Der Reaper betrachtete zufrieden seinen Blitzregen. Wie die Fliegen fielen sie alle um, nachdem sie getroffen waren. Funken stoben durch den elektrisch aufgeladenen Himmel, wann immer einer von Khaelis Feen das Licht ausging. Die Blitze waren so stark für die kleinen Körper, dass sie einfach explodierten.
Die Lich förderte gerade eine rustikal und antik aussehende Muskete unter ihrem Umhang hervor, als es bei ihr einschlug. Sie zitterte wie eine Marionette und sackte bewusstlos zusammen. Dasselbe geschah mit ihren grünhäutigen Helfern, nur dass diese aufplatzten wie Melonen. Für einen Augenblick wunderte Malucius sich, dass sie nicht bluteten, doch dann realisierte er, dass es sich dabei um durch Nekromantie erweckte Zombies handelte. Die hatten keinen Tropfen Flüssigkeit in ihrem Körper, abgesehen von ihrem Sabber.
Dem Adminen Ben gelang es in der letzten Sekunde, sich schützend auf Belle und Khaeli zu werfen, die zweifellos ebenfalls zu energiegeladenem Glitzer geworden wären, wenn ein Blitz sie erwischt hätte. So traf es Benjamin, der ohnmächtig und sonderbar qualmend über den beiden Feen zusammenbrach und diese unter sich begrub.
Die beiden Vampire und ihr Elfling-Schützling lagen am nächsten an dem Reaper dran. Auch sie hatte es voll erwischt.
Doch auch Malucius selbst war nicht unbeschadet aus diesem Zusammenstoß hervorgegangen. Während er noch Freude über seinen gelungenen Zauber empfand, krampfte sich seine Hand über der Wunde in der Brust zusammen. Erschrocken stellte er fest, dass seine Finger von seinem Blut getränkt waren, bevor er erschöpft auf die Knie sackte.
Dieser Schweinehund Phobos hatte sein Herz verfehlt, doch das Salz, mit dem die Klinge seines Schwertes bestrichen gewesen sein musste, hinderte Malucius’ Körper daran, die Verletzung so zu heilen, wie er es sonst tat. Der Mann spürte das Loch in seinem Leib, sowohl in der Brust als auch in seinem Rücken und die klebrige Feuchtigkeit, die sein austretendes Blut in seiner Kleidung verursachte. Er konnte schlecht atmen, denn seine Lunge war verletzt.
Reaper waren allergisch gegen Salz, so wie es Vampire gegen Silber waren. Blutsauger konnten über einen langen Zeitraum eine Immunität gegen das Edelmetall entwickeln, während die Energiesauger es nicht konnten. Das Mineral verursachte ihnen Schmerzen und minderte die Regenerationskraft ihres Körpers, jedoch nicht ihre Magie.
»Dominus«, wisperten ihm einige der überlebenden Schattenfeen besorgt zu, als Malucius sich mühsam wieder aufgerichtet hatte. Seine Feinde würden eine Weile außer Gefecht sein. Eigentlich mehr als genug Zeit, um sie alle in den verdammten Lavasee zu werfen, doch das erschien dem Reaper viel zu einfach. Wenn sie nicht bemerkten, dass sie starben, hatte es keinen Sinn.
»Gebt mir ... einen Moment«, keuchte er angestrengt und die kindgleichen Wesen reckten ihm ihre Hände entgegen.
»Man hat Euch verletzt, Dominus«, ein Fauchen, unheilvoll und bösartig, zischte durch die Feen und sie bleckten ihre winzigen, rasiermesserscharfen Zähne unter dem unheimlichen Schleier, der ihre Haut darstellte. Es war inzwischen vollkommen dunkel und das einzige Licht, das es gab, stammte von dem silbernen Mond hoch am Himmel, sonderbar verwischt und blass, und der Glut des Magmasees.
»Ja, das ist wohl wahr ...«, murmelte Malucius und setzte sich auf einen der größeren Felsbrocken, um einen Moment auszuruhen.
»Sollen wir sie fressen, Dominus?« Gierig troff der Geifer aus den Mäulern der schwarzen Feen und ihre kaum zu erkennenden Augen funkelten.
»Nein.« Der Reaper lächelte leicht. »Das ist zu einfach.«
»Wir können es schmerzhaft machen, Dominus.«
»Ich weiß.« Der Mann lehnte sich etwas zurück und spürte, dass das Atmen wieder leichter fiel. Das aus der Wunde austretende Blut hatte das Salz inzwischen ausgewaschen und er fühlte, dass seine verletzten Organe zu heilen begannen.
