In meiner Auffahrt parkte ein Kleinwagen. Direkt hinter Simons Kombi. Und dann auch noch schräg. Schräg geparkt. Das ging gar nicht. Die ganze gestochen scharfe, treffsichere Ansprache, die ich mir auf der Fahrt für meinen Mann zurechtgelegt hatte, fiel in sich zusammen. Ich zischte: »Niemand parkt in meiner Auffahrt!«, dann blieb ich völlig ratlos mit laufendem Motor stehen. Ich schielte um die Hecke.
Vor meiner Haustür stand mein Mann mit einer Frau, die offenbar aufgebracht gestikulierte. Er nicht weniger. Ich ließ den Wagen ganz langsam zurückrollen, dann fuhr ich einfach auf das Nachbargrundstück und blockierte dann eben jemand anderem die Auffahrt. Die alte Dame war sowieso über achtzig und ihr Enkel kam nur nachmittags vorbei.
Ich atmete tief durch, dann stieg ich aus und holte betont langsam meine Tasche aus dem Kofferraum. Die nächste Gnadenfrist. Nur ein paar Sekunden. Mein Herz raste wirklich bis zum Hals. Wie in Zeitlupe sah ich dabei zu, wie meine Hand sich um den braunen Ledergriff der Tasche schloss, dann hob ich sie mit einem Ruck hoch, schlug die Klappe zu und machte mich auf den Weg.
»Ich bitte dich doch nur, jetzt zu gehen! Du kannst hier nicht einfach auftauchen und mir die Pistole auf die Brust setzen, meine Frau kann jeden Moment hier sein!«
Ich straffte die Schultern und bog um die Hecke. Simon sah mich und wurde kreidebleich. Ich blieb stehen und blickte auf den Rücken der Frau. Sie war nicht schlank, irgendwie eher mittel, nicht dick und nicht dünn. Und sie steckte in einer dieser praktischen Outdoor-Jacken, wie Frauen sie tragen, die gern bei Wind und Wetter spazieren gehen.
Ihre Stimme klang verzweifelt. »Du kannst es nicht einfach für beendet erklären! Vor drei Tagen hast du noch von dem Wohnmobil gesprochen und wie wundervoll es wäre, einfach abzuhauen …«
Simon deutete einfach nur schweigend mit dem ausgestreckten Arm auf den Kleinwagen, so, wie man einem unartigen Hund zeigt, dass er in seinem Körbchen verschwinden soll.
Ich trat mit einem großen Schritt näher. Unter meinem Schuh knirschten Scherben. Ich nahm wahr, dass der handgetöpferte Tontopf, den ich so liebevoll am ersten Advent dekoriert hatte, von der Fensterbank geflogen war. Die kleinen goldenen Rentiere, die ich extrem niedlich gefunden hatte, lagen zwischen Blumenerde und Tannenzweigen zerstreut und zerbrochen auf dem hübschen Natursteinweg, um den wir uns beim Hausbau so gestritten hatten.
Ich sah für einen Augenblick auf dieses Bild des Jammers und fand die Symbolik furchtbar übertrieben und viel zu kitschig. Trotzdem musste ich leise lachen, wenn auch mit einem bitteren Unterton. Wenn Annegret der verwelkte Blumenkranz zustand, dann gebührte mir wohl der Scherbenhaufen.
Trotzdem hob ich den Kopf und zischte: »Simon, du kannst sie nicht einfach wegjagen wie einen geprügelten Hund!«
Simon und Annegret starrten mich beide völlig aus dem Konzept gebracht an. Ich sah noch einmal kurz auf die Scherben, dann blickte ich ihr ins Gesicht. Obwohl ich ihr Profilfoto aus ihrem Chatverlauf mit Simon kannte, war sie vollkommen anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Irgendwie hatte ich so ein überirdisch charismatisches Wesen wie Anna erwartet. Eine wilde, freie Frau, die schlief, mit wem immer sie wollte und die jedem Schmerz mit einem geschmeidigen Ausfallschritt begegnete. Aber das hier war ein …
Ich musterte das verweinte Häuflein Elend und beobachtete, wie sie verstohlen an ihre Haare fasste. Ja, sie hatte einen flotten Kurzhaarschnitt. Einen, den sie offensichtlich ein paar Tage nicht gewaschen hatte und der an der einen Seite plattgedrückt war, an der anderen Seite dafür hoch stand.
Diese Frau war keine Mono-Bitch auf Männerjagd, sie hatte ganz offensichtlich die Nacht damit verbracht, sich die Augen auszuweinen.
Ich zupfte an meinen morgens auch nur schnell hochgesteckten ungewaschenen Haaren und platzte heraus: »Ich hätte auch gern besser ausgesehen bei unserer ersten Begegnung, aber jetzt müssen wir uns wohl nehmen wie wir sind.« Ich hielt ihr die Hand hin. »Ich bin übrigens die Ziege. Lena.«
»Annegret.« Die Frau wich meinem Blick aus, gab mir aber ein bemitleidenswert schlappes Händchen.
