Als Joon sie da, komplett durchnässt stehen sah, war das erste Bild, das ihm bei ihrem Anblick durch den Kopf schoss, das eines Kätzchens, welches jemand versucht hatte zu ertränken. Nass und hilflos. Er wunderte sich, warum sie überhaupt hier war. Diese Stadt war nicht für Menschen wie sie gemacht. Jeder Tag hier war ein Überlebenskampf. Niemand wusste das besser als er, der hier aufgewachsen war und den die Stadt, durchgekaut und doch immer wieder ausgespuckt hatte. Joon lebte nicht von Jahr zu Jahr, sondern Tag zu Tag. Er hatte so viel gesehen wie kaum ein anderer. Zumindest von jenen, die noch lebten.
»Bist du Joon?«
Er sah auf. Das durchnässte Kätzchen, das Bild wollte einfach nicht mehr aus seinem Kopf verschwinden, stand dort vor ihm und schaute ihn fragend an. »Wer will das wissen?«
»Mein Name ist Julia«, stellte sie sich vor. »Ich bin neu hier.«
»Ich weiß«, meinte er und musste grinsen, als er ihre Überraschung bemerkte. »Sogar ein Blinder sieht das sofort«, fuhr er auf ihren irritierten Blick hin fort. »An der Art, wie du sprichst und an deiner gesamten Körpersprache. Wahrscheinlich bist du sogar erst seit heute in der Stadt.«
»Oh, wow. Du bist gut.«
»Ich weiß.« Joon grinste erneut und trank einen Schluck. Kurz glitt sein Blick hinüber zu seiner Pistole, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Das gehört zu meinem Job.«
»Also bist du Joon!« Sie lächelte ihn an und setzte sich ihm gegenüber.
Er verdrehte die Augen. »Kann sein. Kommt ganz drauf an, wer das wissen will.«
Sie lachte kurz auf. »Verstehe schon.« Nun war sie es, die grinste. »Wirklich gesprächig bist du nicht, wie?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.«
»Lustig. Mir wird öfters gesagt, dass ich zu viel rede«, sie verzog das Gesicht. »Das passiert dir wohl nicht.«
»Nein. Ich unterhalte mich nicht mit Leuten«, entgegnete Joon und erntete daraufhin verständnislosen Blick.
»Aber warum denn nicht?«
Joon seufzte. Oh ja, Julia würde es schwer haben, da war er sich sicher. Wenn sie es überhaupt drei Tage hier in der Stadt überlebte. Das wagte er doch zu bezweifeln. »Weil ich nicht genervt werden will.«
»Du findest mich nervig?« Sie sah ihn mit einem fragenden, wie vorwurfsvollen Blick an.
»Das habe ich nicht gesagt.« Er seufzte.
»Doch irgendwie schon.« Sie setzte sich auf einen der leeren Stühle neben ihm.
»Nein.« Er griff zu seiner Pistole, die noch immer vor ihm auf dem Tisch lag und prüfte nach, ob sie gesichert war. Obwohl er ganz genau wusste, dass dies der Fall war. Den meisten Leuten, die es wagten, ihn anzusprechen, verstanden spätestens jetzt, den Wink mit dem Zaunpfahl.
»Doch.« Sie nicht.
Langsam begann er sich zu fragen, ob sie naiv, ignorant oder dämlich war.
»Nein.« Er ließ die Spule einmal durchrollen. Dann prüfte er seine Munition. In dieser befanden sich sechs Kugeln. Zehn weitere in seinem Holster.
»Doch.« Sie klang jetzt eindeutig verärgert.
»Nein!« Joon sprang von seinem Stuhl auf, die Pistole in seiner Hand.
Sie sah ihn mit großen Augen an, in denen er so etwas wie Angst erkennen konnte. Widerworte gab sie ebenfalls keine mehr.
Er biss die Zähne aufeinander und zwang sich dazu, tief durchzuatmen. »Was willst du?«, fauchte er sie an. »Sag es oder verschwinde. Ich hasse Small Talk.«
»Danke für den Tipp. Es wäre mir sonst echt nicht aufgefallen«, konterte sie sarkastisch.