Doch auch in die bewusstlosen Kämpfer kehrte das Leben zurück. Die Vampire, deren Heilungskraft die der Lich, Elflinge oder Menschen übertraf, regten sich als erste wieder, während Megan, Sylfaen und Benjamin noch in tiefer Ohnmacht lagen. Vermutlich würde keiner von ihnen sterben, denn Lich konnte man nur vernichten, wenn man das Gefäß fand, das ihre Seele enthielt, Adminen waren Götter und Elflinge zäher als sie aussahen, doch ein Blitzschlag brachte den gesamten Körper durcheinander und setzte dessen Funktionen außer Kraft. Es knipste das Gehirn aus und nur die Tatsache, dass dieses bei einem Vampir das stärkste Organ war, war der Grund, warum Phobos bereits wieder auf den Knien hockte und Riley etwas desorientiert den Kopf schüttelte.
»Oh Gott«, keuchte der junge Unsterbliche, krampfte sich zusammen und erbrach sich heftig. Knurrend und etwas wackelig wischte er sich anschließend über den Mund und stemmte sich hoch.
Phobos, der mit geschlossenen Augen da saß, wirkte verschwitzt und sein Gesicht hatte die Farbe von fleckigem Käse. Ein blutiges Rinnsal war aus seinem dunklen Haar heraus an der Seite seines Kopfes in Richtung Hals geflossen und auch seine Nase blutete.
»Phobos?« Riley hatte sich vor ihn gekniet.
»Ich kann nichts sehen«, murmelte der Angesprochene und als der junge Vampir dessen Kopf in Richtung des Lavasees drehte, konnte er erkennen, warum das so war.
Der Blitz musste den Unsterblichen am Kopf getroffen haben, denn seine Augen, deren Lider er immer wieder blinzelnd flattern ließ, waren fast schwarz. Die Hitze des Einschlages hatte sie verbrannt. Sie heilten bereits wieder, das konnte Riley sehen, doch solange sie nicht intakt waren, war Phobos blind.
Wut kochte in dem jungen Vampir hoch. Dieser verfluchte Reaper sollte für die Schmerzen büßen, die er ihnen allen angetan hatte.
»Glückwunsch«, hörte er die etwas röchelnde Stimme Malucius’ durch seinen Zorn und drehte ihm den Kopf zu. »Du bist der Einzige, der fit ist. Man sollte einen Neugeborenen wirklich nie unterschätzen. Aber du allein kommst gegen mich nicht an, solange dir dein Sugardaddy nicht mit seiner Psychokinese hilft.«
Riley ergriff Nightshade, das Phobos hatte fallen lassen, und umklammerte den Griff. Langsam stand er auf und schüttelte beiläufig das letzte Zucken ab, das der Strom in seinem Körper hinterlassen hatte. Er fletschte die Fänge und seine Augen hatten dasselbe Glühen wie die Lava einige Meter von ihnen entfernt.
»Sugardaddy?«, knurrte Riley leise, »er ist ...«, er packte die Klinge fester, machte eine blitzschnelle Bewegung nach vorn und warf das Schwert, »mein Ehemann!«
Malucius, der ebenfalls wieder genesen war, schaffte es gerade so, dem messerscharfen Wurfgeschoss auszuweichen, doch der junge Vampir, der ihm in Kraft und Schnelligkeit überlegen war, schoss hinterher, fing Nightshade im Flug auf und vollführte eine scharfe Drehung. Riley hob das Schwert und der Reaper schrie erneut auf. Noch mehr Blut, dunkel und im unwirklichen Licht glitzernd, benetzte den schwarzen Vulkanboden, als Malucius an sich herunter sah. Sein Gewand offenbarte eine weitere hässliche Schnittwunde, die brannte wie Feuer und ihm die Kraft nahm. Dieses verfluchte schwarze Schwert war nicht nur mit Salz bestrichen worden und saugte Blut, es raubte Malucius auch Energie.
»Wie gefällt dir das, Arschloch? Macht der Schmerz dich geil?« Riley prallte erneut gegen den Reaper und rammte diesem mit einer schnellen und harten Bewegung einen seiner Armbrustbolzen tief in den verletzten Brustkorb. Es knirschte und Malucius heulte gequält auf. Der kleine Pfeil war unter seine Rippen gerutscht und dort stecken geblieben.
»So leicht ... besiegst du mich nicht, du Ratte«, presste der bleiche Mann zwischen den Zähnen hervor. »Kroĭka!