Simon schob sich vor seine Geliebte und hob eher mahnend als flehend die Hände. »Liebes, das war überhaupt nicht geplant! Ich habe Annegret nicht eingeladen und ich wollte sie gerade bitten zu gehen!«
Ich sah ihn ausdruckslos an. »Hase, du stehst mir im Weg. Mach uns doch bitte einfach mal einen Kaffee.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah Simon über die Schulter. »Du bleibst doch auf einen Kaffee, oder? Ich fände es schön, wenn wir uns wie erwachsene Menschen verhalten würden und das hier irgendwie zivilisiert über die Bühne kriegen.«
Simon zischte verzweifelt: »Liebes, sie möchte nicht bleiben!«, aber hinter ihm hörte ich ein zaghaftes, heiseres Stimmchen. »Ein Kaffee wäre schön.«
Ich stellte mich wieder fest auf die Fußsohlen und sah meinen Mann einfach nur an. Sicherer Stand. Es wirkte. Simon trollte sich ins Haus. Ich brachte eine halbwegs einladende Geste zustande. »Gehen wir ins Wohnzimmer?«
Annegret senkte den Kopf, was ich als Nicken interpretierte. Ich ging einfach mal vor. Im Eingangsbereich ließ ich meine Tasche fallen und hängte meine Jacke auf. Wir hatten uns für einen offenen Wohnstil entschieden. Simon mochte Weite. Deswegen hatten wir im Erdgeschoss ein riesiges, minimalistisches Wohnzimmer mit einer Essecke für zehn Personen und eine offene Küche.
Nach der intensiven Zeit in dem kleinen bunten Haus mit den Dachschrägen und den kleinen Räumen kam mein eigenes Zuhause mir so gemütlich vor wie eine Bahnhofshalle. Und so, wie Annegret sich verstohlen umsah, empfand sie ähnlich. So, wie sie sich umsah, war sie scheinbar auch noch nie hier gewesen. Wie denn auch, ich war ja immer zu Hause, wenn Simon von der Arbeit kam. Oder wenn ich gedacht hatte, dass er von der Arbeit kam.
Ich lächelte Annegret verkrampft an und nahm dabei wahr, dass sie verwaschen braune Augen hatte. Schmale Lippen und ein ganz hübsches Dutzendgesicht. Sie sah absolut nicht aus wie der Albtraum der betrogenen Ehefrau, jung, sexy, mit einer Bombenfigur und sinnlichen Lippen. Sie sah aus wie eine ganz normale Frau, die nicht sicher war, ob sie angreifen oder fliehen sollte.
»Möchtest du mir deine Jacke geben?« Ich versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln, aber Annegret sah mich an, als hätte ich gesagt: »Möchtest du mir meinen Mann geben? Ich würde ihn gerne behalten!«
Vielleicht kam es mir auch nur so vor, denn genau das dachte ich in dem Moment. Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, ging ich einfach rüber zu unserer Sitzlandschaft und machte wieder diese einladende Geste. Langsam kam ich mit vor wie der Papst auf dem Balkon, der machte auch immer Gesten, die mir vollkommen sinnlos erschienen.
Aber Annegret setzte sich. Nicht so, wie jemand, der sich wohlfühlt. Sie setzte sich wie jemand, der bereit ist, jederzeit wieder aufzuspringen. In der Küche flog Simon scheppernd eine Tasse aus der Hand. Er werkelte mit dem Rücken zu mir, aber ich konnte fühlen, wie seine Hände zittern. Ich kannte meinen Mann. Das hier war für ihn ein absoluter Albtraum.
Ich versuchte, ein bisschen Entspannung in die Sache zu bringen und drehte mich an Annegret, deren Blick hilfesuchend an Simons Rücken haftete.
Ich räusperte mich. »Erzähl doch mal, wie habt ihr euch denn kennengelernt?«
»Er hat Bücher bei mir gekauft. Ich bin Buchhändlerin.« Annegret streifte mich mit einem gehetzten Blick, dann sah sie wieder zu Simon. Ich wusste, dass er in diesem Moment das stylishe Wohnkonzept mit der großzügigen offenen Küche verfluchte. In diesem Augenblick hätte er sich lieber hinter der Kaffeemaschine auf einem anderen Planeten versteckt. Stattdessen starrte er in den offenen Kühlschrank, als gäbe es da ein Weltmeisterschaftsspiel zu sehen. Ich verkniff mir die Bemerkung, dass die Milch in der Tür stand. Er brauchte jetzt einfach diesen Kühlschrank. Keine Frauen drin. Sehr beruhigend.
Ich lächelte Annegret geistesabwesend an. »Aha, welche Bücher denn? Er liest doch gar nicht!«
»Jane Austen. Die Gesamtausgabe im Schuber, mit Lesebändchen und Schutzumschlägen.«
Aha, das Buchhändlerinnen-Areal in Annegrets Gehirn funktionierte also. Ich lehnte mich zurück und legte die Hände auf die Armlehnen meines Sessels, als würde ich mich auf meine Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl vorbereiten. Diese Gesamtausgabe hatte Simon mir dieses Jahr zum Geburtstag geschenkt. Zum Geburtstag im April.