Er atmete tief durch, seine Pistole noch immer in seiner Hand haltend. »Also Julia, was willst du hier?«
»Dich«, antwortete sie.
»Wie bitte?« Nun war es, der die großen Augen machte. »Was war das gerade?«
Sie lachte und strich eine nasse Strähne ihres Haares aus dem Gesicht. »Du bist witzig.«
Das war ein Wort, mit dem er bisher noch nie beschrieben wurde. »Ich bin nicht witzig«, entgegnete er daher schroff.
»Doch.« Sie lachte wieder.
»Nein.« Er funkelte sie an und ließ noch einmal die Spule seiner Pistole durchrollen.
»Schon gut, schon gut.« Sie hob die Hände zum Zeichen der Kapitulation. »Ich ergebe mich.«
»Dann sag mir endlich was du von mir willst.«
»Erst wenn du deine Waffe runter nimmmst«, meinte sie. »Es ist einem entspanntem Gespräch nämlich nicht zuträglich wenn man damit bedroht wird.«
»Also schön.« Joon legte die Pistole zurück auf den Tisch.
»Danke.« Julia lächelte. Doch ihr Lächeln war so schnell verschwunden, wie es gekommen war. »Wenn du wirklich der Joon bist, den ich suche, dann brauche ich deine Hilfe.«
Das überraschte ihn jetzt doch. »Was für einen Joon suchst du denn?«
»Wie wurde er noch genannt?« Sie zog eine Zeitung aus ihrer Jacke, die ebenfalls klatschnass war. »Ach ja hier«, sie legte die Zeitung vor sie beide auf den Tisch. »Der Held der Stadt.«
Joon ballte die Hände zu Fäusten und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Ich bin kein Held.«
»Hier steht das Gegenteil.« Julia beugte sich leicht vor und musterte ihn genauer. Vielleicht war sie doch nicht so naiv, wie er zuerst dachte.
»Was da steht ist Müll.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn ich schon irgendwas bin, dann der Bösewicht.«
»Das denke ich nicht. Du hast vielen Menschen das Leben gerettet, mit dem was du getan hast.«
»Und mindestens ebenso viele getötet«, knurrte er. »Wenn nicht noch mehr.«
Julia sah ihn mit einem Blick an, den er nicht zu deuten vermochte.
Er erwiderte ihn ungeduldig. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du von mir willst.«
»Ganz einfach: Ich will, dass du jemanden für mich tötest.«
Joon, der sich einen Schluck von seinem Drink genehmigt hatte, verschluckte sich prompt vor lauter Überraschung. »Was?«
»Ich will, das du jemanden für mich tötest«, wiederholte sie ernst. »Und ich bin bereit gut dafür zu zahlen.«Kapitel 2
Zugegeben: Julia hatte erwartet, dass es nicht leicht werden würde mit Joon zu reden. Doch dass es so kompliziert werden, damit hatte sie nicht gerechnet. Andererseits erstaunte es sie trotzdem, dass er so überrascht von ihrer Bitte war. Zudem war es sicher nicht das erste Mal, dass man ihn um so etwas gebeten hatte.
»Du bist verrückt.« Joon sah sie mit einem Blick an, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Glaubst du ich laufe einfach so durch die Stadt und töte Menschen, nur weil mich jemand darum bittet?« Er schnaubte. »Wohl kaum.«
»Aber-«, weiter kam sie nicht.
»Nein.« Er funkelte sie wütend an. »Auf gar keinen Fall. Das Gespräch ist beendet.« Joon drehte sich weg von ihr.
Julia biss sich kurz auf die Lippen und überlegte sich, was sie sagen könnte, um ihn umzustimmen.
