Ich knallte mit dem Kopf von unten gegen die Tischplatte und lachte verzweifelt. Was sollte ich bloß mit diesen Schläuchen anstellen? Ich fühlte mich, als müsste ich einen Intensivpatienten an lebenswichtige Geräte anschließen, aber Steffi hatte mich mit einem: »Du kriegst das bestimmt hin, es gibt ja Youtube!« in der riesigen Scheune abgeliefert und ich wollte sie auf keinen Fall enttäuschen.
Über mir raschelte ein Stoffbeutel. »Brauchst du Hilfe?«
Ich richtete mich auf und grinste entschuldigend. »Ich versuche, das Bierfass an die Zapfanlage anzuschließen, aber ich hab keine Ahnung, wie das geht!«
Vor mir stand eine umwerfend niedliche junge Frau. Sie hielt mir ihren Stoffbeutel unter die Nase. »Hi, ich bin Lilly! Hast du schon deine Kugel gezogen?«
»Kugel? Welche Kugel?« Etwas in mir zuckte. Das war also Lilly. Irgendwie blubberte Empörung in mir hoch. Blonde Haare waren eine Sache, volle Haare waren eine andere. Aber volle blonde Haare waren gemein. Und dann waren da noch diese super süßen Grübchen! Und Lillys Ausschnitt verriet mir, das John es auch durchaus üppig mochte. Ich grunzte innerlich. Das monogame Gewohnheitsmonster in meinem Kopf meldete: »Alles klar, ich weiß schon, mit welchen Reizen dieses kleine Luder meiner Freundin Anna den Mann ausgespannt hat!«
Lilly strahlte mich an. »Halt mal!«
Sie drückte mir ihren raschelnden Beutel in die Hand und verschwand unter dem Tisch. Erstaunlich schnell tauchte sie wieder auf. »Die Hebel sind bei diesen Anlagen nur manchmal ein bisschen zickig. Schnappst du dir mal einen Becher und lässt oben was raus laufen?«
Ich sah mich um, dann legte ich den Beutel ab. Ich zog einen der Becher aus dem Stapel, stellte ihn unter den Zapfhahn und drehte ihn vorsichtig auf. Enttäuscht verkündete ich: »Da kommt nur Schaum!«
Lilly kicherte unbeschwert. »Das muss so! Bis Bier kommt, dauert es eine Weile, erst mal muss das Gas raus!«
Sie reichte mir einen Eimer. »Hier, kipp den Schaum da rein. Und halt den Becher schräg, sonst zapfst du Schaum, bis das Fass leer ist!«
Ich zapfte weiter und bekam langsam Spaß an der Sache. Das funktionierte ja tatsächlich! Ich vergaß völlig das Mono-Monster in meinem Kopf und lachte. »Wie hast du das gemacht?«
Lilly rappelte sich hinter der provisorischen Theke auf und klopfte sich die Knie sauber. »Ich war nur ein paar Jahre hauptberuflich Aushilfe, da lernt man so einiges.«
Angelockt vom Bier tauchte neben mir ein Wikinger auf. Ich drehte mich ehrfürchtig zu ihm um. Er war um einiges älter als Sven und so breit wie das Tor der Scheune. Und er hatte Oberarme wie Traktor-Reifen. Sein kahlgeschorener Kopf war mit tätowierten Ornamenten verziert, dafür war der üppige Bart zu zwei störrischen Zöpfen geflochten, die ein Eigenlegen zu führen schienen.
Während ich diesen skurrilen Riesen atemlos anstarrte, nahm er mir mit einem charmanten Lächeln das frisch gezapfte Bier aus der Hand und stellte sich vor. »Lasse! Lasse, der Lösungsreiche. Nicht zu verwechseln mit Loki, dem Listenreichen.«
Ich sah dabei zu, wie dieser Wikinger meine schlappe Hand schüttelte und krächzte: »Ich bin Lena, die Langweilige!«
Der Wikinger lachte dröhnend. »Glaub ich nicht!«
Lilly hüpfte zu uns und schüttelte wieder ihren Beutel. »Wer braucht jetzt noch eine Kugel für die Challenge?«
Ich sah sie erstaunt an. »Challenge? Welche Challenge?«
Lasse kostete das Bier und wischte sich mit dem Unterarm über den Bart. »Ich denke, sie spricht von der Fucking-Hell-Klischee-Dance-Battle für Stoppelhopser!«
Neben Lasse tauchte ein junger Mann auf, der beruhigend normal gewirkt hätte – mittelgroß, straßenköterblond – wenn er nicht in einem samtenen Hausmantel durch die Scheune spaziert wäre wie Lord Byron persönlich. »Wo sind hier Stoppelhopser?«
»Bärchen!« Lasse lachte dröhnend und schlug dem jungen Mann kumpelhaft auf die Schulter. »Ich meinte damit Leute wie dich!«
Ich grinste. Das war also »der« legendäre Bärchen. Der Bärchen tätschelte mir beruhigend den Arm. »Hat dir schon jemand gesagt, dass die Wikinger nur spielen wollen? Du guckst so verängstigt!«
Ich grinste ertappt. »Eigentlich erschreckt mich eher der Gedanke an eine Dance Battle! Meine Tanzkünste erschöpfen sich im Auswendiglernen der Dialoge aus Dirty Dancing und Footloose!«
Lilly strahlte mich an und schüttelte jetzt erst recht auffordernd ihren Beutel. Der Bärchen beruhigte mich: »Keine Sorge, man muss nicht tanzen können. Wir neigen alle dazu, nur Sachen zu machen, die wir nicht können. Deswegen sind wir ja so erfolgreich!«
»Okay? Na, dann?« Ich steckte die Hand in den Beutel, wühlte ein bisschen darin herum und zog eine Kugel heraus. »Rot? Was bedeutet rot?«
»Oha! Oha!« Lasse griff sich an den Kopf, dann lachte er wieder dröhnend los. Lilly flüsterte mir zu: »Keine Sorge, Lasse hat gar keinen Plan, was Rot bedeutet!«
Ich blinzelte sie ratlos an. »Und du? Weißt du, was Rot bedeutet?«
Lilly grinste nur geheimnisvoll, dann hob sie schnuppernd den Kopf. »Riechst du das? Pizza!« Sie zupfte an meinem Ärmel und wisperte verschwörerisch: »Schnell, wir schleichen uns in die Küche und schnappen uns ein Stück, bevor nichts mehr da ist! Das machen alle so!«
Ich sah mich in der Scheune um und ließ die Botschaft sacken. Meine Augen wanderten über gemütliche, bunt zusammengewürfelte Sofas, über eine Ecke mit Instrumenten und Technik, über Tische voll mit Tellern und Besteck. Ein Blick um die Ecke der L-förmigen Scheune verriet mir, dass dort das dämliche Bettelanger aufgebaut war. Alles wurde von bunten Lichterketten in ein fröhliches Schummerlicht getaucht. Überall standen oder saßen in kleinen Gruppen Menschen und redeten und lachten.
Ich neigte nachdenklich den Kopf. Alle schnappten sich schon in der Küche ein Stück Pizza, bevor nichts mehr da war?
Und mein Simon war abgestellt, um die Pizza zu verteidigen, bis das Buffet aufgebaut wurde. Vor meinem inneren Auge sah ich meinen armen Simon, umringt von einer Horde hungriger Wikinger. Ich habe einen Zahnarztbohrer und ich möchte ihn nicht benutzen müssen!
Ich lachte schallend los, dann stürmte ich hinter Lilly her durch die Gänge des alten Gulfhofs, um die Küche ausfindig zu machen.