Das Krächzen des Milchaufschäumers durchschnitt die Luft. Ich wusste einfach nicht, was ich noch sagen sollte. Das hier hatte so gar nichts mit einer lustigen polyamoren Telenovela zu tun. Ich hatte viel eher das Gefühl, in meinem ganzen Leben noch keine so verkrampfte Szene erlebt zu haben. Fast wünschte ich mir den Weihnachtsabend bei meinen Schwiegereltern zurück, da hatten wir wenigstens noch so tun können, als wäre die Welt in Ordnung.
Simon kam mit einem Tablett mit drei Kaffeebechern zum Tisch. Ich hörte am Klappern der Tassen und Löffel, dass sein Puls wahrscheinlich gleich die Schallmauer durchbrechen würde, aber mein Mann war Jogger. Ich war ziemlich zuversichtlich, dass er diesen Abend ohne Herzinfarkt überstehen würde.
Er stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab, dann setzte er sich möglichst weit weg von uns beiden hin. Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, ließ ich den Blick durch den Raum schweifen. Normalerweise brauchte Simon nicht lange, um das Haus komplett zu verwüsten, wenn ich mal einen Tag nicht da war.
Ich hatte mit Pizzakartons, herumliegenden Zeitschriften, benutzten Gläsern und verknoteten Krawatten gerechnet, aber mein Mann hatte aufgeräumt. Er hatte geputzt und aufgeräumt. Auf dem Sideboard neben der Glasfront zur Terrasse stand eine Vase mit prachtvollen Rosen in zarten Pastelltönen.
Ich sah den kleinen Umschlag mit der Karte in den Blumen und verstand, dass mein Mann sich auf mich gefreut hatte. Dass er alles vorbereitet hatte für unsere Versöhnung. Wahrscheinlich stand sogar Champagner im Kühlschrank. Und auf dem Sofa saß Annegret.
Simon verschränkte die Arme auf den Knien und brütete finster vor sich hin. Ich verkniff mir die nächste einladende Geste und nahm mir einfach nur selbst einen Kaffee, als Simon den Kopf hob. »Lena, ich hab keine Ahnung, was du hier vorhast, aber ich möchte das nicht! Ich möchte nicht zivilisiert hier sitzen und so tun, als wäre alles in Ordnung! Ich möchte nicht, dass wir Kaffee trinken und Konversation machen! Ich möchte noch nicht einmal, dass ihr beide in einem Raum seid!«
Ich sah Simon völlig überfahren an. Heiser flüsterte ich: »Wäre es dir lieber, wenn ich deiner Geliebten die Augen auskratze?«
Simon sprang auf. Er schrie, wie ich ihn noch nie schreien gehört hatte. Noch nicht einmal auf dem Fußballplatz. »Ja, ich möchte, dass du ihr die Augen auskratzt! Ich möchte, dass du mir die Augen auskratzt! Aber deine kalte Gleichgültigkeit ist nicht zu ertragen!«
Entsetzt sah ich zu ihm auf. Er machte auf dem Absatz kehrt und stampfte nach oben. Ich hörte die Tür zum Schlafzimmer knallen, dann wurde es bedrückend still.
Annegret räusperte sich und stand schwankend auf. Erst jetzt registrierte ich, dass ihre etwas zu kurzen Beine in einem steifen grauen Rock steckten, der ihre leichten O-Beine unglücklich betonte. Wer trug denn solche Röcke? Omas? Hipster? Bionade-Barbies mit Upcycling-Ambitionen? Oder einfach Buchhändlerinnen?
Annegret lächelte mich unsicher an. »Danke, dass du es versucht hast.«
In diesem Moment verstand ich, was Anna gemeint hatte. Empathie. Diese Frau war verdammt tapfer.
Annegret nickte mir noch einmal scheu zu, dann ging sie aus dem Haus und zog leise die Tür zu. Während ich draußen den Kleinwagen anspringen hörte, stand ich auf und zog die Karte aus den prachtvollen Rosen. Ein vergängliches Vermögen in einer Vase.
Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Danke für den Neuanfang, dein Simon.
Meine Unterlippe fing an zu zittern. Ich lauschte für einen Moment auf die gespenstische Stille im Haus, dann öffnete ich die Terrassentür und trat in den dunklen Garten. Ich senkte den Kopf und holte mit einem Doppelschluchzer tief Luft. Ich atmete aus. Ich lachte angespannt und spürte, wie verkrampft ich war. Also atmete ich noch ein bisschen und hörte in meinem Inneren das leise Rasseln des Tambourins. Dann dachte ich: »Scheiß auf Zivilisation!«
Ich warf den Kopf in den Nacken und heulte wie ein Wolf.