie beschreiben?", fragte Dr. Hausmeier und unterbrach seine gewollte Antwort. Maxi fuhr hoch.
"Nein, wieso sollte ich? Ich will mich von dieser Verrückten nicht anfassen lassen.", Auch wenn man von einer bildlich gesprochenen Person sprach, dessen Berührungen nur rein fiktiv wären.
"Haben Sie es mal probiert, mit ihr zu reden? Hatten Sie Unterstützung bei ihrem Vorhaben, gegen sie anzukommen?"
"Sie wollte mich umbringen und hat mich an eine Wand gekettet. Wie soll mir da einer helfen?", Maxis Stimme wurde schärfer und lauter. "Sie hat mir alles vor die Nase geworfen, mir gesagt ich solle einen Preis zahlen, der dem Leben gleich kommt und hat mir meine schlimmsten Erinnerungen vor Augen gehalten, als wären sie gestern passiert! Und außerdem fühlten sich die Schmerzen noch genauso so, als wären sie wirklich erst gestern passiert! Also nein, ich werde mich von dieser Furie nicht anfassen lassen. Und reden würde sie nur, um mir zu zeigen wie scheiße schwach ich bin und was ich nicht auf die Reihe bekomme. Mehr als dass würde sie mich in den kleinen Jungen verwandeln, der ich einmal gewesen war und würde meine ganzen Bemühungen, die ich aufgebaut habe, zunichte machen!" Maxi wurde mit jedem Wort lauter, bis er fast schrie.
Der Arzt schien kurz zu warten.
"In Ordnung, Herr Dubois. Ich denke, wir haben genug in der Vergangenheit gegraben. Machen wir ein paar Entspannungsübungen."
Nach fünfzehn Minuten tiefen Atemübungen und angespannten Schultern statt weichen Muskeln verschwand Maxi so schnell wie möglich aus der Praxis. Bevor er allerdings aus dem stinkenden Raum verschwinden konnte, hielt der Arzt ihn kurz auf.
"Warten Sie, Herr Dubois." Er kam hergetrottet. Seine schnellen kleine Schritte erinnerte ihn wirklich an einen Zwergen. Der Doktor wollte ihn vermutlich wie ein alter Kumpel berühren und auf die Schulter klopfen, doch Maxi zuckte instinktiv zurück. Der Arzt stieß ein bisschen verärgert die Luft aus.
"Sollten Sie noch Hilfe brauchen, melden Sie sich gerne. Ich hoffe Ihnen ein bisschen geholfen zu haben."
Damit rann Maxi schwerfällig aus dem Gebäude in die ehrsehnte frische kühle Luft. Dabei stieß er eine Pflanze um und ignorierte die protestierende Empfangsdame.
Nur schnell raus hier.