Wut trieb Maxi an, sich gegen seine ehemalige Freundin zu stellen. Jetzt schien jeder sein Gegner zu sein und er wagte es nicht, noch jemanden zu vertrauen. Es war ein Fehler gewesen, hierher zu kommen. Sein ganzer angespannter Körper wollte einfach nur weg. Und doch wollte er die Wahrheit wissen. Der einzige Grund, der ihn hier hielt.
Maria atmete hektischer, doch brachte kein Wort heraus. Ihre hohen Absätze klackerten langsam, dann schneller. Sie war wegelaufen.
Fluchend schüttete Maxi das Zeug in den Rasen, den er neben sich vermutete und ging in die Knie. Mit bloßen Händen, die dank der Kühle und vor kochender Wut zitterten, suchte er nach seinem Blindenstock. Er rieb in verschüttetem Bier, Zigarettenstummel, Gras und feuchter Erde. Er hörte Thorsten und Tim nicht mehr neben sich rangeln, das war ihm aber ebenso egal. Er würde sich den Stock schnappen und verschwinden.
"Maxi.", rief Thorsten von hinten. Maxi ignorierte ihn und fand das kühle Metall zwischen dem hohen Gras. Er klappte ihn gänzlich auf und suchte mit den Fingerspitzen irgendwelchen Schaden ab. Thorsten erreichte ihn und fasste ihn an der Schulter. Maxi wich sofort zurück und entzog sich der Berührung. Er wollte einfach nur weg hier.
"Bleib doch hier. Tim ist einfach ein wenig durch. Er hat viel durchgemacht, weißt du. Seine Freundin hat Schluss gemacht und..." Maxi konnte nicht anders, er lachte auf und unterbrach damit seinen ehemals besten Freund. Er konnte das hysterische Lachen nicht unterdrücken.
"ER hat eine Menge durchgemacht? Das tut mir wirklich leid für ihn." Maxi nahm einen tiefen Atemzug und versuchte sich zu beruhigen. Sarkasmus würde keinem weiterhelfen.
"Und jetzt sag mir endlich, was hier gespielt wird.", knurrte er.
Thorsten schien zu überlegen und mit sich zu ringen. Maxi wollte nur die Wahrheit hören und sich aus dem Staub machen wollen.
"Wir haben damals, am Tag deines Unfalls nicht nur Bier ausgeschenkt. Weißt du nicht mehr?", Maxi erinnerte sich und nickte. Es waren unter anderem noch Spirituosen dabei gewesen. Doch nicht etwas auch…?
"Ihr habt Partydrogen dabeigehabt?", fragte er und Thorstens Schweigen war ihm Antwort genug.
"Sie nennt sich Special K. Und das war eigentlich ein witziger Trip, doch du hast irgendwie nie wirklich mitgemacht. Also fanden wir es witzig und hatten es dir heimlich ins Bier gemischt. Dass du dann einen Unfall hattest..."
In Maxi brannte eine Sicherung durch.
"Ihr habt mir fucking Drogen ins Getränk gemischt, weil ihr es WITZIG fandet?", jetzt schrie Maxi ihn an. Doch das war längst nicht genug.
"Fandet ihr es auch witzig, mich dann im Krankenhaus zu sehen?", Maxi wollte seinen ganzen Frust an Thorsten rauslassen, doch das wäre nicht fair. Der Unfall selbst war nicht seine Schuld. Aber die Puzzleteile ordneten sich zu einem ganzen Bild und erklärten vieles.
"Thorsten.", fing er an und unterdrückte das Bedürfnis, den Blindenstock nach ihm zu werfen. Es würde Thorsten nicht weh genug tun und außerdem wusste er nicht, wohin er werfen sollte. Gleichzeitg brauchte er das Metall, um sich selbst aus dieser Situation rauszuhelfen. Er klappte ihn auf.