»Drei Tage«, hörte sie ihn vor sich hin murmeln. »Sie wird nicht einmal drei Tage durchhalten.«
Dachte Joon, dass sie dermaßen hilflos war? Das machte sie jetzt doch ein wenig wütend. Sie war neu in der Stadt und heute erst angekommen, das stimmte. Aber so naiv war sie nicht. Fand sie jedenfalls. »Ich werde es dir beweisen«, murmelte sie entschlossen.
Zu ihrer Überraschung drehte er sich jetzt doch noch einmal um. »Klar«, Joon verdrehte die Augen. »Falls du in drei Tagen wieder hier bist, gebe ich dir einen aus. Nicht, dass das passieren wird.« Er drehte sich wieder um.
»Einverstanden.« Julia ballte die Hände zu Fäusten. »Und dann wirst du mir helfen, und zuhören, was ich zu sagen habe.«
»Natürlich.« Sie hörte Joon schnauben. »Es ist übrigens bald Sperrstunde. Also verschwinde besser, bevor sie dich noch rausschmeißen.« Es klang zynisch.
»Dann solltest du das wohl auch tun.« Sie drehte sich um.
»Wohl kaum. Für mich gelten andere Regeln.« Julia würde sich nicht unbedingt einen Menschenkenner nennen, doch selbst sie konnte den bitteren Ton in seiner Stimme hören. Erklären konnte sie sich ihn aber nicht.
Kaum dass Julia das Gasthaus verlassen hatte, kniff sie die Augen zu, da sie von den Neonlichtern der Schilder und Werbetafeln geblendet wurde. Nun besonders, da das Licht im Gasthaus doch schummrig war. Sie seufzte als, sie an ihr Gespräch mit Joon dachte. Natürlich hatte sie nicht erwartet, dass er voller Freude auf ihre Bitte reagieren würde. Doch dass er ihr mit solcher Ablehnung begegnete, damit hatte sie nicht gerechnet.
»Was solls.« Sie seufzte und blickte auf ihre Uhr. Diese zeigte ihr, dass es fast zehn Uhr war. Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, würde sie von einer der Drohnen-Patroullien erwischt werden. Das wollte sie unbedingt vermeiden, da dies alles nur noch verkomplizieren würde. Trotzdem: Es ärgerte sie. Joons Verhalten ärgerte sie. War es nicht sein Job, Aufträge wie solche zu erledigen? Die aktuelle Regierung war schließlich nicht bekannt dafür zimperlich zu sein. Im Gegenteil. Und wenn ihre Nachforschungen stimmten, war Joon zumindest eine Art Handlanger von dieser. Doch das war auch schon alles, was sie hatte herausfinden können.
»Er ist echt seltsam«, murmelte Julia, als ihre Gedanken wie an ihr Gespräch mit Joon zurück schweiften. Konnte man es überhaupt so nennen? Sie war sich da nicht so sicher. Immerhin war sie diejenige, die am meisten geredet hatte. Er dagegen hatte nicht viel gesagt – und sie zudem mit einer Waffe bedroht. Sie konnte noch immer fühlen, wie schnell ihr Herz schlug, nur bei der Erinnerung daran. Sie hoffte wirklich, dass sie nicht so ängstlich auf ihn wirkte, wie es tatsächlich der Fall war. Doch wer wäre es auch nicht, wenn er auf einmal in den Lauf einer Pistole sprach?
Abgesehen von all dem, was zwischen ihnen passierte, musste Julia eingestehen, dass er sie auch beeindruckte. Die Haltung die er einnahm und ganz besonders dieser stechende Blick. Es hatte eine Unberechenbarkeit in seinen Augen gelegen, die sie noch bei niemand anderem gesehen hatte. Allein bei dem Gedanken daran bekam sie Gänsehaut.
»Er ist trotzdem ein Idiot«, murmelte sie aber mehr um sich selbst davon zu überzeugen. »Er hätte sich wenigstens anhören können, was ich zu sagen habe. Und was soll diese dumme Wette?« Julia drückte sich näher an eine Hauswand, als sie das Brummen einer Drohne hörte. Diese Nacht würde noch lang werden, da war sie sich sicher.