«, keuchte er und hob die Hand in einer Geste, als würde er Riley einfach wegwischen wollen.
Dieser schrie auf, erfuhr einen unsichtbaren Schlag und wurde durch die Luft geschleudert. Blut spritzte, während tiefe Schnitte seine Haut zerrissen und die Kleidung sowie den leichten ledernen Brustpanzer zerfledderten. Dumpf schlug Riley neben dem versehrten Phobos auf, der besorgt die Hand ausstreckte. Er konnte das Blut seines Gefährten, von dem er gekostet hatte, deutlich riechen.
Riley stöhnte vor Pein, er fühlte sich, als hätte eine riesige unsichtbare Monsterhand mit gigantischen Fingernägeln nach ihm geschlagen.
»Macht der Schmerz dich geil, kleiner Blutsauger?« Malucius verdrehte sich halb die Hand bei dem Versuch, den festsitzenden Armbrustpfeil, der ihm konstant Energie raubte, aus seiner Brust zu ziehen. Doch der Vampir hatte ganze Arbeit geleistet. Das kleine Geschoss saß so verkeilt im Rippenkäfig, dass es Malucius nicht gelang, es zu entfernen. Schließlich seufzte dieser genervt und wütend.
»Okay, du Mistkerl, die Runde geht an dich. Doch langsam vergeht mir die Lust auf diesen Tanz«, Malucius blickte über den Platz. Seine Feen standen Spalier und bewachten die Bewusstlosen, doch der Reaper konnte sehen, dass auch diese allmählich wieder zu sich kamen.
»Vielleicht sollten wir das ganze Spiel allmählich beenden.«
»Wir«, keuchte Riley und richtete sich mühsam auf. Schnaufend wischte er sich das Blut aus dem Gesicht, »wir haben das hier nicht begonnen, sondern du ... Gib uns Arian zurück und ich werde mich beeilen, wenn ich dich in Stücke reiße.«
»Du kleiner Wicht kannst ja kaum allein stehen.«
»Dasselbe gilt für dich, Arschloch.«
»Euren Sohn habt ihr längst verloren, habt ihr das noch nicht begriffen? Glaubt ihr wirklich immer noch, ich hätte ihn bei mir? Wie dumm ihr seid.« Malucius wollte lachen, doch das ging in einem erstickten Röcheln unter.
Phobos, noch immer wackelig, hatte sich vom staubigen Boden erhoben und wischte sich mit einer Hand über die Augen. Diese tränten und wirkten noch immer gerötet und wund, doch offensichtlich war die Sehkraft zurückgekehrt. Seine rechte Hand hielt er erhoben und die Finger waren verkrümmt. Er hielt den Reaper mit dem puren Willen seines Geistes fest und würgte ihn. Malucius mochte durch die Energie in sich fast unermesslich stark sein, doch er musste atmen, im Gegensatz zu einem Vampir.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, fauchte der Unsterbliche.
»Das werdet ihr nie erfahren. Na los, alter Freund. Töte mich. Töte mich und ...«, Malucius hustete, als Phobos den Griff lockerte und stattdessen mit der anderen Hand sein Schwert zu sich rief.
»Du weißt es nicht«, schlussfolgerte der Vampir ruhig. »Du bist ein mieser Pokerspieler. Du hast keine Ahnung, wo Arian ist, du hast ihn verloren.«
»Im Gegensatz zu euch ist mir das ganz egal. Aber das wird bald vorbei sein, ich verspreche es euch. Denn wer tot ist, der kann keine Trauer empfinden!«
Schnaufend, weil er den schmerzhaften Druck der kalten Vampirfinger noch immer an seiner Kehle zu spüren glaubte und weil der Bolzen in seiner Brust ihn schwindelig machte, hob er beide Hände.
»Cherep kolo...«
Phobos riss ebenfalls die Arme hoch und verdrehte Malucius mit einem Ruck die Handgelenke. Es knackte laut und der Reaper schrie erbärmlich auf, wodurch er seinen Zauber nicht vollenden konnte.
»Oh nein, das wirst du nicht tun! Du wirst uns nicht die Köpfe von den Schultern schlagen und du wirst überhaupt nie wieder jemanden töten, du Monster!«, brüllte der Unsterbliche und schnellte auf den paralysierten Malucius zu. Phobos schlug ihm hart ins Gesicht und schickte ihn damit auf den steinigen Boden.