"Ich fand dein Angebot ja ganz gut, mich wieder in der alten Gemeinschaft zu wissen. Aber ebenfalls zu wissen, dass man mir heimlich Drogen ins Bier mischt und mich dann nach zwei Wochen links liegen lässt, obwohl ich euch dann grade gebraucht hätte, finde ich nicht witzig. Ich kann dir und den anderen keine Schuld geben, dass ich nun hier blind vor dir stehe oder meine Eltern tot sind. Aber ich kann dir ein schlechtes Gewissen hinterlassen. Dass ihr mir Halluzinationen verursacht haben, die mich ein Jahr lang verfolgt haben. Dass, gerade weil ich nicht wusste warum, die letzte Woche fast realistische Albträume gehabt hatte, die mich wahnsinnig gemacht haben. Dass ihr das Leben eines Jugendlichen fast bis in den Tod getrieben habt." Er wollte kehrt machen, stoppte aber noch kurz und wand sich abermals Thorsten zu. Er nahm die Sonnenbrille ab, öffnete trotz stechender Kopfschmerzen die Augen, damit Thorsten die Narben in seinem Gesicht sah und die tauben Augen sich in seinen Verstand fressen sollten. Egal ob es dunkel war, oder die Helligkeit seinen Anblick besser zur Geltung kommen konnte.
Diesen Anblick würde Thorsten nicht mehr vergessen. Und mehr beabsichtigte er nicht. Dass Angy existierte, war der Droge zum Teil geschuldet, jedoch auch den Panikattacken am Tag des Unfalls, danach und die letzte Auseinandersetzung mit ihr. Aber jetzt hatte Maxi nur noch mehr Gewissheit. Und das war auch etwas wert.
"Und sage Maria, dass es zwischen uns aus ist.", damit setzte er die Brille wieder auf, rief Lisa direkt an und verlangte ihre Fahrdienste. Ohne Kommentar legte sie auf und bat ihn um die nötige Wartezeit. Ohne weitere Worte suchte er sich den Weg um Tor, blieb dahinterstehen und wartete auf seine Halbschwester.
Lisa sagte nichts, als sie ihn mitnahm. Ihr Auto war keine zwei Minuten Laufzeit entfernt. Er stieg wortlos ein und sie machte keine Anstalten, etwas zu seinen nassen und verdreckten Fingern zu sagen. Das Radio war aus, Lisas Fahrstil sehr ruhig. Keiner sagte etwas. Spannung lag in der Luft. Maxis Befürchtungen zum Trotz, holte er sein Handy heraus und aktivierte die Sprachsteuerung.
"Was ist Special K?", fragte er Google, die sofort mit monotoner Stimme antwortete.
"Special K oder auch Ketamin wird in der Medizin als Narkose- und Schmerzmittel eingesetzt und in Pulverform oder flüssig konsumiert. Je nach Dosierung treten Halluzinationen, eine Auflösung des Ich-Gefühls und Einschränkungen der Motorik auf.", meldete die monotone Stimme aus seinem Smartphone.
Lisa keuchte erschrocken auf, als Maxi nur nickte. Er hatte es geahnt.
Er wusste nun alles, was er wissen musste. Und wie er weiter verfuhr. Das Schweigen verdonnerte Lisa, das für sich zu behalten. Darum bat er sie stumm und er wusste, dass er sich auf seine Schwester verlassen konnte.
Seien Gedanken trieben ihn noch an den letzten Tag als Sehender, dann wiederholte er aktiv die Bilder, die er hervorrief und verstand.
Zu Hause angekommen, viel zu früh als geplant, machte Hannah kommentarlos das Essen fertig. Luna hatte sich bereits schlafen gelegt. Manuel schien ihm seine Gefühle ebenfalls anzusehen, denn selbst sein Onkel nahm die Gabel aus dem Mund und sagte in das trostlose Schweigen hinein.
"Du kannst dich auf uns verlassen, egal was ist. Lass diese Idioten hinter dich."
Damit stand Maxi dankend auf und bat um seine Ruhe. Er legte sich mit dem Bild seiner Eltern aufs Bett und nutzte seine Fantasie, um Angy ein weiteres Mal in den Tiefen seines Verstandes zu besuchen.