»Und wenn ich dich dafür eigenhändig zu Staub und Brei schlagen muss, Lu, das werde ich nicht zulassen. Niemals wieder!«
Malucius drehte sich auf der Erde liegend zu Phobos herum und lachte. Er lachte unbekümmert, als hätte der Vampir nur einen Scherz gemacht.
»Versuch’ es, du großer Held Belletristicas. Letzten Endes wirst es immer du sein, der das hier überhaupt erst möglich gemacht hat. Du warst zu schwach, mich beim ersten Mal zu töten und nun klebt das Blut der Toten an deinen Händen und das werden sie niemals vergessen. Du trägst die Schuld, solange du lebst.«
Phobos trat ihm in die Seite, was den Reaper dumpf keuchen ließ. »Verwechsle meine Liebe zu dir nicht mit Schwäche, du Mistkerl! Ich wollte dich retten! Doch du wolltest nicht gerettet werden! Und nun ist es zu spät, nun wirst du sterben. Wir ernten das, was wir gesät haben. So ist es doch. Ich trage die Verantwortung für meine Taten seit einem halben Jahrtausend, doch du benimmst dich wie ein bockiges Kind. Das endet hier!«
Das Schwert anhebend bohrten sich die roten Augen des Vampirs in die eisgrauen des Magiers und dieser, wenn auch nur für einen kurzen Moment, ergab sich seinem Schicksal. Ein kleiner Teil in Malucius wollte, dass Phobos die Klinge fallen ließ und ihm den Kopf abschlug. Es sollte endlich alles enden, er war dem Ganzen so überdrüssig. Er war müde.
Doch der Reaper in ihm und damit der ungetrübte Drang eines uralten Volkes nach Leben, Energie und Macht, war stärker. Malucius hob die Hand in der Sekunde, als Phobos das Schwert auf ihn niedersausen ließ, und hielt die Klinge fest. Sie schnitt ihm in die Finger, doch das kümmerte den Mann nicht. Schmerz war relativ.
»Noch nicht«, schnaufte er und wollte sich gerade wieder aufrappeln, als der Boden unter ihren Füßen zu beben begann. Die losen Steine, selbst die schweren Felsbrocken, erzitterten und kullerten herum. Der Magmasee begann noch lauter zu brodeln, ganze Stücke von der Kraterkante fielen in die flüssige Gesteinsmasse und ließen sie meterhoch spritzen.
»Phobos!«, rief Riley seinem Gefährten panisch zu. Der junge Vampir hatte sich die noch immer bewusstlose Sylfaen auf den Rücken geladen. Er stützte die benommene Megan und blickte mit blankem Horror auf das glühende Höllentor, das den Eindruck machte, jeden Moment überzulaufen. Benjamin, wieder auf den Beinen, schwankte bedenklich, hielt jedoch die beiden geschwächten Feen Khaeli und Belle in den Fingern. Alle anderen waren tot.
Malucius Schattenfeen wirkten hin- und hergerissen zwischen ihrem starken Drang, sich selbst in Sicherheit zu bringen und der Loyalität ihrem Meister gegenüber.
»Wir müssen hier weg, der Vulkan bricht aus!« Das Beben war so laut, dass es für die empfindlichen Ohren der Vampire fast nicht zu ertragen war.
Phobos hob den Reaper an und hielt ihn am Kragen fest. »Viel Spaß in der Hölle«, fauchte er, schlug ihn nieder und rannte zu seinen Gefährten zurück, als ein lauter Knall alle zusammenzucken ließ. Glühend heiße Spritzer gingen auf sie nieder und eine Wand aus Lava türmte sich dem Himmel entgegen.
Geschockt und voller Panik, doch nicht in der Lage, auch nur einen Muskel zu rühren, starrten die Vampire und die angeschlagenen Kämpfer auf das Spektakel, das sich etliche Meter vor ihnen abspielte. Sie hatten den Kraterrand erreicht und Schutz gesucht hinter einigen hohen Felsen, denn das, was dort geschah, war kein Vulkanausbruch. Nicht das Magma war es, das einen Weg nach draußen gesucht hatte, sondern etwas vollkommen anderes, womit niemand von ihnen gerechnet und von dem alle gehofft hatten, dass es niemals geschehen würde.
»Oh ihr Götter«, keuchten die Vampire und starrten fassungslos in den Himmel. Dort, viele Meter über dem Lavasee, der an einigen Stellen auf die Ebene geschwappt war und in niedrigen Senken weitere, faszinierend schimmernde Pfützen gebildet hatte, hielt der starke Schlag mächtiger Schwingen einen gigantischen roten Drachen in der Luft.